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Die Briten erinnern sich

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Wie sympathisch ist einem doch ein Mensch, der zur Selbstkritik fähig ist und einen begangenen Fehler freimütig bereut. Da denken wir nicht an die starre Maske eines Günther Oettinger, der unter sichtlichem politischen Druck Gesagtes zähneknirschend zurückzieht und Entschuldigungen hervorpreßt, um sein nacktes politisches Überleben zu sichern. Nein, gemeint ist die ernsthaft erwogene Selbstkorrektur, wenn eine lange vertretene Position revidiert wird, weil sie als falsch erkannt wurde und aus moralischen Erwägungen nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Als Jörg Friedrich 2002 sein Buch „Der Brand“ vorlegte, stieß er in Deutschland eine Monate dauernde Debatte an. Gestritten wurde über die Einordnung des alliierten Bombenkriegs gegen die deutsche Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg neben anderen Kriegsverbrechen. Friedrich hatte wie zuvor kein anderer sprachlichen Ausdruck gefunden für die barbarische vorsätzliche Auslöschung deutscher Städte im Zuge dieses Bombenkriegs, der die Vernichtung der Zivilbevölkerung nicht in Kauf nahm, sondern sogar gezielt beabsichtigte. Irritiert blickte die britische Öffentlichkeit damals nach Deutschland. Man reagierte zurückhaltend bis abweisend auf die Aufarbeitung dieses Kapitels der Geschichte, das vor allem Briten beschämen mußte, denn auf ihr Konto ging im wesentlichen dieser Bombenkrieg. Bis zuletzt wollte sich auch kein britischer Verlag finden, Friedrichs Buch für den englischen Markt herauszubringen. Nun ist es in einem US-Verlag publiziert worden und schlägt auf der Insel Wellen. Langsam erreicht nun doch auch die britische Öffentlichkeit dieses heikle Thema, das bislang nur wenige Fachhistoriker beschäftigte. Auf deutsch ist vor kurzem das bewegende Buch „Die toten Städte“ aus der Feder des britischen Schriftstellers und Philosophen Anthony C. Grayling erschienen. Der deutsche Luftkriegsexperte Horst Boog stellt in seiner Besprechung in dieser Zeitung (Seite 15) fest, daß damit der Bombenkrieg gegen Deutschlands Städte „erstmals in England einer konkludenten, umfassenden und unbarmherzig rigorosen moralischen Kritik“ unterworfen werde. Grayling räume mit allen Mythen über den Bombenterror auf und analysiere, daß die Flächenbombardements insbesondere in den letzten Kriegsmonaten aus militärischer Sicht völlig überflüssig waren. Richard Overy, Nestor der britischen Luftkriegsforschung, findet im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT (Seite 3) ebenfalls deutliche Worte. Das Problem sei bisher gewesen, daß „kaum ein Brite weiß, daß wir im Bombenkrieg bis 1945 etwa eine halbe Million Deutsche – fast ausschließlich Zivilisten – getötet haben“. Diese Wahrheit berühre den britischen „Opfermythos“. Overy geht sogar so weit, Bombenkrieg und Holocaust in Beziehung zu setzen, als beide „einen gleichen Kontext teilen“, nämlich „Planung und organisatorische Durchführung eines Massenmordes“. Jörg Friedrich komme das Verdienst zu, vielen „die Augen geöffnet“ zu haben. Nationale Schande beim Namen zu nennen, Worte für namenlose Verbrechen zu finden, beschädigt ein Volk nicht, sondern ehrt es.

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