Der Briefwechsel zwischen Martin Walser und dem Journalisten Martin Doerry, den der Spiegel kürzlich veröffentlichte, bietet nichts Neues. Seine Publizierung ist wohl eine Ersatzhandlung, denn noch immer hat das Nachrichtenmagazin Sergio Romanos „Brief an einen jüdischen Freund“, der seit fast vier Monaten auch in einer deutschen Buchausgabe vorliegt, keinen Raum gegeben. Die Feuerkraft des „Sturmgeschützes der Demokratie“ endet, wo die kritische Reflexion des Holocaust als implementierter Zivilreligion anfangen müßte. Walser variiert sein altbekanntes Lied: Die Beschäftigung mit dem Holocaust ist für ihn eine Form der Gesinnungsprüfung, mit der man nicht pharisäerhaft in die Öffentlichkeit geht, wo vielleicht Vorteile auf einen warten. Man kann diesen Standpunkt zu beschränkt finden, um der politischen und historischen Dimension gerecht zu werden. Aber er ist intellektuell besser fundiert und auf jeden Fall moralisch integerer als der Bekenntnis-Opportunismus, in den die Menschen durch entsprechende Dauerberieselung hineingezwungen werden und der ruckzuck eine andere Richtung nehmen würde, wenn sich der Wind erstmal dreht. Aber nicht das ist es, was Salomon Korn, den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, dazu treibt, aufgrund des Briefwechsels seine Feindschaft mit Walser zu erneuern. Korn, der stets so tut, als spreche aus ihm der Weltgeist – und sich damit um so sicherer als ressentimentgetriebener Verbandsvertreter zu erkennen gibt – hält ihm den in der Paulskirchenrede 1998 geprägten Begriff „Moralkeule“ vor und kritisiert, daß er seine „künstlerische Narrenfreiheit auch für den rauhen Bereich der Politik in Anspruch nehmen“ wolle. Walser sei „geschickt genug, es bei Suggestivfragen zu belassen“, mit denen (antisemitische) „Vorurteile (…) bestärkt werden“. Immerhin, „juristisch bleiben Walsers Äußerungen unangreifbar“. Ein verräterischer Satz, der natürlich auf den Paragraphen 130 (Volksverhetzung) anspielt. Man kann Korn ab jetzt wirklich nicht mehr vorwerfen, mit der Moralkeule zuzulangen. Er droht indirekt mit dem Polizeiknüppel. Er bestätigt den Zustand der Unfreiheit und denunziert zugleich den Versuch, sich seiner einschüchternden Wirkung unter der Clownsmaske zu entziehen. Man kann daraus nur folgern, daß er sich vom öffentlichen Muckertum, das Walser zu unterlaufen versucht, Vorteile verspricht. Denn es erspart ihm zum Beispiel, wegen seiner eigenen Gedanken- und Sprachschludereien in die Schranken gewiesen werden. Im Spiegel sprach er von der „schuldhaften deutschen Vergangenheit“ – eine syntaktische Konstruktion, die in suggestiver Weise die gesamte deutsche Vergangenheit schuldig erklärt. Und wenn er Walser unterstellt, seine „kollektivierende Wortwahl würde nahelegen, Juden seien keine Deutschen“, müßte er sich zu seiner eigenen, biologisierenden Bezeichnung der Deutschen als „Täterabkömmlinge“ erklären. Stellt er sich mit dieser Wortwahl nicht selber hochmütig über die Deutschen? Denn zu einem Tätervolk will er sich doch wohl nicht rechnen lassen.