Ich weiß auch nicht, wie es weitergeht. Die deutsche Position ist unverändert.“ Kurz angebunden und etwas spitz klingt die Antwort der Pressesprecherin der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der EU. Das Thema geht ihr offenkundig auf die Nerven. Schon seit geraumer Zeit ringen Lobbyisten, Parlamentarier und Brüsseler Bürokraten um die Patentierbarkeit von „Programmen der Datenverarbeitung“. Befürworter behaupten, „Erfindungen“ im EDV-Bereich seien nicht ausreichend geschützt, Patente förderten die Innovationskraft, den Mittelstand und die Wettbewerbsfähigkeit. Außerdem sei die EU aufgrund von Regelungen der Welthandelsorganisation (WTO) verpflichtet, die Patentierbarkeit „auf allen Gebieten der Technik“, mithin auch der Datenverarbeitung, zu gewährleisten. Gegner bestreiten das. Sie sagen, die Ersteller von Datenverarbeitungsprogrammen seien bereits durch das Urheberrecht ausreichend geschützt, Patente schützten allein Interessen der Großindustrie und behinderten die Innovationskraft, indem sie die Programmentwicklung mit unkalkulierbaren Risiken und Kosten belasten und die Nutzung grundlegender Technologien monopolisierten. Alle Beteiligten geben vor, „Trivialpatente“ vermeiden zu wollen. Sowohl im deutschen Patentgesetz als auch im Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) von 1974 ist die Erteilung eines Patentes ausgeschlossen, wenn es sich auf ein Datenverarbeitungsprogramm „als solches“ bezieht. Diese Formel ist zum casus belli der juristischen und der gemeinen Vernunft geworden. Patentämter und -gerichte haben sie soweit eingeschränkt, daß inzwischen fast jede „rechnerimplementierte Erfindung“ patentierbar ist. Das Kriterium der „Technizität“ ist laut dem Patentprüfer Swen Kiesewetter-Köbinger gegenüber dem Magazin c’t nur noch eine Frage der Formulierung. Kritiker und Träger der gemeinen Vernunft monieren, das EU-Patentamt hätte Schutzrechte im Widerspruch zum Gesetz – contra legem – erteilt. Nun ist das EPÜ kein Rechtsakt der EU, sondern ein multilaterales Abkommen, dem auch „Drittstaaten“ angehören. EU-Institutionen haben keinen Einfluß auf die Entscheidungspraxis des Europäischen Patentamtes (EPA). In den Mitgliedstaaten bestehen erhebliche Unterschiede in der Anwendung des EPÜ und der nationalen Patentierungspraxis. Also legte die EU-Kommission nach langwierigen Verhandlungen am 20. Februar 2002 einen Richtlinienentwurf vor. Dem ersten Anschein nach übernahm er nur den Wortlaut des EPÜ, wonach Datenverarbeitungsprogramme „als solche“ nicht patentierbar sind. Allerdings zog er ebenfalls keine klare Grenze zwischen technischen Erfindungen nach allgemeinem Verständnis und reiner Programmlogik. Das würde auf eine Fortsetzung der bisherigen etwas anrüchigen Erteilungspraxis hinauslaufen. Am 24. September 2003 hatte das EU-Parlament über den Entwurf zu entscheiden. Es stimmte ihm nur mit einigen entscheidenden Änderungen zu. Danach sollten Datenverarbeitungsprogramme nur dann patentierbar sein, wenn ihre Ausführung sich nennenswert in der realen Welt auswirkt. So soll etwa eine rechnergesteuerte Autobremse einschließlich des Steuerprogramms patentierbar sein. Ein Programm, das nur eine bestimmte Darstellung auf dem Bildschirm bewirkt, wäre nicht patentfähig. Am 14. Mai 2004 verkündete der EU-Rat eine „politische Einigung“, welche die Einschränkungen des Parlamentes verwarf und eine noch „freiere“ Patentierbarkeit von Datenverarbeitungsprogrammen vorsah. Allerdings fand an diesem Tag keine förmliche Abstimmung dieses dritten Entwurfes statt. Vielmehr wurde der Punkt auf eine Liste von Themen („A-Themen“) gesetzt, die gelegentlich einer anderen Zusammenkunft des Rates durchgewinkt werden sollen. Doch die Diskussion um die sogenannten Software-Patente ging weiter. Am 1. Dezember 2004 reichten Abgeordnete aller Bundestagsfraktionen mit Ausnahme der PDS einen interfraktionellen Antrag ein, in welchem sie die Bundesregierung auffordern, die Linie des EU-Rates nicht weiter zu unterstützen, sondern „die Zielrichtung der Beschlüsse des Europäischen Parlamentes vom 24. September 2003“ stärker zu berücksichtigen. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) ignoriert diese Aufforderung und hält bis heute an der „politischen Einigung des Rates vom 14. Mai 2004“ fest. Die niederländische Präsidentschaft setzte die Verabschiedung auf die Tagesordnung der Sitzung des Fischereirates am 17. Dezember 2004. Überraschend sperrte sich die polnische Seite auf dieser Sitzung gegen die Verabschiedung des „gemeinsamen Standpunktes“. Patentgegner jubelten. Der Rechtsausschuß des EU-Parlamentes forderte am 3. Februar 2005 mit nur zwei Gegenstimmen einen Neustart des Gesetzgebungsverfahrens. Kaum jemand glaubte noch an eine Verabschiedung des „gemeinsamen Standpunktes“ – zu Unrecht, wie inzwischen klargeworden ist. Der Rat ignoriert die klare Ansage des Parlaments und hat die Abstimmung für den 17. Februar 2005 erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Polen will sich diesmal „auf schweren diplomatischen Druck hin“ nicht mehr gegen den Beschluß sperren. Worin dieser Druck genau bestand, kann bislang nur gemutmaßt werden. Inzwischen haben auch das spanische Oberhaus und die zweite Kammer des niederländischen Parlamentes ihre nationalen Regierungen aufgefordert, die Verabschiedung des „gemeinsamen Standpunktes“ zu Fall zu bringen. Die eingangs zitierte Ratlosigkeit der Pressesprecherin der deutschen Vertretung ist also verständlich und der Ausgang des Verfahrens offen. Bemerkenswert daran ist, daß alle Beteiligten die Patentierbarkeit reiner Datenverarbeitungsprogramme und die Erteilung von Trivialpatenten abzulehnen vorgeben, viele aber auf das Gegenteil hinarbeiten. Interessant auch, mit welcher Chuzpe der EU-Rat den klaren Standpunkt des EU-Parlamentes übergeht, ebenso wie nationale Regierungen einschließlich der deutschen die Stellungnahmen ihrer Parlamente ignorieren. Der EU wohlgesonnene Beobachter meinen, „Beta-Politiker“ in Brüssel und Straßburg seien der enormen Komplexität der Materie nicht gewachsen und den Lobbygruppen hilflos ausgeliefert. Andere halten das System der Entscheidungsfindung insgesamt für korrupt.