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Der Antifa-Konsens

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Pünktlich zum 13. August hob in der Presse ein großes Blätterrauschen über ein neuentdecktes Stasi-Dokument an, das anwies, auf DDR-Flüchtlinge an der Grenze – einschließlich Frauen und Kinder – wie auf Hasen zu schießen. Die Veröffentlichung unmittelbar vor dem Jahrestag des Mauerbaus war kein Zufall, die mediale Aufregung darüber künstlich. Weder faktisch noch dem Inhalt nach enthielt das Dokument Neues. Schon vor zehn Jahren war es publiziert worden. Im übrigen waren die Hunderten Toten an der innerdeutschen und an der Berliner Sektorengrenze längst Beweis genug, daß das DDR-Regime außerstande war, die Menschen positiv von sich zu überzeugen. Um sie trotzdem bei sich halten zu können, wurde es in letzter Konsequenz zu einem mörderischen. Warum jetzt die künstliche Sensation? Die Kampagne ist ein – klar mißglückter – Versuch, den Linkstrend in der deutschen Gesellschaft zu stoppen. Zwei Stoßrichtungen sind in ihr erkennbar, eine geschichts- und eine parteipolitische. Das ist logisch, denn der geschichtspolitische Status quo bildet die Voraussetzung für den Aufstieg der Linkspartei. Die DDR, auch „zweite deutsche Diktatur“ genannt, stellt im Alltagsbewußtsein nur ein skurriles Detail dar. Soweit nicht Gleichgültigkeit oder Unwissen vorherrschen, wird sie von der Popkultur vereinnahmt. Jüngstes Beispiel ist ein sogenanntes „Ostel“ in Berlin, wo Touristen im Original-Ambiente inklusive Honecker-Bild nächtigen können. Das soll keine politische Demonstration sein, es ist eine Geschäftsidee. Das Verlierer-Image der DDR wird gegen die globalisierte Leistungsgesellschaft und Warenwelt ironisch in Stellung gebracht. Doch kommt diese Ironie ohne historisches Grundwissen aus. Sie ist daher nicht harmlos unpolitisch, sondern politisch manipulier- und nutzbar. Wo sich die Erinnerung an den realexistierenden Sozialismus auf deutschem Boden in allgemeiner Heiterkeit auflöst, kann die Linkspartei ungestört das Feld beackern. Dagegen wurde nun die Enthüllung des „Schießbefehls“ gesetzt. Schockartig sollte er die Öffentlichkeit mit der DDR-Realität konfrontieren und zum Umdenken bringen. Der Versuch war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Warum? Die rote Diktatur läßt sich nicht ohne die braune betrachten. Darüber aber, wie die DDR und das Dritte Reich in Relation zu setzen sind, ist längst eine politische Grundsatzentscheidung gefallen. Die DDR habe Akten-, das Dritte Reich Leichenberge hinterlassen – diese griffige Formulierung Gregor Gysis ist allgemein akzeptierter, bundesdeutscher Antifa-Konsens. Auf dieser Grundlage ist der linke Zeitgeist geschichtspolitisch unschlagbar. Die historische Wahrheit indes ist vertrackter. Um die brutale Essenz der DDR zu erfassen, darf man sie nicht isoliert, sondern muß sie als Teil des sozialistischen Weltsystems und der kommunistischen Weltbewegung im 20. Jahrhundert betrachten. Die KPD, der Vorläufer der SED, war seit 1918 Teil davon. Sie hat den stalinistischen Terror in der Sowjetunion gebilligt, politisch und moralisch unterstützt und hätte ihn auf Deutschland übertragen, wenn sie nur die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Nach 1945 konnten ihre Führer als Satrapen der Sowjetunion ihre Herrschaft entfalten. Zu diesem Zeitpunkt war Stalin bereits zu alt, Terrorwellen wie in den 1920er und 1930er Jahren loszutreten und die SED-Führung daran zu beteiligen. Wegen der amerikanischen Atombombe wagte Stalin nicht, seine konventionelle Überlegenheit zu einem Vorstoß bis an den Rhein oder Atlantik zu nutzen. Auch diese erzwungene Zurückhaltung schlägt heute für die DDR-Verharmloser zu Buche – unverdientermaßen. Es muß daran erinnert werden, daß das Dritte Reich seine echten Massenverbrechen erst nach Kriegsausbruch beging. Bis 1939 war die Zahl der politischen Häftlinge jedenfalls geringer als in der viel kleineren SBZ/DDR. Doch wer solche Vergleiche anstellt, gilt als „Verharmloser der NS-Diktatur“. Unter dieser Voraussetzung ist die geschichtspolitische Delegitimierung der Linken unmöglich. Das gibt ihr auch parteipolitisch einen uneinholbaren Vorsprung. Die Fusion mit der westdeutschen WASG und der Übertritt der SPD-Politiker Oskar Lafontaine und Ulrich Maurer hat den Bann gebrochen, den die westdeutschen Wähler mehr als 15 Jahre lang über die SED-Nachfolger verhängt hatten. Aus der strukturellen Mehrheit der Linken ist eine politische geworden! Erschwerend kommt hinzu, daß im Westen der Sozialstaat das wichtigste identitätsstiftende Element war. Heute geht die antifaschistische Betroffenheit mit den hybriden Erwartungen und asozialen Verhaltensweisen, die der Sozialstaat jahrzehntelang geweckt und gefördert hat, eine unheilvolle Synthese ein. Dieser moralische Sozialismus ist mehrheitsfähig bis in das Unionslager hinein. Eine „(Links-)Koalition der sozialen Gerechtigkeit“ muß dazu nur mit der allmählichen Systemveränderung – statt mit dem Systemsturz – werben: durch die flächendeckende Einführung der Gesamtschule, durch die Enteignung privater Krankenkassen, der Hausbesitzer und Sparer usw. Die Hoffnung, mit die Besetzung der sozialen Frage rechts von der Union Wählerstimmen einfangen bzw. enttäuschte Nichtwähler dort neu positionieren zu können, hat sich erledigt. Die Wähler wissen, daß rechte Protestparteien außerhalb des geschichtspolitischen, antifaschistischen Konsens stehen, damit kaltgestellt sind und ihr Protest ins Leere läuft. Die Linkspartei dagegen ist Teil des Konsenses und kann die Wählerwut direkt in politische Entscheidungsprozesse einspeisen. So greifen Geschichts- und Parteipolitik ineinander. Da die CDU diesen Verirrungen nicht beizeiten ein eigenes Wertekonzept entgegengesetzt hatte, hält die Mehrheit der Bevölkerung die Entwicklung heute für normal. Als Grund für das Ausbluten des Sozialstaats kann sie sich nur den fehlenden Willen zur Gerechtigkeit vorstellen. Die Wut darüber kommt keiner bürgerlichen oder rechten Partei zugute, sondern sie fließt auf die Mühlen der Linkspartei, die verspricht, die Gerechtigkeit wiederherzustellen und den Sozialstaat im alten Umfang zu erhalten – was nur auf Kosten der Mittelschichten und der Zukunftsfähigkeit Deutschlands möglich ist. Gegen diese Linksverschiebung des politischen Koordinatensystems, die gar keine andere Politik als eine linke mehr zuläßt, helfen keine falschen Enthüllungen aus der Birthler-Behörde und keine kurzatmigen Kampagnen. Dazu muß man an die geistigen Wurzeln der Fehlentwicklungen gehen!

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