Das war’s dann wohl. Ob es nun Adrenalin, Alkohol oder gekränkter Narzißmus waren, die zu Gerhard Schröders größenwahnsinnigem Auftritt am Sonntagabend in der Elefantenrunde von ARD und ZDF geführt haben, ist am Ende egal. Es war vom Medienkanzler nicht bloß unklug, die Medien zu beschimpfen und lauthals auf einen Machtanspruch zu pochen, den das Wahlergebnis beim besten Willen nicht rechtfertigt, es war ein politischer Fehler. Jeder hat um Schröders fulminanten Wahlkampf gewußt, und es hätte seinerseits nur ein wenig Demut gebraucht, um seinen Stern noch heller erstrahlen zu lassen. Als Staatsmann, der er zu sein beansprucht, hätte er wissen müssen, daß er dafür zu erschöpft und angespannt war. Er hätte sich den Auftritt ersparen und Franz Müntefering ins Studio bitten müssen. Schröders Neigung zu cäsaristischen Gesten ist bekannt. Er konnte dafür auf Verständnis rechnen, solange es ihm wenigstens vordergründig um politische Führung und um die Durchsetzung notwendiger Entscheidungen ging. Jetzt geht es ihm nur noch um die Befriedigung seiner Eigenliebe. In Schröders Entgleisung offenbaren sich die Gefahren des Mediencharismas. Irgendwann neigen seine Protagonisten dazu, mit der medialen Kunstfigur zu verschmelzen, die sie von sich selbst entworfen haben. Deshalb wird der Verlust der öffentlichen Rolle, der mit dem Machtverlust einhergeht, von ihnen als Amputation ihres Selbst empfunden. Das erklärt Schröders verzweifelt-demagogische Gegenwehr, die sich schon zuvor in seinen Ausfällen gegen den Steuerrechtler Paul Kirchhof entladen hatte. Damit war bereits sein persönliches zu einem politischen Problem geworden. Denn ein Politiker, der mit Sticheleien gegen den „Professor aus Heidelberg“ an die Neidkomplexe und Geistfeindlichkeit im gesunden Volksempfinden appelliert, hat sich als Regierungschef einer modernen Industrienation disqualifiziert. Was Schröder an Kirchhof kritisierte, war die Tatsache, daß dieser nicht zu den „Intellektuellen“ und damit zu den politisierenden Schmalspurexperten gehört, die, nach einer Formulierung von Julien Benda, dem Spezifischen – zum Beispiel: Gerhard Schröder – verhaftet bleiben, sondern ein geistiger Mensch ist, der mit der Empfindung für das Universelle ausgestattet ist und in metapolitischen Zusammenhängen denkt. Ein großer Teil des Wahlvolks, aber auch der politischen Klasse teilte Schröders Aversionen. Das ist ein weiteres, strukturelles Problem der deutschen Politik. Beinahe hätte das Wahlergebnis ihn politisch ins Recht gesetzt. Ausgerechnet mit seinem Fernsehauftritt, der die fehlenden Stimmen kompensieren sollte, ist er einen Schritt zu weit gegangen. Es trat ein Polit-Schamane auf, dem für jeden Zuschauer sichtbar die politische Botschaft abhanden gekommen war. In der Frontaleinstellung der Kamera sah man ein gebräuntes, fast jugendlich-entspanntes Gesicht. In der Seitenansicht aber fiel das Licht auf eine Grimasse – sie spiegelte die Tragik eines alternden Schlagersängers wider, der den Zeitpunkt für ein würdiges Karriereende unwiderruflich verpaßt hat.