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Im Sog des Zeitgeists

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Das „Heimatvertriebenenlied“ des „nationalen Barden“ Frank Rennicke (siehe Kasten) kann man jetzt in den Annalen des Bundesverfassungsgerichts nachlesen — jedenfalls einige Strophen. Wie das? Über den Weg dorthin nur soviel: Die Verbreitung des teils schon 1986 verfaßten Liedertexts brachte seinem Autor im Jahr 2000 ein Urteil des Amtsgerichts Böblingen ein — zehn Monate Freiheitsstrafe wegen Volksverhetzung, vom Landgericht Stuttgart später auf siebzehn Monate verschärft. Nachdem das Oberlandesgericht Stuttgart seine Revision verworfen hatte, rief der verurteilte Liedermacher das Bundesverfassungsgericht an, dessen zuständige Kammer mit Wolfgang Hoffmann-Riem (JF 30/08) seiner Verfassungsbeschwerde durch einstimmigen Beschluß vom 25. März 2008 stattgab und die drei Vorentscheidungen aufhob. Der Beschluß ist aus dreifachem Grund bemerkenswert: Erstens ist er eigentlich überflüssig, weil eine aus drei Richtern bestehende Kammer anstelle des achtköpfigen Senats einem solchen Antrag nur dann stattgibt, wenn die entscheidenden Rechtsfragen „ausgepaukt“ und geklärt sind, die Beschwerdeprozedur also entbehrlich sein sollte. Das zeigt dann — zweitens —, wie grob fahrlässig hier nicht weniger als drei gerichtliche Instanzen Grund- und Freiheitsrechte mißachtet hatten, auf Initiative und unter dem Beifall der Staatsanwaltschaft, so daß man sich drittens fragen muß, woran das liegt. Verurteilt worden war hier nach Paragraph 130 (1) 1. und 2. Strafgesetzbuch, der mit Strafe den bedroht, der „zum Haß gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt — oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, daß er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet“. Der Liedtext schildert zunächst die brutale Vertreibung der Sudetendeutschen aus ihrer Heimat 1945 und beklagt dann ihre später erneute Entwurzelung im Westen. Die Gerichte hatten sich davon ein paar Verse herausgepickt, die den fraglichen Verbotstatbestand angeblich erfüllten. Etwa diese: „Es gehen die Fremden in den Dörfern umher, tun so, als wäre es unsere Heimat nicht mehr. Wir stehen am Wege und lauschen dem Sang — fremd klingt das Wort, fremd ist sein Klang (…) Nehmt eure Russenpanzer, euer Mafiageld und laßt uns zufrieden um alles in der Welt. Nehmt eure Scheißbomben und Staatsformen heim und laßt uns mit unseren Sorgen allein. Packt Eure Snackbars und Kolchosen ein, laßt uns wieder Deutsche in Deutschland sein! Amis, Russen, Fremdvölker raus — endlich wieder Herr im eigenen Haus!“ Diese und andere Textpassagen, auch Äußerungen auf seiner Internetseite zeigten nach Meinung der Landrichter zugleich die „revisionistische Gesinnung“ des Angeklagten, dessen letztes Wort „deutsches Nationalbewußtsein, Fremdenhaß und nationalsozialistische Rassenideologie als Triebfeder seines Tuns offenbart habe“. Die Verfassungsrichter zerpflücken das — sichtlich befremdet: Auf die politische Einstellung des Beschwerdeführers komme es ebensowenig an wie auf Sätze, die irgendwo zu finden und ihm zuzurechnen seien, sondern zunächst auf den Text seines Liedes. Der sei zwar teils „anstößig“, aber auch das sei belanglos. Die Verfassung garantiere Meinungsfreiheit und erlaube jedermann, seine Meinung frei zu äußern, egal, „ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos, von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird“. Auch polemische, anstößige, verpönte Kundgaben seien erlaubt. Hetzreden im tatbestandlichen Sinne freilich nicht, aber deren Merkmale müßten sorgfältig dargetan und erläutert werden. Die Strafgerichte hätten sich dazu nur in pauschalen Behauptungen und fragwürdigen Zuschreibungen ergangen; etwa mit der These, der Angeklagte polemisiere entsprechend der Rassenideologie und Hetze der Nationalsozialisten gegen die Juden nunmehr gegen die hier lebenden Ausländer und wolle sie einer aggressiven Verachtung aussetzen. Die Verfassungsrichter dazu: „Den Urteilen … lassen sich keine Argumente dafür entnehmen, warum das Lied die Aufforderung zu einer Wiederherstellung des nationalsozialistischen Regimes unter gewaltsamer Vertreibung der im Inland ansässigen Bevölkerung ausländischer Zugehörigkeit zum Ausdruck bringt“. Der Worte kurzer Sinn: Man mag vom Lied unter geschmacklichen, politischen oder moralischen Gesichtspunkten halten, was man will; in einem freien Land geht das den Strafrichter nichts an. Wie läßt sich das offensichtliche Versagen dreier Gerichtsinstanzen und ihrer Staatsanwaltschaften also erklären? Der Konstanzer Rechtswissenschaftler Bernd Rüthers hat den Verfassungsartikel, der die richterliche Unabhängigkeit garantiert, zu dem Satz erweitert: „Die Richter sind unabhängig, nur dem Gesetz und dem Zeitgeist unterworfen.“ Er hatte das ursprünglich auf die Richter im „Dritten Reich“ gemünzt, die Variante dann aber auch den „fortschrittlichen“ Richtern späterer Generationen ins Stammbuch geschrieben, zu deren Empörung. Der Satz dürfte des Rätsels Lösung enthalten. Aktionen, Bekenntnisse, Kampagnen — nahezu alles — genießt den Adel höherer Moral, wenn es nur „gegen Rechts“ geht: Im Sog dieses Zeitgeists schwimmt der Gesetzgeber, schwimmen auch manche Behörden, die doch auf Objektivität und Gleichheit verpflichtet sind. Zeichnen sich Staatsanwälte und Richter durch mehr Stehvermögen aus? Die Frage läßt sich allgemein weder bejahen noch verneinen; es gibt Beispiele unerschütterlicher und couragierter Gerechtigkeit, aber eben auch beklagenswerter Parteilichkeit und geschmeidiger Anpassung. Die drei strafgerichtlichen Sprüche, zu deren Erledigung das Verfassungsgericht bemüht werden mußte, zählen gewiß nicht zu den Ruhmesblättern deutscher Rechtsprechung.   Günter Bertram war Vorsitzender Richter am Landgericht Hamburg.   Stichwort: Frank Rennicke Der Liedermacher Frank Rennicke ist bereits mehrmals wegen seiner Liedtexte, die sich häufig mit der Vergangenheitsbewältigung in Deutschland beschäftigen, mit der Justiz in Konflikt geraten. Zudem wurden mehrere seiner Tonträger durch die Bundeszentrale für jugendgefährdende Medien indiziert. Als musikalisches Vorbild nennt Rennicke, der sich selbst als „nationaler Barde“ bezeichnet und seine Lieder meist mit der Gitarre begleitet, den Liedermacher Reinhard May. Rennicke ist Mitglied der NPD und tritt häufig auf Parteiveranstaltungen auf, etwa auf den jährlichen Pressefesten der NPD-Zeitung Deutsche Stimme. Bis zum Verbot der Wiking-Jugend durch das Bundesinnenministerium im Jahr 1994 gehörte er dieser NPD-nahen Organisation an. Der 1964 in Braunschweig geborene Musiker ist verheiratet und hat fünf Kinder. (JF)

Sicherheitsrisiko auf vier Rädern
Bundeswehr: Nach dem Tod eines Fallschirmjägers in Afghanistan ist der Geländewagen Wolf in die Kritik geraten / Friedensgesellschaft verhöhnt Gefallene
Marcus Schmidt Die Geschwindigkeit, mit der die Öffentlichkeit nach dem tödlichen Bombenanschlag auf einen deutschen Fallschirmjäger in der vergangenen Woche zur Tagesordnung übergegangen ist, war verblüffend. Dies ist um so erstaunlicher, als die Umstände des Anschlages auf die Bundeswehr, dem in den vergangenen Tagen weitere gefolgt sind, einige für das Verteidigungsministerium unangenehme Fragen aufwerfen. Dabei ist die Frage, wie es um die Sicherheit der deutschen Soldaten in Afghanistan bestellt ist, die wichtigste: Warum waren der getötete 29 Jahre alte Hauptfeldwebel und seine drei Begleiter, die verletzt wurden, in einem Geländewagen vom Typ Wolf unterwegs und nicht in einem besser gegen Sprengfallen geschützten Fahrzeug? Vermutlich hätte der Soldat aus dem rheinland-pfälzischen Zweibrücken den Anschlag überlebt, wenn er in einem gepanzerten Transporter vom Typ Dingo, der in Afghanistan auch zum Einsatz kommt, gesessen hätte. Unverständlich ist zudem, warum ausgerechnet ein so unzureichend gegen Sprengfallen gepanzertes Fahrzeug wie der Wolf den Konvoi anführt hat. Das Tragische dabei: Die acht Fahrzeuge der Bundeswehr-Patrouille waren mit Störsendern gegen per Funk ausgelöste Sprengsätze ausgestattet, in diesem Fall wurde die Explosion aber durch einen Draht ausgelöst. Der Einsatz der Geländewagen ist nur schwer mit den Vorgaben des 2006 vom Verteidigungsministerium herausgegebenen sogenannten Weißbuches vereinbar. Darin heißt es unter anderem: „Soldatinnen und Soldaten im Einsatz haben Anspruch auf den bestmöglichen Schutz.“ Den bietet der Wolf, von dem die Armee in Afghanistan 260 Exemplare im Einsatz hat, nachweislich nicht. Auch nicht in der „besonders geschützten“ Version, wie sie von den vier Fallschirmjägern benutzt wurde. Dieser besondere Schutz, auf den das Verteidigungsministerium nach dem Anschlag ausdrücklich hinwies, macht aus dem Wolf noch kein gepanzertes Fahrzeug — zumal nur 80 der in Afghanistan eingesetzten Geländewagen entsprechend nachgerüstet worden sind. Laut Bundeswehr sind diese Fahrzeuge nun „gegen Splitter und Beschuß aus Handwaffen“ geschützt — nicht aber gegen Sprengsätze. Zum Vergleich: Der Dingo dagegen ist laut Auskunft der Bundeswehr „selbst gegen Panzerabwehrminen“ geschützt. Allerdings geht dieser Schutz durch das daraus resultierende höhere Gewicht zulasten der Geländegängigkeit und setzt der Einsatzfähigkeit Grenzen. Dennoch bleibt der Wolf ein Sicherheitsrisiko. Andere Länder sind da bereits weiter und schützen ihre Soldaten zumeist weitaus besser: Die amerikanische Armee zum Beispiel hat ihre legendären und mit dem Wolf vergleichbaren Jeeps schon längst durch Fahrzeuge vom Typ Hummer ersetzt, die teilweise sogar gegen Landminen geschützt sind. Derweil zieht die Deutsche Friedensgesellschaft ihre ganz eigenen Schlüsse aus dem tödlichen Anschlag. Auf der Internetseite des Landesverbandes Berlin-Brandenburg kann ein Plakat heruntergeladen werden, auf dem drei Bundeswehrsoldaten einen Sarg tragen. Auf dem Plakat wird der Tod des Soldaten so bewertet: „Die Bundeswehr auf dem richtigen Weg. Wieder einer weniger. Wir begrüßen diese konkrete Maßnahme, den Umfang der Bundeswehr nach und nach zu reduzieren.“ Bislang sind
in Afghanistan 28 deutsche Soldaten gefallen.

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