BERLIN. Eine Vielzahl linker Stimmen aus Politik und Publizistik hat deutliche Kritik an dem Polizeieinsatz bei Norbert Bolz (JF berichtete) am Donnerstag geübt. Ex-Grünen-Chefin Ricarda Lang betonte, daß sie „ziemlich alles“, was sie von Bolz gelesen habe, „komplett falsch“ fand. „Aber solche Razzien sind absurd. Und die so weitgehende Interpretation des Strafrechts bei Meinungsdelikten untergräbt das Vertrauen in den Rechtsstaat.“
So ziemlich alles, was ich von Norbert Bolz je gelesen habe, fand ich politisch komplett falsch.
Aber solche Razzien sind absurd. Und die so weitgehende Interpretation des Strafrechts bei Meinungsdelikten untergräbt das Vertrauen in den Rechtsstaat. https://t.co/DcvTzfnpXf— Ricarda Lang (@Ricarda_Lang) October 23, 2025
Der frühere Grünen-Politiker Ralf Fücks, heute Leiter des Zentrums Liberale Moderne kommentierte bei X: „Ihr habt sie nicht mehr alle. Das ist Mißbrauch der Justiz gegen die Meinungsfreiheit.“ Der scharf linke Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk sprach von einer „absurden Posse, die den Rechtsstaat mehr untergräbt als irgendwelche Höcke-Sprüche“.
„Die sind nicht bescheuert, die sind gefährlich“
Auch ARD-Journalist Gabor Halasz nannte die angeordnete Hausdurchsuchung „absurd“. Ähnlich äußerte sich der Autor Hasnain Kazim: „Was er schreibt, beziehungsweise das, was ich davon zu lesen bekomme, teile ich oft nicht. Aber völlig unabhängig davon halte ich dieses Vorgehen gegen ihn für absurd.“ Welt-Autor Deniz Yücel hob hervor: „Die Berliner Staatsanwälte, die die Razzia bei Norbert Bolz angeordnet haben, sind nicht bescheuert. Sie sind gefährlich.“
Fabio De Masi, BSW-Abgeordneter im EU-Parlament, empfindet die Hausdurchsuchung bei Bolz derweil als „skandalös“. Sie sei „völlig unverhältnismäßig“ und erinnere „zunehmend an einen autoritären Einschüchterungsstaat“. De Masi forderte: „Linke sollten gegen solche autoritären Tendenzen die Stimme erheben – und zwar gerade und auch dann, wenn sie politisch Andersdenkende treffen!“
Die Hausdurchsuchung beim konservativen Medienwissenschaftler Norbert Bolz für einen erkennbar ironischen Tweet ist nach allen öffentlich bekannten Informationen skandalös, völlig unverhältnismäßig und erinnert zunehmend an einen autoritären Einschüchterungsstaat. Linke sollten…
— Fabio De Masi 🦩 (@FabioDeMasi) October 23, 2025
Auch die taz zeigte sich irritiert. „Die taz wundert sich über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft, hält eine Hausdurchsuchung wegen eines solchen Tweets für unverhältnismäßig und fragt sich, warum die Staatsanwaltschaft nicht schon 1998 bei der taz geklingelt hat, als wir titelten ‘Deutschland, erwache!‘“, heißt es in einem kurzen Beitrag zu dem Vorgang.
Ex-Justizminister mischt sich ein
In der FDP trifft der Vorfall ebenfalls auf Widerspruch. Der frühere Bundesjustizminister Marco Buschmann kommentierte in der Bild mit Blick auf den Bolz-Beitrag, der zur Hausdurchsuchung führte: „Das mag geschmacklos sein, erfüllt aber keinen Straftatbestand. Als Jurist halte ich es für rechtswidrig, auf dieser Grundlage in den grundrechtlich geschützten Bereich der Wohnung einzudringen.“
Der ehemalige FDP-Bundestagsabgeordnete Gerald Ullrich bezeichnete die Hausdurchsuchung als „unsäglich“ und als einen „Riesenskandal“. „Das Agieren der Meldestelle führt direkt in eine Gesellschaft der Angst, das kenne ich nur aus DDR-Zeiten.“ Ex-Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki hatte sich bereits am Donnerstag „einfach nur sprachlos“ gezeigt und von „kompletter Inkompetenz oder Böswilligkeit“ aufseiten derer gesprochen, die die Hausdurchsuchung veranlaßt hatten.
Die unsägliche #Hausdurchsuchung bei Norbert #Bolz ist ein riesen Skandal. Das Agieren der #Meldestelle führt direkt in eine Gesellschaft der Angst, das kenne ich nur aus #DDR-Zeiten. Der ganze Fall muss dazu führen, Meldestellen abzuschaffen. Kein Geld mehr für denunzierende… pic.twitter.com/sYvSJLrbkO
— Gerald Ullrich (@G_UllrichFDP) October 24, 2025
Auch die Welt, bei der Bolz wiederholt publiziert hat und in deren TV-Sender er auftrat, stellte sich hinter den emeritierten Professor. „Aktuell stirbt die Freiheit kilometerweise“, schrieb Herausgeber Ulf Poschardt in einem Meinungsbeitrag. „Die Hausdurchsuchung bei Norbert Bolz muß jeden liberalen Demokraten erschüttern. Höchste Zeit, daß Politik und Justiz in sich gehen und umkehren.“
Bolz mußte Computer vorführen
Norbert Bolz hatte am Donnerstagmorgen Besuch von vier Polizisten erhalten. Die Beamten rückten mit einer gerichtlichen Ermächtigung zur Hausdurchsuchung an (die JF berichtete). Anlaß war ein X-Beitrag des Medienwissenschaftlers vom Januar 2024, in dem er ironisch auf einen taz-Beitrag Bezug genommen hatte. Die Zeitung hatte geschrieben: „AfD-Verbot und Höcke-Petition: Deutschland erwacht“.
Dazu hatte Bolz wiederum ironisch kommentiert: „Gute Übersetzung von ‘woke‘: Deutschland erwache!“ Die Staatsanwaltschaft wirft ihm deswegen das Verwenden eines Kennzeichens verfassungswidriger Organisationen vor, nämlich der NSDAP. Bolz kooperierte mit der Polizei und zeigte ihr den Computer, auf dem er den X-Beitrag seinerzeit verfaßt hatte. Die Polizei machte ein Bild davon. Den Computer konnte Bolz letztlich behalten.
Ursprünglich war der Post von Bolz durch die hessische Meldestelle „HessenGegenHetze“ an die Zentrale Meldestelle des Bundeskriminalamts weitergeleitet worden (die JF berichtete). Die schätzte den Beitrag ebenfalls als strafrechtlich relevant ein und übergab ihn wiederum an die Berliner Staatsanwaltschaft. Das Bundesinnenministerium wollte sich am Donnerstag auf JF-Nachfrage nicht inhaltlich zu dem Vorgang äußern. (ser)





