Enron auf italienisch“: EU-Kommissionspräsident Romano Prodi brachte den Skandal um den Milchkonzern Parmalat auf den Punkt. Wandten die Konstrukteure der Pleite des Enron-Konzerns in den USA vor zwei Jahren allerdings noch hochkomplizierte Bilanzierungstricks an, um Verluste zu verstecken, so ist die italienische Version deutlich einfacher gestrickt. Ein Konto mit vier Milliarden Euro verschwindet, eine Investition über 497 Millionen Euro in einen dubiosen Fonds auf den britischen Cayman-Inseln findet nicht einmal als Fußnote Erwähnung in der Bilanz – und weg ist das Geld. Wohin es floß, konnte der linksliberale „Saubermann“ Prodi allerdings noch nicht verraten. Vielleicht wollte er es auch nicht. Denn die Wahrheit könnte für den ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten prekär werden. Nach Angaben der bürgerlichen Tageszeitung Libero, die sich auf Tanzis Vernehmungen bezog, führte der Großindustrielle eine intensive Lobby-Arbeit, um sich die Gunst der politischen Elite zu sichern. Laut der Tageszeitung hatte Tanzi im Jahr 1996 die Wahlkampagne des amtierenden EU-Kommissionspräsidenten finanziert, der damals an der Spitze eines Mitte-Links-Bündnisses gegen den Kandidaten der Mitte-Rechts-Allianz, Silvio Berlusconi, angetreten war. Prodi hatte die Parlamentswahlen 1996 gewonnen und war zum Regierungschef aufgerückt. Nach Libero-Recherchen hatte Tanzi Prodis Wahlkampagne mit umgerechnet 75.000 Euro finanziert. Gianni Pecci, Vertrauensmann Prodis und Organisator seiner Wahlkampagne, bestritt jedoch den Bericht heftig und versicherte, daß Tanzis Subvention nicht mehr als 4.500 Euro betragen hatte. Dank der soliden Beziehungen zur Politik konnte Tanzi leichter die Unterstützung der Banken erhalten, berichtete die Tageszeitung. Pro Jahr soll der Firmengründer 1,5 bis zwei Millionen Euro bar aus Unternehmenskassen abgehoben und an Politiker gezahlt haben. Dies bestätigte zumindest der ehemalige Finanzchef des Konzerns, Fausto Tonna, in einem Verhör. Tanzi habe sich persönlich um die Beziehungen zu den Politikern gekümmert, sagte Tonna, der seit Ende des Vorjahres ebenfalls in Untersuchungshaft sitzt. Das Geld habe Tanzi aus einem Fonds abgezweigt, der offiziell zur Anschaffung von Büromaterial diente. Tonna hatte bei seinen Vernehmungen in den vergangenen Wochen immer wieder erklärt, bei Parmalat seien jahrelang Schmiergelder an Politiker und an Banken geflossen. Laut der Tageszeitung Repubblica, die sich auch auf Tanzis Vernehmungsprotokoll bezieht, betrieb der ehemals hochangesehene Großindustrielle ein intensives Lobbying, um sich die Gunst der politischen Elite zu sichern. Aus Ermittlerkreisen hieß es, Tanzi habe die Politiker „nicht geschmiert“. Er habe nur ein „Netz von Freundschaften“ aufbauen wollen und Politiker-Initiativen, Wahlkampagnen sowie werbewirksame „Events“ finanziert. Nach Berlusconis Einstieg in die Politik 1994 begann Tanzi die Werbekampagne für die Produkte seiner Parmalat vom Staatsfernsehen RAI auf die Fininvest-Kanäle des Mailänder Medienzaren zu verlegen. Tanzi soll auch Millionen ausgegeben haben, um Berlusconis Wahlkampagne 2001 zu sponsern. Er soll in den neunziger Jahren außerdem beim Forschungsinstitut Nomisma mitgemischt haben – unter der Kontrolle des heutigen EU-Kommissionschefs und designierten Berlusconi-Herausforderers Prodi. Der 65jährige Tanzi, der sich seit dem 27. Dezember 2003 wegen Betrugs und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung hinter Gittern befindet, pflegte laut dem Repubblica-Bericht neben der Verbindung zu Prodi auch beste Kontakte zum amtierenden Regierungschef Silvio Berlusconi, zum Vizepremier und Chef der rechtsnationalen Regierungspartei Alleanza Nazionale (AN), Gianfranco Fini, sowie zum amtierenden Kammerpräsidenten Pier Ferdinando Casini, dessen UDC-Bewegung aus der Konkursmaße der Christdemokraten hervorgegangen war. „Bei Wahlkampagnen sprach ich mit Casini und Fini. Sie empfahlen mir Kandidaten, die ich finanziell unterstützen konnte“, wurde Tanzi von der linksliberalen Repubblica zitiert. Bleiben die Unklarheiten, was mit den restlichen Geldern passiert ist. Parmalat, einst Vorzeigeunternehmen, steht vor der Zerschlagung – ein zuständiger Buchhalter nahm sich unlängst das Leben. Parmalat-Gründer Tanzi und Familienmitglieder haben sich allerdings rechtzeitig vor dem Kursverfall der Aktien geschützt. Wie die Financial Times berichtet, hatte die Familie einen Gutteil ihres Aktienpakets an Parmalat mittels Put-Optionen abgesichert. Das sogenannte „Hedgen“ der Aktien gegen Kursverfall funktioniert, weil die Puts in dem Moment, in dem die Aktien zu sinken beginnen, proportional wesentlich stärker steigen – sie können so wie eine Art Versicherung in schlechten Zeiten wirken. Ein mit La Coloniale – der Holding der Familie Tanzi, die im Besitz von 51 Prozent an Parmalat ist – verzweigtes Unternehmen hatte die „Collar“ genannte Put-Variante im vergangenen August geordert, schreibt die Wirtschaftszeitung. Die Zeitung zitiert Informanten aus Mailand, nach denen die Deutsche Bank den „Collar“ ausgegeben hat. Die Bank gab dazu keinen Kommentar. Wieviel Geld die Tanzis durch den Hedge trotz des Parmalat-Kursverfalls retten konnten, ist nicht bekannt. Auf die Ermittlungen war Tanzi offenbar ebenfalls vorbereitet, dennoch fühlte er sich noch kurz vor seiner Inhaftierung Ende Dezember sicher. Als der Skandal um verschwundene Milliarden und getürkte Auslandskonten des Molkerei- und Nahrungsmittelkonzerns kurz vor Weihnachten publik wurde, setzte sich der 65jährige erst einmal nach Spanien ab. Doch der Mann, der in Italien lange als Vorzeigeunternehmer gefeiert wurde, hatte sich diesmal verkalkuliert. Für jemanden wie Tanzi, der vor 40 Jahren ganz klein angefangen und aus einer Molkereigenossenschaft einen internationalen Konzern geschaffen hat, muß der tiefe Fall nun um so schmerzhafter sein. 1961 hatte er den väterlichen Betrieb übernommen, damals war er Anfang 20 und Student. Tanzi arbeitete hart, baute Fabriken zur Milchpasteurisierung und bot den Italienern als erster Milch im Tetrapak an. Mitte der siebziger Jahre wurde ihm Italien zu klein – er expandierte. Zuerst nach Brasilien, dann immer weiter – auch in Ungarn war die Firma schon vor der Wende 1989 ein Begriff. Zuletzt war Parmalat in 30 Ländern vertreten und machte einen Umsatz von über sieben Milliarden Euro. Anders als die Fiat-Familie Agnelli und der Medienzar Silvio Berlusconi blieb Tanzi mit seinem Clan aber bescheiden im Hintergrund. Parmalat galt als solides Familienunternehmen und sein Gründer als harter, aber gerechter Patriarch: ein Mythos, der zusehends zerbröckelt, je mehr von den tatsächlichen Machenschaften nach außen sickert, die Tanzi offenbar schon lange hinter der gutbürgerlichen und scheinbar soliden Firmenfassade betrieben hat. Foto: Demo vor Parmalat-Verwaltung in Collecchio: Betrug und Bilanzfälschung führen zu Entlassungen