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Sehnsucht nach Siebenbürgen

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Die Situation könnte kaum friedlicher sein. Spielende Kinder, die unter Wasserfontänen herumtollen. Drumherum sitzen Paare auf den zahlreichen Bänken des Hermannstädter Großen Rings, eines riesigen Marktplatzes im Ortszentrum. Entspannt beobachten sie die Szenerie. Ihre Blicke schweifen über eine malerische Kulisse. Renovierte Gebäude. Ein imposantes Rathaus, eingerahmt von der katholischen Garnisonkirche und dem Brukenthal-Museum, die von der untergehenden Sonne in gleißend orange-gelbes Licht gehüllt werden. Für Deutsche ist es eine vertraute Architektur: die alten Ziegeldächer, die Gauben, die Fensterläden aus Holz. Schnell macht sich ein Gefühl von Heimat breit. Es ist die Heimat der Siebenbürger Sachsen, jener Kolonisten, die sich vor gut 800 Jahren in den Südkarpaten niederließen und als Gründungsväter von Hermannstadt gelten. Nur wenige Meter vom sanierten Zentrum entfernt taucht man ein in eine ferne Vergangenheit. Nur die Audis, BMWs und Mercedes-Karosserien reißen einen aus der Illusion, sich soeben auf eine Zeitreise in eine deutsche Stadt aus dem 19. Jahrhundert begeben zu haben. Von den Hausfassaden ist der Putz längst abgebröckelt. Manche der zahlreichen kleinen Läden sind noch mit deutscher Schrift versehen. „In Hermannstadt ist nie eine Bombe gefallen“, erklärt Maria Louise Höppner den Umstand, daß in der transsilvanischen Metropole die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Die 78 Jahre alte Physikerin ist hier geboren — und wollte ihren Heimatort eigentlich nie verlassen. Sie spricht von ihrer Kindheit. Von ihrem Elternhaus. Davon, wie sie in Hermannstadt aufwuchs, studierte und mit Freunden feierte. Sie spricht vom Krieg, der in Süd-Siebenbürgen eigentlich nie so richtig stattgefunden hatte und der dennoch tiefe Wunden in die Seelen der Siebenbürger Sachsen riß. Damals, als ihre deutschen Nachbarn und Freunde von den Russen nach Sibirien deportiert wurden, gehörte sie zu jenen, die sich versteckt hielten, um bleiben zu können. „Später hatte das die Russen nicht mehr interessiert“, erinnert sich die Wissenschaftlerin, die nach dem Krieg ihr Physik-Studium an der Universität von Kronstadt absolvierte. Eine Bekannte von ihr hatte sich zunächst sogar auf die Umsiedlung gefreut. „Dann sieht man endlich mal was von der Welt“, hatte sie noch frohlockt. „Das einzige, was sie zu Gesicht bekommen sollte, war ein Kohlebergwerk“, sagt Höppner heute in bitter-trockenem Ton. Schnell war ihr klar: „Das Kriegsende bedeutete das Ende der Siebenbürger Sachsen in Rumänien.“ Zu viele von ihnen kämpften während des Krieges als Soldaten für das Deutsche Reich, gerieten in Gefangenschaft und wurden aufgrund ihres deutschen Passes in die Bundesrepublik statt in ihre Heimat entlassen. Und wer daheim blieb, wurde deportiert. „In Nord-Siebenbürgen war es noch schlimmer, da tobte der Krieg“, erinnert sich Höppner. Die dortige deutsche Minderheit trat zusammen mit der Wehrmacht den Rückzug aus der Heimat an. Und wer in Rumänien blieb, war nun der kommunistischen Diktatur ausgesetzt. „Nach dem Ungarn-Aufstand kam es zu einer großen Verhaftungswelle“, erzählt Höppner. Die roten Machthaber hatten Angst, daß in ihrem Land ähnliches passieren könnte. „Sie verhafteten so viele wie möglich, um das Volk einzuschüchtern“, so Höppner weiter, die inzwischen als wissenschaftliche Assistentin an der Universität Kronstadt angestellt war. Sie selbst war 1958 dran. Soziale Unruhe sollte sie gestiftet haben. „Dabei hatte ich gar nichts gemacht“, betont sie. Eine Freundin von ihr sei verhaftet worden, weil sie einen Witz erzählt haben soll. „Selbst das stimmte nicht“, erinnert sich Höppner an die grotesken Maßnahmen von damals. Als sie sechs Jahre später entlassen wurde, war es für sie nicht möglich, wieder als Physikerin zu arbeiten. Wie ein Kainsmal haftete die Gefängnisstrafe an ihr. Schließlich bewilligte ihr das Regime 1969 die Ausreise nach Deutschland, wo sie schnell wieder eine Beschäftigung fand. „Ich wollte nicht weg, aber ich hatte keine Wahl“, sagt sie. 22 Jahre lang arbeitete Höppner in Deutschland. Dennoch ließ sie ein Gefühl nicht los: die Sehnsucht nach der Heimat. „Ich war in der Fremde“. Die soziale Kälte, die der zunehmende Wohlstand in Deutschland mit sich brachte, habe ihr zu schaffen gemacht. „Die kommunizieren hier nicht miteinander“, bedauerte sie. Mit ihrem Mann, einem Hamburger, den sie 1977 heiratete, wohnte sie in einem Mietshochhaus. „Obwohl da so viele Leute wohnten, kannten wir eigentlich niemanden“, stellte sie fest. Als der Eiserne Vorhang des Kommunismus in Osteuropa fiel, wollte sie sofort zurück. Gemeinsam mit ihrem Mann gründete sie 1991 in Hermannstadt einen Verlag für deutsche Bücher. „Damals hatten wir fünf bis sechs Mitarbeiter im Betrieb“, schildert Höppner. Heute sei es nur noch einer. Denn während sie zurückkehrte, entschlossen sich viele der noch verbliebenen Siebenbürger Sachsen für den umgekehrten Weg. „Alle qualifizierten Leute gingen in den Westen, weil sie da einfach mehr Geld verdienen können.“ Daß Geld jedoch nicht alles ist im Leben, werde vielen erst später klar. Maria Louise Höppner ist es klargeworden. Ihr Haus befindet sich in der Strada Negoi, am Rande eines mit bis zu 100 Jahre alten Bäumen bepflanzten Parks. Die Häuser der Nachbarschaft sind mit Fensterläden aus Holz versehen. Blumen duften. Nur ein sanftes Vogelgezwitscher unterbricht hin und wieder die Ruhe. Hier fühlt sie sich heimisch: in jener Stadt, die heute Sibiu heißt, aber trotz allem irgendwie Hermannstadt geblieben ist. Dabei liegt ihr Einwohneranteil an Deutschen noch gerade mal bei 1,6 Prozent. „Letztes Aufbäumen vor dem Untergang“, titelte daher die Allgemeine Deutsche Zeitung vor den Kommunalwahlen 2000 über die Kandidatur des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR). Die Partei vertritt die Interessen der deutschen Minderheit im Land. Deren Anhänger hätten dem Blatt vermutlich uneingeschränkt recht gegeben. Wäre da nicht Klaus Johannis gewesen, ein damals 39 Jahre alter Physiklehrer und Generalschulinspektor. „Pfff … wenn ihr meint ….“, habe der damals lapidar entgegnet, als er zur Bürgermeister-Kandidatur gefragt wurde. „Wir wußten gar nicht, wie gut der ist“, erzählt Hans Klein, dienstältester Stadtrat und Theologie-Professor in Hermannstadt. „Wir wußten nur, daß der keinen Unsinn redet.“ Klein, dessen Familie bereits seit 1715 in Siebenbürgen lebt, sieht in ihm den Wendepunkt im Schicksal der Siebenbürger Sachsen. „Von da an ist ein Wunder passiert“, so der 68jährige. Im Laufe des Wahlkampfs seien Lethargie und Pessimismus unter den Rumäniendeutschen in kürzester Zeit gewichen. Und aus Protest gegen die etablieren Parteien wählte sogar die Mehrheit der Rumänen den Außenseiter Johannis zu ihrem neuen Stadtoberhaupt. Im Stadtrat hatte das DFDR sieben Mandate errungen. „Es standen damals aber nur fünf Rumäniendeutsche als Kandidaten zur Verfügung“, beschreibt Klein das Dilemma des Forums, nicht alle Sitze besetzen zu können. Das sollte 2004 anders werden. Durch den neuen Bürgermeister beflügelt, waren plötzlich 28 Deutsche bereit, für den Stadtrat zu kandidieren. Mit Erfolg. Das DFDR gewann zwei Drittel aller Mandate, Klaus Johannis wurde mit überwältigenden 88 Prozent wiedergewählt. „Die Rumänen wußten, daß sie uns vertrauen können“, erklärt Hans Klein den Schlüssel des Erfolgs — Vertrauen, das der Bürgermeister mit guter Arbeit zurückzahlte. Die vor wenigen Jahren noch vor dem Verfall stehende Altstadt erstrahlt heute in neuem Glanz. Die während des Kommunismus stark vernachlässigte Infrastruktur ist wieder aufgebaut. Scharenweise strömen inzwischen Touristen während des Sommers in die Stadt, eine pulsierende Fußgängerzone prägt das Ortsbild. Hans Klein sieht ein Ende der Abwanderung nach Deutschland erreicht. „Einige gehen zwar immer noch, aber andere kommen bereits wieder“, erklärt er. Und mit ihnen kommen auch deutsche Firmen. Längst haben sich die investitionsfreundlichen Rahmenbedingungen der Stadt auch in der deutschen Wirtschaft herumgesprochen. Siemens, Metro oder die Volksbank sind nur einige Unternehmen, die sich bereits niedergelassen haben. Von München aus wird Sibiu inzwischen täglich angeflogen, von Stuttgart aus dreimal die Woche. Hinzu kommt, daß in der Stadt noch immer viel Deutsch gesprochen wird. „Die Lebensbedingungen haben sich verbessert“, sagt Sergiu Olteanu, Pressesprecher der Stadtverwaltung. Im vergangenen Jahr wurde Sibiu zur europäischen Kulturhauptstadt erkoren. Durch die jüngst erfolgte Aufnahme in die EU erhoffe man sich einen weiteren positiven Schub. Indikatoren, die es fortgegangenen Siebenbürger Sachsen leichter machen könnten, etwas wiederzuentdecken, was sie schon verloren glaubten: ihre Heimat.   Stichwort: Rückkehr von Spätaussiedlern Meldungen zufolge wächst der Strom der Spätaussiedler, die in ihre Heimat zurückkehren. Doch offizielle Statistiken sind nicht vorhanden, und der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung Christoph Bergner (CDU) spricht erzürnt von einem „Phantom“. Sicher gebe es einzelne Fälle, die zurückkehrten, auch gebe es Offerten aus den Ursprungsländern, daraus aber eine Welle zu machen, sei ein „Ärgernis“. Tatsächlich hätten im vergangenen Jahr circa 100.000 Aussiedler Deutschland wieder verlassen, aber zumeist in andere Richtungen als Rußland, Kasachstan oder Polen. Fotos: Großer Ring in Hermannstadt mit Rathaus und Katholischer Kirche: Unter Bürgermeister Klaus Johannis hat sich die Stadt zu einem touristischen Anziehungspunkt entwickelt, Hans Klein, Maria L. Höppner

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