Eigentlich ist die CIA so wie alle Auslandsgeheimdienste dazu da, politische Entscheidungsträger ihres Landes mit für die äußere Sicherheit relevanten zuverlässigen Informationen zu unterstützen, die anderweitig nicht erhältlich sind. Dazu gehören auch verdeckte Ermittlungen, die oft unkonventionelle Methoden und die Zusammenarbeit mit zwielichtigen Partnern erfordern. Weil sie das Personal, die Strukturen und die Ausrüstung dafür besitzen, werden Geheimdienste von den politisch Verantwortlichen immer wieder über die Grenze zwischen politischen und kriminellen Aktivitäten geführt und auch mit Operationen beauftragt, die sich mit den Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Völkerrecht nicht vereinbaren lassen. Die CIA hat dafür einen Ruf. Gewalttätige „Sonderaktionen“ unterschiedlichster Art, Morde und Entführungen, die Manipulation der Medien, Desinformationskampagnen, das Kompromittieren oder Liquidieren von störenden Personen, Parteien oder Staaten, selbst Weltanschauungen gehören dazu. Menschenraub, Gefangenenflüge zu Geheimgefängnissen in vielen Teilen der Welt, das Foltern und Verschwindenlassen von Gefangenen – in solchen Konnotationen findet sich die CIA seit Jahren in den Schlagzeilen. Dennoch steht der Ertrag, so scheint es, in einem bescheidenen Verhältnis zum Aufwand. Die Ereignisse um den 11. September und um den Irak-Krieg sind dafür bezeichnende und verstörende Beispiele. Ein interner CIA-Untersuchungsbericht stellt nun der eigenen früheren Führung ein verheerendes Zeugnis aus: Ex-Chef George Tenet habe im Vorfeld des 11. September nicht genug gegen al-Qaida getan – obwohl ihm die drohende Gefahr durchaus bekannt gewesen sei. Tenet habe es versäumt, seine Behörde effizient auf den Kampf gegen diese Gefahr einzustellen. Die CIA-Führung habe nicht alle ihre Möglichkeiten bei der Bekämpfung al-Qaidas ausgenutzt und nie einen umfassenden Plan erstellt, die Gruppe zu stoppen, heißt es in einem am 20. August dieses Jahres vorgelegten Bericht. Neu ist es nicht, was dort über die Fehler der CIA im „Krieg gegen den Terror“ gesagt wird: Es wurden nicht alle zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt, man hat sich mit anderen Geheimdiensten nicht ausreichend abgesprochen. Das alles ist aber schon längst bekannt. Der Bericht wurde bereits 2005 angefertigt, ein Jahr nach dem Rücktritt des unter massiver Kritik stehenden Tenet. Doch erst jetzt wurde eine 19seitige Kurzfassung des eigentlich geheimen Dokuments durch den aktuellen CIA-Chef Michael Hayden freigegeben, weil – wie Hayden sagte – ein von Präsident Bush Anfang August unterzeichnetes Gesetz ihn dazu verpflichtet habe. Bald sechs Jahre ist es nun her, daß die Welt beim Anblick der brennenden Türme des World Trade Center den Atem anhielt. Und immer noch rätseln die USA, wie das passieren konnte. Die Mosaiksteine, die der neue CIA-Bericht zum Gesamtbild beiträgt, sind nicht groß, und sie bestätigen, was man längst weiß: Es gab im Frühjahr und Sommer 2001 reihenweise Hinweise auf geplante Terroranschläge, die von den Behörden ignoriert, unterschätzt, falsch gedeutet oder einfach unter den Teppich gekehrt wurden. Daß zwei der späteren Attentäter in die USA eingereist waren, wußte die CIA. Doch da sie nur für die Auslandsspionage zuständig ist, kümmerte man sich nicht darum, was die Verdächtigen in den USA vorhatten. Ein Hinweis an das zuständige FBI unterblieb, wahrscheinlich weil sich die beiden Behörden noch nie grün waren. Die weitere Aufklärung bis in die Details hinein ist nicht unwichtig. Denn schließlich wollte die Bush-Regierung selbst von der al-Qaida-Gefahr nichts hören, weil dies von ihrem Lieblingsfeind Saddam Hussein abgelenkt hätte. Die Autoren des Berichts über das Versagen der US-Geheimdienste vor den Terroranschlägen des 11. September 2001 machen es sich deswegen zu leicht, wenn sie Ex-CIA-Chef Tenet die Hauptschuld an dem Fiasko zuschieben. Tenet wies die Anschuldigungen als „völlig falsch“ zurück. „Vor dem 11. September hat keine Behörde mehr im Kampf gegen al-Qaida getan als die CIA“, betonte er. Schwerer als die Vorwürfe des Untersuchungsberichts wiegt die Kritik, der ihn außenstehende Beobachter unterziehen: Beinahe unisono halten sie Tenet vor, er sei bei der Restrukturierung der CIA nach dem Wegfall der sowjetischen Bedrohung inkonsequent und nach dem Wahlsieg von George W. Bush vor allem um seinen Job besorgt gewesen. Seine Bereitschaft, die von der Administration gewollten Falschmeldungen über irakische Massenvernichtungswaffen murrend zu dulden, zwang ihn 2004 zum Rücktritt. Die Erkenntnisse des jetzt teilveröffentlichten internen Berichts sind in diesem innenpolitischen Punkt wenig ergiebig und führen kaum über die Ergebnisse einer Untersuchungskommission des US-Kongresses hinaus, die ihre Befunde bereits im Sommer 2004 vorgelegt hatte. In einigen Punkten wird der interne CIA-Bericht aber doch konkreter: Demnach hatten auch Machtkämpfe und Kompetenzstreitigkeiten zwischen CIA und National Security Agency (NSA), die für die Überwachung und Erfassung von Telefonaten und E-Mails zuständig ist, die Anschläge des 11. September möglich gemacht. Bereits im Jahre 2000 hatte die NSA mindestens 60 Gespräche zwischen zwei späteren Flugzeugentführern dokumentiert, die von der CIA aber nie ausgewertet wurden. Deshalb wurde die Bedeutung des al-Qaida-Vordenkers Khalid Sheikh Mohammed nicht erfaßt. Der Geheimdienst verpaßte entscheidende Gelegenheiten, zwei Terroristen auszuschalten. So wußten „50 bis 60 CIA-Agenten“, daß die späteren Attentäter Nawaf al-Hamzi und Khalid al-Mihdar sich wohl in den USA aufhielten, doch niemand informierte das FBI. Dabei hatte Tenet doch eine ziemlich gute Vorstellung davon, daß eine neue Gefahr für die Sicherheit der USA und ihre weltweiten Interessen heraufzog. „Tatsächlich hatte die CIA einen Plan, charakterisiert von außergewöhnlichen Anstrengungen sowie dem Einsatz zum Kampf gegen den Terrorismus, und zwar schon lange vor dem 11. September 2001“, heißt es in seiner Stellungnahme zum nun vorliegenden CIA-Bericht. Auch aus dem Bericht selbst geht hervor, daß der Geheimdienstchef schon 1998 in einer Aktennotiz seinen politischen Vorgesetzten, den damaligen Präsidenten Bill Clinton, warnte: „Wir befinden uns in einem Krieg.“ Auch in den folgenden Jahren seien Clintons Nachfolger Bush wiederholte Warnungen zugegangen. „Das Problem“, folgert der Bericht, „war die Bearbeitung.“ Kenner außerhalb der Administration wie der bestens informierte New York Times-Reporter James Risen haben diese Mißstände schon längst „systemkritisch“ erfaßt und auf einen Regierungsbetrieb zurückgeführt, der Machtkämpfe und Mauscheleien zuließ und so die vorgesehenen Zuständigkeiten außer Kraft setzte. Auch das Pentagon versuchte zeitweilig gegenüber der CIA aufzutrumpfen. Immer häufiger habe Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in der CIA einen Rivalen gesehen und eigene Initiativen ergriffen; negative Einschätzungen seien beschönigt, Warnungen nicht weitergeleitet worden. So war es auch nach dem 11. September 2001, als die US-Regierung beschloß, der Terrorgefahr mit einer breit angelegten Offensive zu begegnen. Hinter den Kulissen begann so ein erbitterter Kampf zwischen der CIA und dem US-Vizepräsidenten Dick Cheney um die Führungsrolle im sogenannten „Krieg gegen den Terror“. Mit Cheneys Rolle befaßt sich im Detail der US-Filmemacher Michael Kirk, dessen Dokumentation „Krieg gegen den Terror – Stockfinster“ Arte am 10. Oktober um 20.40 Uhr ausstrahlt. Mit teils sehr präzisen und offenherzigen Aussagen interner Beteiligter und Beobachter zeichnet die Dokumentation den erbitterten Machtkampf zwischen den Behörden nach und gibt ernüchternde Einblicke in manche von Tatsachen nicht allzu sehr beeinflußten Mechanismen der US-Politik. Es zeigt sich, daß in den höchsten Entscheidungsinstanzen Einstellungen und Zielsetzungen wirksam werden, deren Entstehung und Verortung in außerhalb der offiziellen Politik stehenden Machtzirkeln schwer zu durchschauen ist. Die Dokumentation schildert, wie Cheney gleich nach der Amtseinführung von Präsident Bush seine Vertrauensleute, die seine präventiv-aggressive Außenpolitik befürworteten, in wichtige Positionen der ganzen Regierung lancierte. Sein Ziel: die Ausweitung der Befugnisse des Präsidenten, um die Kontrolle über den „Krieg gegen den Terror“ zu gewinnen und diesen auf den Irak auszurichten. „Bisher liegt“, so Kirk, „der Antiterrorfeldzug in der Obhut der CIA. Unter Direktor Tenet, ein Überbleibsel der Clinton-Regierung und Cheney deshalb ein besonderer Dorn im Auge, steuert die CIA die Operationen in Afghanistan.“ Die CIA sah keine Verbindungen zwischen der al-Qaida und dem Irak. Cheney war damit nicht zufrieden. Er suchte einen Kriegsgrund gegen den Irak und war überzeugt, daß er sich finden ließe. Mit Hilfe seines Verbündeten Rumsfeld zog Cheney hinter den Kulissen die Fäden, um die Aussagen der CIA in Mißkredit zu bringen und den Einmarsch der US-Truppen im Irak durch einen Vorwand zu rechtfertigen. Unter politischem und persönlichem Druck ließen sich CIA-Mitarbeiter tatsächlich dazu bringen, einen auf Hörensagen und Erfindungen basierenden Bericht zu verfassen, der mit dem Märchen von irakischen Massenvernichtungswaffen einen Vorwand für die US-Invasion im Irak lieferte. Die Hinweise darauf, es handle sich um „ungesicherte“ Erkenntnisse, wurden von der Regierung großzügig überlesen. Der nun teilveröffentlichte interne CIA-Bericht bestätigt diese Vorgänge. Die Regierung und zumal Vizepräsident Cheney hätten Informationen der CIA über eine Verbindung des Terrornetzes al-Qaida mit dem irakischen Regime „tendenziös benutzt“. Die CIA habe berichtet, man sei „zunehmend skeptisch“, ob sich Mohammed Atta, der Anführer der Attentäter vom 11. September, im April 2001 tatsächlich mit dem irakischen Geheimdienstoffizier Ahmed al-Ani in Prag getroffen habe. „Solange wir keine glaubwürdigen Informationen über das Treffen vom April 2001 haben, gehen wir davon aus, daß Atta zu einem Zeitpunkt, da die Planungen für den Anschlag schon weit fortgeschritten waren, kaum das erhebliche Risiko der Kontaktaufnahme mit einem irakischen Regierungsmitarbeiter eingegangen sein dürfte“, heißt es. Cheney hingegen hatte Attas angebliches Treffen mit al-Ani als Beweis für eine Verbindung des Terrornetzes mit dem Bagdader Regime genannt. „Sie suchen nicht nach einem handfesten Beweis, sie suchen nach einem Vorwand“, wird ein CIA-Beamter zitiert. Die US-Regierung suche nur eine Bestätigung ihrer Politik. Daß diese Methode nicht auf den „Fall Irak“ beschränkt sein muß, kann vielleicht ein nächster interner CIA-Bericht herausfinden: Bisher habe die CIA keine Beweise für die Behauptung der Bush-Regierung gefunden, daß der Iran tatsächlich an der Entwicklung von Atomwaffen arbeite, berichtete der US-Starjournalist Seymour Hersh vergangene Woche in einem Artikel für The New Yorker. „Die CIA hat bisher keine abschließenden Beweise für ein geheimes iranisches Atomwaffenprogramm gefunden, das parallel zu den zivilen Operationen läuft, die der Iran der Internationalen Atomenergiebehörde gemeldet hat“, schreibt Hersh. Die US-Regierung spiele die CIA-Erkenntnisse herunter, um an ihrer harten Politik gegenüber Teheran festhalten zu können und sich die Möglichkeit eines militärischen Vorgehens offenzuhalten. Laut Hersh wollte die CIA zu seinem Artikel nicht Stellung beziehen. Ein ranghoher Vertreter des Geheimdienstes habe jedoch die Existenz der CIA-Analyse bestätigt und gesagt, das Weiße Haus lehne das Geheimdienstpapier ab. Stichwort: CIA Die US-amerikanische Central Intelligence Agency (CIA) ist der größte und bekannteste Geheimdienst der Welt. Seit ihrer Gründung 1946 bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion waren Abwehr und Bekämpfung des Kommunismus die wichtigste Aufgabe. Heute sind die Beschaffung von Auslandsinformationen für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus und seine Strukturen vorrangig. Die Zahl der CIA-Agenten und das Budget sind geheim, doch Schätzungen gehen von 20.000 Mitarbeitern und weit über drei Milliarden Dollar jährlich aus. Foto: Kriegsrat im Oval Office (20. März 2003): CIA-Chef George Tenet (M.) mit US-Vizepräsident Dick Cheney und Präsident George W. Bush