BERLIN. Der frühere Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele (SPD), hat vor organisiertem Sozialmißbrauch beim Bürgergeld gewarnt. „Das hat sich leider zu einem immer größeren Geschäftsmodell entwickelt“, sagte Scheele der Süddeutschen Zeitung. Scheele leitete die Bundesagentur von 2017 bis 2022.
Er schilderte, Antragsteller würden in heruntergekommenen Wohnungen angemeldet, fiktive Minijobs bescheinigt und anschließend Aufstockerleistungen bewilligt. Dabei würden auch noch die Kosten der Unterkunft übernommen. Scheele forderte Änderungen im Sozialgesetzbuch, um ganze Bedarfsgemeinschaften mit Scheinbeschäftigungen künftig auszuschließen.
Zugleich verlangte er, den Erwerbstätigkeitsbegriff im Sozialrecht enger zu fassen. Nur so lasse sich verhindern, daß fiktive Beschäftigungsbescheinigungen für Leistungsansprüche ausreichten. Wichtig sei auch ein verbesserter Datenabgleich der Behörden.
Unterstützung für eine Bürgergeldreform von Duisburg bis Erfurt
Unterstützung kam aus der Kommunalpolitik. Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) sprach in der Süddeutschen Zeitung von Armutszuwanderung aus Südosteuropa und „organisiertem Mißbrauch von Sozialleistungen“. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann forderte ebenfalls Änderungen. Auf europäischer Ebene müsse verhindert werden, daß schon ein Minijob genüge, um Anspruch auf Bürgergeld und Unterkunftskosten zu erhalten.
Zuspruch erhielt Scheele auch aus Thüringen. Ministerpräsident Mario Voigt (CDU) forderte in der Welt eine grundlegende Neuausrichtung. „Das Bürgergeld, so wie es derzeit existiert, muß weg“, sagte er. Die Ausgaben von 52 Milliarden Euro seien eine „Gerechtigkeitsfrage für die Fleißigen im Land“. Nötig seien stärkere Arbeitsanreize sowie strengere Vorgaben bei Wohngeld und Schonvermögen.
Die Bürgergeldreform soll nach dem Willen von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zur Chefsache werden. „Ich überlasse das nicht dem Arbeitsministerium oder anderen Stellen in der Regierung“, erklärte er in Berlin. Merz sprach von einem „Top-Down-Ansatz“ und kündigte an, das System effizienter zu machen und Mißbrauch einzudämmen.
Spahn dämpft Erwartungen
Gleichzeitig mahnte Unions-Fraktionschef Jens Spahn in der Bild, die Erwartungen zu dämpfen. Er appellierte an die Abgeordneten, nicht mehr vom „Herbst der Reformen“ zu sprechen (JF berichtete). Bis Ende des Jahres werde es keine großen Schritte geben, da die eingesetzten Kommissionen ihre Arbeit erst begonnen hätten.
Die Bild zitierte zudem einen führenden CDU-Abgeordneten, der erklärte: „Spürbare Reformen – gerade beim Sozialstaat – werden wir eher im Herbst 2026 sehen.“ Auch Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) werde ihre Pläne für Änderungen beim Bürgergeld erst im kommenden Frühjahr vorlegen. (sv)