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Für den Glauben – für das Vaterland

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Rußland brauche eine „neue russische Idee“. Man müsse ein auf die Bedürfnisse und Interessen des Landes ausgerichtetes Wertesystem schaffen. Dies fordert der russische Präsident Wladimir Putin bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Unnötig zu betonen, daß Putin sich bei seiner Forderung des Zuspruchs von Parlament und Beamtenschaft, von Militär, Kirche und medialer Öffentlichkeit, aber auch dem Gros der Bevölkerung sicher sein kann. Was aber hat es mit seiner Propagierung einer „neuen russischen Idee“ eigentlich auf sich? Und welche Rolle spielt die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) dabei? Aus Moskaus bunter Reklamewelt sticht ein Plakat mit patriotischem Werbespruch hervor: „Für den Glauben – für das Vaterland“. Zwei Abbildungen illustrieren die schlichte Botschaft. Auf der einen Seite ist die größte russisch-orthodoxe Kirche der Welt zu sehen, die in unmittelbarer Nähe zum Kreml sich befindende Christus-Erlöser-Kathedrale. Sie ist wahrscheinlich die gewaltigste Kopie aller Zeiten. 1997 geweiht, gleicht sie dem zum Gedächtnis an den russischen Sieg über Napoleon errichteten und auf Stalins Initiative zerstörten Vorgängerbau Stein für Stein. Die Kathedrale – oder besser deren Kopie – soll sie nun also symbolisieren, die Kontinuität vom orthodoxen und imperialen Rußland. Zu sehen ist auf dem Plakat zudem die von der Kathedrale nur einen Steinwurf entfernte Statue Peters des Großen. Der Begründer des russischen Imperiums ist das erklärte Vorbild des seit sieben Jahren regierenden Putin. Der hat gerade erste Maßnahmen erlassen, um auch nach Ablauf seiner zweiten und laut Verfassung eigentlich letzten Amtsperiode an der Macht bleiben zu können. Zarenstatue, Kathedrale und Kreml bilden entlang der Moskwa eine imposante Kulisse mit einer klaren Botschaft: Imperiale Macht, traditioneller Glaube und patriotische Regierung symbolisieren den alten und bilden die Grundlagen des neuen Staates. Die Orthodoxe Kirche, die als einzige Glaubensinstitution aus vorrevolutionärer Zeit die Sowjetzeit überdauert hat, gilt dabei als Mittlerin zwischen Vergangenheit und Zukunft. So jedenfalls will es das Plakat. Zwar definiert die nach westlichem Vorbild geschriebene und 1993 verabschiedete Verfassung Rußland ausdrücklich als säkularen Staat, in dem es keine Staatsreligion geben dürfe. Doch noch in der Amtszeit Boris Jelzins, der sich gern der Heldentaten der russischen Geschichte annahm, buchstabierte das Parlament zurück. Das 1997 verabschiedete Gesetz zu „Gewissensfreiheit und religiösen Organisationen“ betont ausdrücklich die „besondere Rolle der Orthodoxie in der Geschichte Rußlands“. Die Orthodoxen selbst ließen sich das nicht zweimal sagen. In der 2000 aufgestellten „Sozialdoktrin“ der ROK heißt es dazu, daß das Verhältnis zwischen weltlicher Gewalt und russischer Orthodoxie nur mit jenem „von Körper und Seele“ zu vergleichen sei. In der Doktrin wurde ausdrücklich die Nähe zum Staat und mithin der Machtanspruch der ROK gegenüber den anderen Konfessionen im Lande betont. Im geheimen war die Annäherung zwischen Orthodoxie und Staatmacht freilich längst vollzogen. Bereits Mitte der 1990er Jahre suchte die ROK den Schutz des Staates und bot ihm dafür ihre dienende Rolle an. Das Moskauer Patriarchat schloß Verträge über die Zusammenarbeit mit Ministerien, die ihm umfangreiche Möglichkeiten boten, in der Armee, bei Polizei und Geheimdienst sowie in Haftanstalten und anderen staatlichen Einrichtungen präsent zu sein. Offenbar erkannten sowohl Orthodoxe als auch der Staat die Vorteile einer solchen Symbiose. Der Kirche bot sich mit den von der Öffentlichkeit gut abgeschirmten Räumen ein bequemes Missionierungsfeld an. Die Staatseinrichtungen ihrerseits sahen nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in der ROK einen sinnvollen Ideologieersatz. So konnten jetzt beispielsweise anstelle von Politoffizieren orthodoxe Priester die patriotische Erziehung der Soldaten übernehmen. Schließlich teilten Staatsdiener wie Russisch-Orthodoxe die Nostalgie für das untergegangene Weltreich – die einen eher für das kommunistische, die anderen eher für das zaristische. Damit lieferten sie im kleinen ein adäquates Abbild der russischen Gesellschaft. Die Differenz im Rückbezug galt es jedoch zu überbrücken. Putin tat dies mit dem Verweis auf die Notwendigkeit eines „national-eigenständigen Entwicklungspfades“, den kein echter russischer Patriot in Zweifel ziehen könne. Und Patrioten waren sie nun einmal allesamt, Militärs wie Orthodoxe. Demzufolge ließ sich der Staat das Bündnis mit den Orthodoxen auch etwas kosten. Deren akuten Finanzbedarf, der unter anderem mit der Restaurierung und dem Wiederaufbau von Kirchen, Klöstern und Gemeinden zusammenhing, konnte nur der Staat halbwegs decken. Denn anders als in Deutschland wird die Kirche in Rußland nur spenden-, nicht aber steuerfinanziert. Die staatlichen Gelder flossen zunächst etwas zaghaft, doch bald schon offener und in immer höheren Beträgen. Zudem spendeten große Unternehmen unter dem Druck staatlicher Behörden gehörige Summen. Als Putin 2000 nach der feierlichen Amtsübernahme im Krönungssaal des Kreml in der Christus-Erlöser-Kathedrale auch den speziellen Segen von Patriarch Alexi II. erbat, gemahnte ihn dieser, stets „der großen Verantwortung des Herrschers vor Volk, Geschichte und Gott“ gerecht zu werden. Seinerseits versprach Alexi, daß „die Russisch-Orthodoxe Kirche der weltlichen Macht unabdingbar in den Unternehmen helfen wird, die auf die Wiedergeburt des Heimatlands gerichtet sind“. Der Pakt zwischen Staat und Kirche zur nationalen Erneuerung des Landes war nun auch offiziell endgültig besiegelt. Das war ganz im Sinne der russischen Bevölkerung, die sich nach den sozialen Erschütterungen der 1990er Jahre erschöpft ins Private zurückgezogen hatte: Während die Wendegewinner mit dem demokratischen Prinzip nichts mehr anfangen konnten, weil es ihnen im permanenten Wettlauf um den Zugriff auf Rußlands materielle Ressourcen nur hinderlich war, mißtraute das Gros der Wendeverlierer, vom täglichen Überlebenskampf ausgelaugt, der russischen Politik im ganzen. Gemeinsam war beiden Lagern freilich die tiefe Sehnsucht nach einer neuen historischen Selbstvergewisserung und einer starken, ordnenden Hand, wie sie nun Präsident und Patriarch durch den gemeinsamen Schulterschluß symbolisierten. Es war die ROK, die dieser Sehnsucht mit einer von ihr initiierten „Wertedebatte“ im Frühjahr 2006 erneut Rechnung trug: Er glaube nicht, so deren Chefideologe Kirill, Metropolit von Smolensk und Kaliningrad, daß die säkularen und liberalen Werte des Westens den Status universeller Werte in Anspruch nehmen können. Zugleich verwies er – ganz im Sinne Putins – auf Rußlands eigenständigen Weg. Wie dieser nach Auffassung der Orthodoxen Kirche auszusehen hat, kann man der soeben veröffentlichten „Russischen Doktrin“ entnehmen. Die sieht vor allem eine starke Rolle des Staates vor und fordert die Entwicklung „nationaler geistiger Werte“. Bislang hat sich allerdings nur die offiziell nicht zugelassene Partei „Großrußland“ zu dieser Doktrin bekannt, während sich Putin selbst in Schweigen hüllt. Dabei dürften die Punkte des Kirchenprogramms auch auf seiner Erneuerungsagenda ganz oben stehen. So fordern die Orthodoxen etwa, daß der Staat die vollständige Kontrolle über die Rohstoffe des Landes, die Finanzen, den Außenhandel und die Rüstungsindustrie zurückerhält. Auch wiederholt sie ihre seit Jahren geübte scharfe Kritik an Rußlands Oligarchie und deren Verschwendungssucht. „Die Rückgabe der gesetzmäßigen Einnahmequellen an den Staat und der sozialen Gerechtigkeit an das Volk müssen zur Hauptaufgabe einer wirklich nationalen russischen Elite werden“, ergänzte Metropolit Kirill die Doktrin. Und weiter: Das 800 Seiten umfassende Programm verstehe sich vor allem als „Projekt zur Modernisierung Rußlands auf der Basis geistig-moralischer Werte und einer konservativen Ideologie“. Mit Programmen wie der „Russischen Doktrin“ versucht die orthodoxe Kirche das politische Tagesgeschehen positiv zu beeinflussen. Denn erst vor wenigen Wochen war es zu einem offenen Konflikt zwischen der Russischen Akademie der Wissenschaften und der Kirche gekommen. Führende Wissenschaftler hatten in einem Offenen Brief an Putin vor einer „Klerikalisierung“ des Staates gewarnt und die Orthodoxen aufgefordert, sich aus den Belangen der Politik und Wissenschaft herauszuhalten. Gegenstand der Kritik war vor allem die Einführung des Schulfachs „Grundlagen der orthodoxen Religion“, von der man befürchtet, daß sie die Deutungshoheit der ROK in weltanschaulichen Fragen nach sich ziehen könnte. Man verwies auf Rußland als einen „multikonfessionellen Vielvölkerstaat“, in dem alle Religionen gehört werden müßten. In dasselbe Horn stießen die Vertreter des Islam, die einen eigenen Islamunterricht forderten. Dies wiederum wollen die Orthodoxen wie die Regierung um jeden Preis vermeiden. Hinter der Kritik der Akademie steckt jedoch wohl eher die Furcht, daß die Orthodoxie zur Staatsreligion werden könnte, mit einem nicht abzuschätzenden Einflußgewinn. Kleinere Anzeichen dafür gibt es in der Tat. So löste die Moskauer Ausstellung „Verbotene Kunst 2006“ Empörung bei der ROK aus, weil dort eine Christus-Abbildung mit der Aufschrift „Coca Cola – This is my blood“ und einige Fotocollagen gezeigt wurden, in denen Mickymaus als Moses auftritt. Das verletze die Gefühle der Gläubigen, schäumte daraufhin der Pressesprecher der ROK: „Dabei ist unerheblich, in welchem Raum oder an welchem versteckten Ort die Bilder gezeigt werden.“ Einer Argumentation, die die Moskauer Staatsanwaltschaft bereitwillig aufnahm, indem sie ein Verfahren gegen den Kurator und den Museumsdirektor „wegen antireligiöser Hetze“ einleitete. Und Putin? Putin schweigt. Er weiß, wie einst im zaristischen Rußland ist die Verbindung von Orthodoxer Kirche und nationaler Identität mittlerweile wieder verpflichtend: Russisch ist orthodox, und orthodox ist russisch. In diesem Sinne wirkt die Verbindung mit der ROK konsolidierend und einigend, doch eine „neue russische Idee“ ist das noch lange nicht. Foto: Präsident Wladimir Putin und Metropolit Laurus: Rußland ist orthodox, und orthodox ist russisch Stichwort: Religionen in der Russischen Föderation Informationen der russischen Botschaft zufolge fehlen „glaubwürdige“ Statistiken über die Zahl der Gläubigen in der Russischen Föderation. In den Kirchen wird keine Erfassung der Gemeindemitglieder vorgenommen, heißt es. Umfragen belegen aber, daß sich 40 bis 50 Prozent der 142 Millionen Einwohner Rußlands als Anhänger der Orthodoxie bezeichnen. Sieben Prozent bekennen sich zum Islam. 11 Prozent glauben an die Existenz einer „übernatürlichen Kraft“, und 30 Prozent erklären sich zu Atheisten. Dazu kommen zwei Millionen Protestanten und 1,3 Millionen Katholiken.

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