KÖLN. Henriette Reker hat in einem Interview die zunehmende Verwahrlosung der Stadt Köln kritisiert. Auf eine erneute Kandidatur als Oberbürgermeisterin verzichtet sie. Nach fast zehn Jahren im Amt zieht sie sich zurück und begründet ihre Entscheidung mit der hohen Belastung sowie den begrenzten Handlungsmöglichkeiten der Stadtverwaltung.
In einem Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger erklärte die 68jährige, daß ihre zweite Amtszeit zugleich ihre letzte sein werde. Die Herausforderungen der Stadt seien immens, insbesondere die „zunehmende Verwahrlosung“, der man mit den zur Verfügung stehenden Mitteln kaum begegnen könne.
Reker kritisierte, daß es für viele Maßnahmen keine politische Mehrheit gebe. So sei es in anderen Städten üblich, Obdachlose und Drogenabhängige aus dem Zentrum zu verdrängen – in Köln sei nicht einmal das noch durchsetzbar. Auch, weil beim Ordnungsamt enorme Personalnot herrsche. Selbst bestehende Maßnahmen wie Drogenkonsumräume könnten das Problem nur mildern, nicht aber lösen. Die Entwicklung in Köln sei Teil eines gesamtgesellschaftlichen Wandels, der immer weiter voranschreite.
Reker findet Köln trotzdem lässig
Die parteilose Politikerin betonte, sie wünsche sich selbst mehr Ordnung, doch ihre Einflußmöglichkeiten seien begrenzt. „Ich bin keine Fürstin, die per Dekret verordnet“, sagte sie und verwies darauf, daß sie etwa für ein Verbot der Straßenmaler auf der Domplatte keine Mehrheit gefunden habe.
Gleichzeitig hob im sie im Interview hervor, daß Köln eine „lässige Stadt“ sei, was viele Menschen anziehe. Ihr Nachfolger müsse sich vor allem um den gesellschaftlichen Zusammenhalt kümmern: „Wir haben hier 180 Nationen, 130 Religionsgemeinschaften – alle mit starkem Selbstbewußtsein und eigener Ausstrahlung. Das zu managen ist eine Herausforderung.“
Haushaltsituation in der Domstadt ist dramatisch
Reker erinnerte zudem an den Messerangriff auf sie im Wahlkampf 2015 durch einen Rechtsextremisten, bei dem sie schwer verletzt wurde. Der Generalbundesanwalt bezeichnete sie daraufhin als erstes politisches Opfer seit der RAF. Damals gewann sie die Wahl, während sie sich im künstlichen Koma von der Notoperation erholte.
Reker mußte viel Kritik einstecken, nachdem sie in ihrer ersten Amtszeit nach der Kölner Silvesternacht 2015/16 Frauen empfahl, gegenüber Fremden eine „Armlänge Abstand“ zu halten. Später räumte sie ein, daß diese Äußerung unglücklich gewesen sei. Längst nicht die einzige Krise.
Corona, der Ukraine-Krieg, Tarifsteigerungen, die Erhöhung der Baupreise. Das alles seien Rahmenbedingungen, deren Folgen jetzt erst richtig ankommen, erzählte sie im Interview und fährt fort: „Deswegen ist die Haushaltssituation so, wie sie ist: wirklich schlecht, um nicht zu sagen dramatisch. Wir werden uns in Zukunft nicht mehr alles leisten können. Das ist noch nicht überall angekommen, aber sickert nach und nach durch.“ (rr)