Für Institutionen gibt es keine Bestandsgarantie. Sie sind mühsam und immer wieder von neuem dem anarchischen Naturzustand abgerungene Kulturleistungen. Die vielleicht älteste der menschlichen Institutionen, die Ehe zwischen Mann und Frau, bildet da keine Ausnahme: Wird sie nicht mehr als Wert an sich geschätzt und allgemein akzeptiert und verliert sie ihre Funktion im Gefüge des Gemeinwesens, ist sie in ihrem Bestand bedroht. Und mit ihr die Familie, die vielgepriesene „Keimzelle der Gesellschaft“. Ist die Ehe tatsächlich ein Auslaufmodell? Ja, lautet die Antwort, blickt man auf die seit Jahrzehnten stetig sinkende Zahl der Eheschließungen und die ebenso kontinuierlich ansteigende Scheidungsrate. Dem alarmierenden Befund scheint die wachsende Popularität von Hochzeitsmessen und ähnlichen Kommerzveranstaltungen entgegenzustehen, von der Inflation einschlägiger Ratgeberzeitschriften ganz zu schweigen. Der Widerspruch ist indes nur scheinbar. Nahezu jede zweite Ehe wird derzeit in Deutschland geschieden. Das Phänomen ist nicht auf unser bröckelndes Wohlstandswunderland beschränkt, in Österreich etwa liegt die Scheidungsrate ähnlich hoch. Die Gründe liegen nur auf den ersten Blick in den Partnern selbst. Sie sind Kinder ihrer Zeit, einer Zeit, deren Geist die egoistische „Selbstverwirklichung“ und das unbedingte Streben nach diesseitigem Glück mit Großbuchstaben schreibt, von Pflicht, Verantwortung, Rückbindung an Überzeitliches und Sich-Selbst-Zurücknehmen im Dienste übergeordneter Werte dagegen am liebsten gar nichts hören möchte. Der Niedergang der bürgerlichen Ehe ist ein Musterbeispiel dafür, wie Institutionen beim Durchmarsch der 68er durch dieselben gleich selbst auf der Strecke geblieben sind. Einst als bürgerlich-patriarchalisches Repressionswerkzeug bekämpft, scheinen Ehe und Kleinfamilie derzeit nur noch als jederzeit ersetzbares und beliebig erweiterbares Selbstverwirklichungsinstrument zu überleben. Ihre Funktion als Versorgungs-, Erwerbs- und Selbstbehauptungsgemeinschaft hat die Ehe bereits auf dem Weg von der modernen Industriegesellschaft in den allzuständigen und omnipräsenten Wohlfahrtsstaat verloren. Die mit der Einführung der umlagefinanzierten Rente einhergehende Vergesellschaftung der Alterssicherung durch Nachkommenschaft hat der Ehe als Fortpflanzungsgemeinschaft einen schweren Schlag versetzt. Die Krise der Ehe ist nicht zu trennen von ihrer schrittweisen Delegitimierung als Keimzelle der Familie und als natürlicher Rahmen der Fürsorge für den Nachwuchs. Das rührt an die Wurzeln der Staatsverfassung, die mit gutem Grund die Institution Ehe unter den besonderen Schutz des Gemeinwesens stellt. Nicht weil traute Zweisamkeit dem Staat besonders am Herzen liegt, sondern weil die Ehe zwischen Mann und Frau Grundbedingung für das Zeugen und Großziehen von Kindern in einer geschützten Sphäre ist, die ihr Heranwachsen zu mündigen und verantwortungsbewußten Persönlichkeiten gewährleisten soll. Unter den Bedingungen der wohlfahrtsstaatlich abgesicherten modernen Industriegesellschaft ist dies die wichtigste und staatspolitisch gesehen die einzig öffentlich interessierende Aufgabe von Ehe und Familie. Es entspricht dem „emanzipatorischen“ Zeitgeist linker Provenienz, diesen Zusammenhang zu leugnen und, als Konsequenz dieser Negierung, nach Kräften zu zerstören. Das Herumsägen der Gesellschaftsingenieure am Ehewesen zeitigt Folgen, die als Rechtfertigung für weitere Experimente herhalten müssen. Das Überhandnehmen von Familien, die mangels Wertorientierung an ihrer Aufgabe versagen, zerbrechen oder resignieren, von desorientierten Scheidungswaisen und emotional und sozial verwahrlosten Kindern aus ebensolchen Elternhäusern, wird zum Argument für eine Politik, die den Eltern die Verantwortung für Erziehung und Bildung des Nachwuchses ganz zu entwinden sucht: durch Kindergarten- und Vorschulpflicht, durch Vorverlegung des staatlichen Zugriffs ins Säuglingsalter, durch die Tendenz zur alternativlosen Ganztagsbetreuung und durch die Reduzierung schulischer Bildungsmöglichkeiten bis hin zur Einheitsschule. Hat die Institution Ehe auch noch die Zuständigkeit für Kinder und Erziehung verloren, bleibt allerdings einzig das Privatvergnügen übrig. Damit stellt sich die Frage, ob dieses überhaupt noch förderungswürdig wäre oder aber ob die restlichen, meist steuerlichen oder rechtlichen Privilegien der Ehe nicht auch anderen zufälligen und zeitgeistigen Formen des Zusammenlebens zu gewähren seien. Die noch immer irrtümlich als „konservativ“ etikettierten politischen Kräfte, von denen man schon ihres christlichen Anspruchs wegen Widerstand gegen diese Demontagestrategie erwartet hätte, treten längst als deren Vorkämpfer auf. Von linksaußen bis zur Union hat sich die materialistisch-funktionale Betrachtung des Menschen als Ressource durchgesetzt. Vater und Mutter sieht sie in erster Linie als Arbeitsmarktteilnehmer und Sozialbeitragszahler, denen man die „Last“ ihrer Kinder abzunehmen hätte – als Reservoir des „Rohstoffs Bildung“ wären diese ohnehin beim Staat in den besten, fördernden Händen. Als Folge dieser Fehlsteuerung wird unter dem Etikett „Familienpolitik“ alles mögliche gehandelt, was damit gar nichts zu tun hat, von der sozialpolitischen Umverteilung über die ökonomische Mobilisierung der Frauen bis zum sozialtherapeutischen Umerziehungsprogramm für den neuen Menschen. Je mehr Geld die Politik dafür umverteilt, desto mehr Mitsprache verlangt sie, desto mehr entmündigt sie Eheleute und Eltern. Der Verfassungsauftrag des Schutzes von Ehe und Familie begründet gerade keine Bevormundungspflicht – er ist ein Freiheitsrecht des einzelnen. Denn Ehe und Elternrecht sind älter als der Staat und nicht von ihm abgeleitet. Wo Kinderaufzucht und -erziehung vergesellschaftet werden, ist der Totalitarismus nicht mehr fern, auch wenn er als sanfte Wohlfahrtsglucke daherkommt. Die Verstaatlichung der Generationenfolge nimmt dem Individuum den staatsfreien Raum, der für die Entfaltung der Persönlichkeit unabdingbar ist. Soll die Ehe als Fundament der menschlichen Gesellschaft wiederhergestellt werden, ist Entstaatlichung das Gebot der Stunde. Der Staat muß seinen Bürgern die geistige und materielle Freiheit lassen, selbst zu entscheiden, wie sie ihr Leben und die Zukunft ihrer Kinder gestalten wollen. Das ist nicht nur die bessere Familienpolitik. Es ist eine Frage der Freiheit, der Menschenwürde und der Selbstbestimmung in Verantwortung.