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Max Otte, Kapitaltag, Vermögensschutz, Markus Krall, Stefan Homburg

Die Mär von der Kostenexplosion

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Seit 1977 gibt es eine Diskussion darüber, ob die Ausgaben in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) explodieren oder die GKV-Einnahmen wegbrechen. In den vergangenen Jahren haben nicht nur die GKV-Ausgaben zugelegt, sondern auch das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Von 1993 bis 1996 ist der Anteil der GKV-Ausgaben am BIP von 6,6 Prozent auf 6,9 Prozent angewachsen, bis 2003 jedoch wieder auf 6,7 Prozent zurückgefallen. Gleichzeitig sind aber die durchschnittlichen Beitragssätze der Versicherten in den alten Ländern von 13,4 auf 14,3 Prozent und in den neuen Ländern von 12,5 auf 14,0 Prozent angestiegen. Untersuchungen haben ergeben, daß die Erosion der GKV-Einnahmenbasis auf das schwache Wirtschaftswachstum, die steigende Arbeitslosigkeit und eine daraus resultierende Senkung der Lohnquote zurückzuführen ist. Die Verfechter der Kostenexplosionstheorie in der GKV waren damit für einige Zeit aus dem Rennen. Das soll sich jetzt ändern. Das WIP (Wissenschaftliches Institut der Privaten Krankenversicherungen) hat in einer im Januar 2005 veröffentlichten Arbeit („Beitragsanstieg in der gesetzlichen Krankenversicherung – Ausgabensteigerung oder Erosion der Beitragsgrundlage bei besonderer Berücksichtigung der Krankenversicherung der Rentner“) den Versuch unternommen, eine Kostenexplosion in der GKV nachzuweisen, die insbesondere auf die demographische Entwicklung in Deutschland zurückzuführen sei. Je mehr Rentner die niedergelassenen Ärzte in Anspruch nähmen und die Krankenhäuser bevölkerten, desto größer werde der Kostendruck auf die GKV. Früher fiel der Schutz eines erkrankten Rentners, der nicht für sich selbst sorgen konnte, in den Bereich der öffentlichen Fürsorge. Das änderte sich erst durch das Gesetz über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 24. Juli 1941 (RGBl. I S. 443). Ab diesem Zeitpunkt erstreckte sich die Krankenversicherungspflicht auf alle Invalidenrentner und Angestelltenrentner. Die Rentenversicherung (GRV) zahlte an die Krankenversicherung einen die Kosten deckenden Beitrag. Die Überlegung für dieses Verfahren war, daß Rente Lohnersatz ist. Die GRV tritt an die Stelle des Arbeitgebers mit dem einen Unterschied, daß der Arbeitgeber die Hälfte des GKV-Beitrags übernahm (und noch heute übernimmt), die GRV jedoch den vollen Beitrag. 1967 wurde durch das Finanzänderungsgesetz die hundertprozentige Deckung der Kosten durch die Rentenversicherung auf achtzig Prozent gesenkt. Die Kostenentwicklung der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) belastete die GRV im Lauf der Jahre immer stärker. Deshalb sah sich der Gesetzgeber gezwungen, den von der GRV zu zahlenden Beitrag für die Rentner durch das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz (KVKG) im Jahr 1977 von den tatsächlichen Kosten zu entkoppeln, um die schwächelnde GRV zu entlasten. Deren Beitrag für ihre Mitglieder an die KVdR senkte der Gesetzgeber von 17,0 Prozent auf den Satz der versicherten Arbeitnehmer mit 11,7 Prozent. Die finanzielle Lücke schloß eine Beitragssatzsteigerung bei den erwerbstätigen Mitgliedern der GKV. Das wohlfeile Argument für diesen Trick: Der Ausgleich zwischen den Generationen müsse auch bei der GKV Anwendung finden. Natürlich hat sich in den Jahren bis 2004 die einmal entstandene Lücke weiter geöffnet und die Belastung der erwerbstätigen GKV-Mitglieder erhöht. Heute decken die Beiträge der Rentner nur noch vierzig Prozent der tatsächlichen Ausgaben, während die Beiträge der Erwerbstätigen in der GKV die Ausgaben um fünfzig Prozent übersteigen. Es liegt damit eine deutliche Quersubventionierung vor, die auch in Zukunft Schwierigkeiten bereiten wird. Die Zahl der Rentner nimmt ebenso zu wie die durchschnittlichen Kosten pro Rentner – letzteres ausgelöst vom teureren medizinischen Fortschritt und der höheren Lebenserwartung. Dieser doppelte kostensteigernde Effekt kann nur dann konterkariert werden, wenn die Arbeitslosigkeit und die Zunahme der Rentner durch eine spätere Inanspruchnahme der Rente gedämpft wird. Damit beantwortet das Gutachten des WIP jedoch nicht die Frage, ob die Entwicklung der Beitragssätze in der GKV auf eine Einnahmenimplosion oder eine Kostenexplosion zurückzuführen ist, d.h. eine unzureichende Erhöhung der Einnahmen oder eine überschießende Kostenentwicklung. Im Vergleich der Jahre 2001 bis 2003 schlägt sich auch die zunehmende Arbeitslosigkeit nieder. Gab es 2001 3,2 Millionen Empfänger von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe, so waren es 2003 schon 4,1 Millionen. Im Januar 2005 vermeldete die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit (BA) sogar über fünf Millionen Arbeitslose – und dabei sind diejenigen etwa 1,4 Millionen in BA-„Maßnahmen“ noch gar nicht mitgezählt. Der Einnahmeausfall der GKV ist mit zwei Milliarden Euro anzusetzen. Eine Studie des Instituts für Gesundheits-System-Forschung (IGES), Kiel, weist nach, daß von 1977 bis 1982 der GKV 19,6 Milliarden Euro vom Staat vorenthalten wurden. Dazu kommt, daß die Krankenkassen seit 1997 jährlich rund 2,5 Milliarden Euro weniger einnehmen, weil die Beitragsbemessungs-grundlagen für Bezieher von Arbeitslosengeld und -hilfe gesenkt wurden, um Staat und Arbeitslosenversicherung zu entlasten. In den Jahren von 1989 bis 2002 sind elf Gesetze und Verordnungen verabschiedet worden mit dem Zweck, Geld von der GKV in andere Kanäle zu pumpen. 30 Milliarden Euro wurden so der GKV entzogen, 2004 waren es 4,63 Milliarden Euro, 2005 werden es nach Recherchen des IGES-Instituts weitere 6,13 Milliarden sein. Die Regierung hat sich für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf Kosten der GKV einiges einfallen lassen: Hartz I bis Hartz IV mit der „Erhöhung der Entgeltgeringfügigkeitsgrenze“, „Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer“ und der „Beitragsbemessung für Selbständige in der Ich-AG“ verringern die Einnahmen der GKV um mehrere Milliarden Euro. 1,62 Milliarden waren es 2004, 2005 wird mit 2,97 Milliarden Euro gerechnet, und ab 2006 muß die GKV Mindereinnahmen von 3,57 Milliarden Euro pro Jahr verkraften. Alle diese Faktoren einschließlich der Kosten der Wiedervereinigung veranlassen die Verfasser der IGES-Studie, Fritz Beske und Thomas Drabinski, zu einem eindeutigen Urteil: „Der für das Jahr 2004 erwartete Beitragssatz der GKV von 14,1 Prozent ist mindestens in der Größenordnung von 2,3 Prozent durch politische Entscheidungen und durch andere Tatbestände der letzten drei Jahrzehnte verursacht. Der Beitragssatz läge ohne diese externen Einflüsse bei 11,8 Prozent.“ Die Kostenexplosion in der GKV fand daher nicht statt. Eine Einnahmeimplosion wurde hingegen bewußt herbeigeführt.

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