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Das Ende der Ära Roosevelt

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Die Ära Roosevelt ist jetzt endlich zu Ende. Die Ära Roosevelt — denn was jetzt endet, ist keine „Ära Bush“, sondern nur eine jämmerliche Amtszeit von zweimal vier Jahren. Dagegen handelt es sich bei der Ära Franklin Delano Roosevelt um einen Zeitraum von rund 75 Jahren, den dieser Präsident der Vereinigten Staaten zwischen 1932 und 1945 persönlich prägte. Roosevelt verstand es, die Idee der Einen Welt, verwirklicht im amerikanischen Traum von Reichtum, Demokratie und Frieden, so wurzeltief im Bewußtsein der Menschheit zu verankern, daß diese ihm bis vor kurzem fast willenlos folgte. Indem George W. Bush versuchte, diese epochale Leistung zu kopieren, zerstörte er jene Idee und zugleich auch den amerikanischen Traum. Roosevelts Erfolg bestand darin, die Welt unter Führung der USA im Kampf gegen einen einzigen Feind zu vereinen — gegen die drei Achsenmächte Deutschland, Japan und Italien. An diesem bipolaren Konzept hielten seine Nachfolger auch während des Kalten Krieges fest — bis zum Ende der Sowjetunion. Danach schien Roosevelts Eine Welt für einen Wimpernschlag der Geschichte in Erfüllung zu gehen. Die Amerikaner erlebten den plötzlichen Wegfall eines anscheinend übermächtigen Feindes jedoch als Moment fehlender Orientierung. Sie sahen sich plötzlich am Ende ihrer Geschichte. Denn nach sechs bis sieben Jahrzehnten unentwegter Bipolarität konnten sie sich eine multipolare Welt gar nicht mehr vorstellen. Sie hatten kein Konzept dafür. Da es den einen Feind nicht mehr gab, suchten sie sich mehrere Feinde — die Serben auf dem Balkan, die Gegner Israels im Nahen und Mittleren Osten und schließlich auch noch China, das sie einst an die Kommunisten verloren hatten. So begannen in Washington mehrere Feinde miteinander zu konkurrieren. Entsprechend verwirrt agierten auch die damaligen Präsidenten, George Bush sen. und Bill Clinton. Einerseits versuchten sie, das neue Rußland für sich zu gewinnen, andererseits stießen sie es durch die Ausdehnung der Nato bis zum Bug, dem polnisch-weißrussischen Grenzfluß, vor den Kopf. Sie führten Kriege am Persischen Golf und auf dem Balkan. Doch die Welt folgte ihnen schon damals nicht mehr widerspruchslos. Schließlich blieb nur noch der Islamismus als einzig eindeutiger Feind übrig. Dann kam der 11. September 2001. Zu diesem Zeitpunkt war bereits der Unglücksrabe George W. Bush im Amt. Er instrumentalisierte die zerstörten Symbole amerikanischer Macht für den „Krieg gegen den internationalen Terrorismus“ und den Versuch, einen neuen Feind im Bewußtsein der Menschheit zu etablieren. Dieses Manöver schlug aber ebenso fehl wie der gleichzeitige Versuch der amerikanischen Finanzindustrie, den Traum von Reichtum, Demokratie und Frieden auf der Basis von Schulden global zu realisieren. Im Gegenteil, indem Bush und der damalige Chef der Federal Reserve Bank, Alan Greenspan, den Turbokapitalismus durch niedrige Zinsen und unbeschränkte Geldmengen von der Kette ließen, gab es schon vor der aktuellen Weltfinanzkrise in vielen Ländern der Erde weniger Frieden und auch weniger Reichtum. Die Fünfziger waren unsere „amerikanischen Jahre“, in denen wir arglos an Roosevelts „Fackel der Freiheit“ glaubten. Damals gab es in Westdeutschland einen pluralistischen Diskurs, der im Gegensatz zum Konformismus heute geradezu phantastisch war. Daß die Ära Roosevelt jetzt endet, erleichtert viele. Die anmaßenden Versuche, die ganze Welt unter Amerikas Führung zu vereinen, sind gescheitert, und das schafft Spielräume für eine neue Politik, für einen neuen Pluralismus, für neue Träume im Weltmaßstab. Aus Mangel an unmittelbar abrufbaren Alternativen entsteht damit aber zugleich ein gewaltiges Vakuum. Hatten wir uns nicht schon alle an den amerikanischen Traum von der Einen Welt gewöhnt? Hatten wir ihm nicht schon unsere nationalen Träume geopfert? Was wird jetzt an die Stelle vom schnellen Reichtum, von Demokratie und Frieden als Ziele der Menschheit treten? Überall macht sich Ratlosigkeit breit. Am schnellsten fingen sich diejenigen, die das globale Desaster selbst verschuldet hatten. Sie dachten sich ein paar Rezepte aus, um die kranke Bankenwelt auf Kosten der Steuerzahler zu heilen. Mag sein, daß ihnen das sogar gelingt, jedenfalls bis zum Ausbruch der nächsten Krise. Auf der anderen Seite melden sich aber auch schon die Linken zu Wort, für die Kapitalismus, Marktwirtschaft und Banken von jeher Teufelszeug waren. Sie stehen Amerika seit jeher kritisch gegenüber oder hassen es sogar. Nichts gegen Kritik an Amerika, an der Marktwirtschaft, am allgegenwärtigen Kapitalismus. Man kann sich sehr wohl eine neue und bessere Welt vorstellen. Daß die Ideen dafür aber nur noch von links kommen dürfen, geht einem gegen den Strich. Wie konnte es dahin kommen? Leider kann man Amerika nicht ganz von der Schuld an dieser negativen Entwicklung freisprechen. Die von ihm ausgehende „Bewältigung der Vergangenheit“ war nichts anderes als der Versuch, die Lebensdauer des einstigen Feindes als Feind, der über allen anderen Feinden steht, mit Hilfe der Israel-Lobby bis in alle Ewigkeit zu verlängern. Diesem Versuch wurde in Deutschland alles geopfert, was mit nationalkonservativen Traditionen zu tun hat — einschließlich aller auch schon vor 1933 unternommenen Versuche, sich geistig von der Alleinherrschaft des westlichen Modells zu lösen und zu den politischen Grundfragen der Moderne eine eigenständige Haltung einzunehmen. So kommt es, daß im heutigen Diskurs über die größte Krise des liberalen marktkapitalistischen Gesellschaftsmodells seit Ende der zwanziger Jahre alle denkbaren Alternativen der deutschen Rechten fehlen, in erster Linie natürlich das Modell, mit dem Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht ab 1934 die Krise speziell für Deutschland löste. Dieses Modell wurde durch die Vergangenheitsbewältigung so gründlich diskreditiert und delegitimiert, daß es für die praktische Politik zur Zeit nicht mehr zur Verfügung steht. Da dies so ist, werden die Linken nach dem Ende der Ära Roosevelt weiter Punkte und Stimmen sammeln. Sie werden die Parteien der Mitte weiter schwächen und Deutschland so deformieren, wie es ihnen paßt, ohne viel Rücksicht auf Demokratie und inneren Frieden. Sie werden den geistigen Raum weiter verengen, in dem wir Deutschen über unsere Zukunft in einer immer kleiner werdenden Welt diskutieren. Am Ende wird nur noch ein ganz schmaler Streifen zwischen Links und Linksaußen übrigbleiben, in dem wir uns intellektuell bewegen dürfen. Diesen Streifen werden die Linken mit der ihnen eigenen Rigidität kontrollieren, und damit werden sie Deutschland daran hindern, jene traumhaften Möglichkeiten für eine Neugestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft kreativ zu nutzen, die sich durch das Ende der Ära Roosevelt neuerdings ergeben haben. In meinen Büchern habe ich mich schon vor Jahrzehnten kritisch mit Roosevelt auseinandergesetzt. Dennoch kann ich unter den obwaltenden Umständen über das Ende der nach ihm benannten Ära keine vorbehaltlose Genugtuung empfinden. Paradoxerweise erinnere ich mich gerade jetzt dankbar an die fünfziger Jahre, als wir Deutschen im Schutze des amerikanischen Traums jenen Abstand von Hitler und dem Nationalsozialismus gewannen, den wir nach dem verlorenen Krieg so bitter nötig brauchten, um mutig und fleißig unsere Zukunft zu gestalten. Das waren unsere „amerikanischen Jahre“, in denen wir arglos an Roosevelts „Fackel der Freiheit“ glaubten. Damals gab es in Westdeutschland einen pluralistischen Diskurs, der im Gegensatz zum linken Konformismus unserer Tage geradezu phantastisch war. Obwohl wir Deutschen dadurch, schlimm genug, unsere nationale Identität weitgehend aufgaben, konnten wir uns so gegen die kommunistische Versuchung behaupten. Doch als in den sechziger Jahren die studentische Revolte aus Kalifornien nach Deutschland herüberschwappte und die Linken später im Zeichen eines billigen „Antifaschismus“ die kulturelle Hegemonie errangen, machten sich immer empfindlichere Einschränkungen unserer geistigen Freiheit bemerkbar. Gegen die plumpe Hitler-Tyrannei, von der uns einst die Amerikaner befreit hatten, tauschten wir einen linksideologischen Zwinger mit totalitären Tendenzen ein. Vor dieser Tatsache haben viele Deutsche ihre intellektuellen Waffen gestreckt, weil sie begreiflicherweise Angst davor haben, irgendwo links anzuecken, an den Pranger gestellt zu werden und ihre Existenz zu verlieren. Aber ist das eine Lösung unserer Probleme? Deutschland wird unter den Bedingungen der Multipolarität einen größeren Bewegungsspielraum gewinnen. Zwischen Amerika, Rußland und China rückt es mit den europäischen Nachbarn auch bewußtseinsmäßig wieder in seine alte geostrate-gische Mittellage. Gleich ob John McCain oder Barack Obama die Präsidentschaftswahl gewinnt — trotz der massiven Intervention des Staates in das System der privaten Banken, die entfernt an Roosevelts „New Deal“ erinnert, wird Amerika immer ein marktkapitalistisches Land bleiben. Die Vorstellung, daß Washington sich in Berlin nach der nächsten Bundestagswahl einer rot-grünen oder rot-gelb-grünen Regierungsmehrheit gegenübersehen wird, die in sozialistischen Kategorien denkt, ist nicht gerade ermutigend für die transatlantischen Beziehungen. So etwas würde auch nicht bei einer Reform des Weltfinanzsystems weiterhelfen, bei dessen Kontrolle gerade hier in Deutschland die staatlichen Instanzen versagten. Andererseits kann aber auch nicht alles beim alten bleiben. Neue Ideen sind gefragt und Spielräume, in denen sie diskutiert werden können. Scheuen wir uns nicht, dabei auch Anleihen bei älteren Ideen aus Deutschland zu machen, weil sich angesichts der Distanz zwischen Europa und Amerika, die in Zukunft wachsen wird, bald noch ganz andere Fragen von wahrhaft geschichtlichen Dimensionen stellen werden. Einige dieser Ideen werden ganz von selbst wieder aufleben, nachdem unverantwortliche, wenn nicht sogar kriminelle Manager immer mehr Menschen während des letzten Jahrzehnts in die Schuldenfalle gelockt haben. Dazu zählen folgende konservative Werte und Grundsätze, die, in Deutschland früher einmal selbstverständlich, durch die Amerikanisierung vieler Lebensbereiche in Vergessenheit geraten sind: Genügsamkeit, Sparsamkeit, nicht auf Pump kaufen, sondern die erforderlichen Beträge ansparen und bar bezahlen sowie auch das „Kleingedruckte“ lesen, bevor man etwas kauft — vorausgesetzt natürlich, man kann noch lesen und rechnen. Diese „preußischen Tugenden“ werden ganz von selbst wieder mehr in den Vordergrund treten, wenn die Weltfinanzkrise auf die Realwirtschaft durchschlägt, was zu befürchten ist. Aber das ist nur der Anfang. Niemand weiß heute schon genau, wie sich nach diesem gewaltigen Crash das Verhältnis sowohl zwischen der Finanz- und Realwirtschaft als auch das zwischen Amerika, Europa und anderen Erdteilen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten entwickelt. Hier wird es wahrscheinlich zu erheblichen Verschiebungen kommen. Mit „Sozialismus pur“ ist da ebensowenig zu machen wie mit dem Austritt Deutschlands aus EU und Nato. Deutschland wird unter den Bedingungen der Multipolarität, die sich in der Welt abzeichnen, außenpolitisch einen größeren Bewegungsspielraum gewinnen. Zwischen Amerika, Rußland und China wird es mit seinen europäischen Nachbarn auch bewußtseinsmäßig wieder in seine alte geostrategische Mittellage einrücken. Und damit wird die wertkonservative Orientierung, die wir dieser Lage einst verdankten, trotz des hysterischen Dauerkampfes der Linken „gegen Rechts“ über kurz oder lang wieder an Bedeutung gewinnen.   Dr. Dirk Bavendamm, Jahrgang 1938, ist Historiker und Publizist. Viele Jahre war er Redakteur und Journalist bei der „Zeit“, der „Welt“ und der „Süddeutschen Zeitung“. Von 1988 bis 1997 leitete er das Bismarcksche Archiv in Friedrichsruh.

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