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Mut zum Unterschied

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Daß der deutsche Föderalismus reformbedürftig ist, hat sich allmählich her­umgesprochen. Bundestag und Bundesrat haben 2003 eine Föderalismus-Kommission eingesetzt, die neue Regierung will deren Ergebnisse und noch ein bißchen mehr ins Grundgesetz schreiben – ja, sie hat sogar angekündigt, auch die Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern anzupacken. Warum ist das alles so wichtig? Es geht um die Handlungsfähigkeit der Organe unserer Republik. Nur ein handlungsfähiger Staat ist auch reformfähig; und daß Reformfähigkeit eine Sache ist, von der wir jetzt und in absehbarer Zukunft sehr viel brauchen, steht außer Frage. Kann man einen Staat als handlungsfähig bezeichnen, dessen Bundesgesetzgeber in der Mehrzahl seiner Entscheidungen von der Zustimmung der Länder abhängig ist und dessen Länder in fast jeder Beziehung ihrerseits auf den Bund angewiesen sind? Wohl kaum. Das war nicht immer so. In den Anfangsjahren der Bundesrepublik waren Bund und Länder in ihren Zuständigkeiten und Handlungsmöglichkeiten weitgehend voneinander unabhängig. Aber in den Jahrzehnten danach erfolgte eine schleichende Verflechtung. Ergebnis: substanzarme Landespolitik und dauerblockierte Bundespolitik. Es kommt also darauf an, die Zuständigkeiten der Bundes- und der Länder-Ebene wieder zu entflechten und jede Ebene für sich selbst handlungsfähig zu machen. Dabei geht es auch um das urdemokratische Erfordernis der Transparenz. Die herrschende Vermischung von Kompetenzen ist nämlich zugleich eine Verwischung von Verantwortung: Der Bürger kann im Normalfall nicht erkennen, wem Ergebnisse – oder Nicht-Ergebnisse – der Politik zuzurechnen sind und wen er bei Wahlen zur Verantwortung ziehen kann. Und es ist ein höchst verderblicher Anreiz für alle Politiker, die Schuld für eigenes Versagen auf die jeweils anderen zu schieben – ein wesentlicher Grund für die vielbeklagte Politikverdrossenheit der Deutschen. Die Föderalismus-Kommission hat nur einen Teil der Probleme gelöst. Bei der Entflechtung hätte sie konsequenter sein müssen; bei der Vertretung Deutschlands in Europa hat sie überzogene Mitwirkungsrechte der Länder nicht korrigiert, und die Finanzentflechtung hat sie gar nicht erst angefaßt. Dabei ist dies eine zentrale Frage: Die schönste Gesetzgebungs-Autonomie ist nicht viel wert, wenn keine entsprechende Finanz-Autonomie dahintersteht. Freilich geht es hier ans Eingemachte: Wer zahlt, schafft an. Und vor allem: Wenn die Länder in ihrer Steuerpolitik autonom(er) werden, könnte es ja unterschiedliche Steuerbelastungen in Deutschland geben! Für uniformitätsverliebte Deutsche eine unerträgliche Vorstellung. Im Ernst: Ein Föderalismus ohne Unterschiede ist kein Föderalismus. Entweder man hat autonome Einheiten, oder man hat Uniformität. Und eines ist gewiß: Der produktive Ansatz ist die Vielfalt, nicht die Uniformität. Was wir mehr denn je brauchen, ist der Mut zum produktiven Unterschied. Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel war von 1995 bis 2000 Präsident des BDI. Heute ist er Vorstandschef der Reforminitiative „Konvent für Deutschland“.

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