Sollen die Deutschen in der Wirtschaftskrise weniger arbeiten? Die Gespensterdebatten zum Thema Arbeitszeitverkürzung sind Zeichen einer gefährlichen Verblendung. Mancher DGB-Funktionär gibt vor zu
glauben, die Deutschen könnten ihre Volkswirtschaft wieder auf Vordermann bringen, indem sie weniger arbeiteten. In einigen deutschen Großkonzernen gibt es Programme zur kollektiven Arbeitszeitverkürzung. Dabei sind dies bloß Maßnahmen zur Kaschierung von Arbeitslosigkeit. Alle Träume der Gewerkschaften, durch starre Flächentarife eine weitere Reduktion der Wochenarbeitszeiten auf 35 oder gar 30 Stunden zu erzwingen, sind abwegig. Aber die Betonköpfe im DGB, vorneweg die Leute um den neuen Vorsitzenden der IG-Metall, Jürgen Peters, haben solche Träume trotz des Streikdebakels im Osten noch nicht aufgegeben. Das Kernproblem ist, daß viele Gewerkschafter immer noch in der nachfrageorientierten Tradition des britischen Ökonomen John Maynard Keynes (1883-1946) denken. Insgeheim glauben sie an eine Art „Voodoo-Ökonomie“: Es genüge, Arbeitnehmern immer höhere Löhne zu bezahlen, damit so die zusätzliche Kaufkraft das Geschäft belebe. Aus den Reihen der Opposition und von namhaften Wirtschaftswissenschaftlern ertönt dagegen immer lauter der Ruf, die Deutschen müßten sich wieder an längere Arbeitszeiten – bei gleichem Lohn – gewöhnen. Die im Weltvergleich unerhört hohen deutschen Lohnkosten könnten dadurch etwas gesenkt werden, ohne daß der Volkswirtschaft reale Kaufkraft verlorenginge. Doch selbst maßvolle Vorschläge in diese Richtung stoßen bei den Gewerkschaften auf harten Widerstand. Man mache sich nichts vor: Deutschlands Lage ist nicht bloß ernst, sondern todernst. Mehrere Millionen Menschen in diesem Lande sind seit Jahren zum Nichtstun verurteilt. Die Zahl der Arbeitslosen läge weit über fünf Millionen, wenn die Nürnberger Statistik nicht durch Frühverrentungen, ABM und andere Tricks geschönt würde. Dies alles ist ein schöner Erfolg des gewerkschaftlichen Lohnkartells, das über Jahrzehnte Tarifabschlüsse weit oberhalb der Produktivitätszuwächse und Inflationsrate erzwungen hat. Mittlerweile herrscht in der deutschen Wirtschaft vielerorts Stillstand. Jährlich gibt es etwa 40.000 Unternehmenspleiten. Schuld ist nicht allein die Flaute der Weltwirtschaft. Einige europäische Nachbarn wie Irland, Großbritannien, Finnland, die Niederlande oder Österreich machen uns vor, daß trotz lahmender Weltkonjunktur bescheidenes, robustes Wachstum möglich ist. Deutschland war einst das Wirtschaftswunderland, geachtet und beneidet in der ganzen Welt. Möglich wurde der rasante Aufstieg durch die mutigen Reformen Ludwig Erhards, der einen klar marktwirtschaftlichen Rahmen setzte. Innerhalb dieser Wettbewerbsordnung konnten sich der Fleiß und das Talent des deutschen Volkes entfalten. Ab den siebziger Jahren verwässerte die sozialliberale Koalition die marktwirtschaftlichen Prinzipien immer mehr und errichtete ein Netz wohlfahrtstaatlicher Fallstricke. Der Staat griff immer mehr Menschen helfend unter die Arme und förderte damit eine Versorgungsmentalität, die schließlich den Gedanken an Leistung und Eigeninitiative verdrängte. Statt vermehrter eigener Anstrengung wollte man lieber Umverteilung. In der Folge wuchs die Staatsausgabenquote auf fast 50 Prozent des BIP – ebenso die lähmende Steuer- und Abgabenlast. Im Vergleich mit anderen führenden Wirtschaftsnationen sind die Deutschen Freizeit- und Ferien-Weltmeister. Seit 1960 ist die durchschnittliche Jahresarbeitszeit von über 2.100 Stunden auf unter 1.450 Stunden gebröckelt. Während in Deutschland 30 bezahlte Urlaubstage und bis zu 13 bezahlte Feiertage Standard sind, muß sich ein amerikanischer Arbeitnehmer mit bloß zwölf Urlaubstagen und wenigen Feiertagen begnügen. So kommt es, daß der durchschnittliche Amerikaner jährlich etwa 370 Stunden mehr als ein Deutscher arbeitet. Auch die meisten Europäer – ganz zu schweigen von den asiatischen Konkurrenten – sind fleißiger. In der uns direkt benachbarten Tschechei, die kommendes Jahr der EU beitreten, wird im Jahr durchschnittlich 1.980 Stunden gearbeitet. Im hochproduktiven Japan sind es wie in den USA über 1.800 Stunden pro Jahr. Kann das langfristig gutgehen? Sicher sind deutsche Fachkräfte zum Teil noch produktiver als die ausländische Konkurrenz, doch der alte Vorsprung ist oft abgeschmolzen oder gar schon eingeholt. Langfristig können wir uns deshalb mit derart geringen jährlichen Arbeitsleistungen nicht an der Weltspitze halten. Die zunehmend internationale Konkurrenz schläft nicht. Weltweit sind die deutschen Lohnstückkosten mit die höchsten und treiben immer mehr Firmen ins Ausland. Es ist ja nicht so, daß deutsche Firmen keine Arbeitsplätze mehr schaffen würden, nur eben im Ausland. Nach Schätzungen werden jährlich 45.000 Arbeitsplätze exportiert. Wenn nach der EU-Osterweiterung die letzten bürokratischen Hürden fallen, werden auch Mittelständler vermehrt ihre Produktion verlagern. Dies ist eine direkte Folge der harten Haltung der Gewerkschaften, für die Lohnzurückhaltung seit den siebziger Jahren ein Schimpfwort war. Gegenüber ausländischen Konkurrenten ergab dies ein Auseinanderdriften der realen Lohnkosten deutscher Unternehmen. Im Schnitt, so haben Berechnungen des Münchner ifo-Instituts ergeben, müßten die deutschen Lohnkosten um rund 11,5 Prozent gesenkt werden. Um aber schmerzhafte Lohnkürzungen zu umgehen, könnten alternativ die Wochenarbeitszeiten von 38 Stunden auf 42 Stunden angepaßt werden. In der mitteldeutschen Land- und Forstwirtschaft waren es übrigens schon 2002 immerhin schon 40,1 durchschnittliche Wochenstunden, die dortigen Staatsbediensteten lagen bei 40,0 Stunden. Man mag den schärferen Wettbewerbswind in Zeiten der Globalisierung beklagen, doch an den nötigen Konsequenzen führt kein Weg vorbei. Nicht durch weiteres Umverteilen der letzten verbliebenen Arbeitsplätze läßt sich der Wohlstand der Deutschen sichern. Nur durch eine Arbeitsmarktreform, die das Tarifkartell aufbricht, die Fesseln des Kündigungsschutzes lockert und durch Lohnflexibilität angeschlagenen Firmen ein Überleben ermöglicht, ist Deutschland noch zu retten. In der Bauwirtschaft, wo vielen Betrieben das Wasser bis zum Halse steht, hat man sich soeben auf eine Öffnung der Flächentarifverträge geeinigt. Ganz ohne Einmischung ferner Gewerkschaftszentralen dürfen dort die Belegschaften, wenn sie es wollen, Lohnkürzungen zustimmen, um so das Unternehmen zu retten oder Entlassungen zu verhindern – dabei betrug das dortige Wochenpensum schon 2002 immerhin 39 Stunden. Warum ist dies in anderen Branchen nicht möglich?