Mit zitternden Händen, in die Knie gehend, legt eine Frau einen Strauß blaßrote Rosen vor eine rote Backsteinmauer. Dann bricht die Mutter zusammen. Sie schlägt die Hände vor das Gesicht. Ein verzweifeltes Bündel Mensch. Niemand auf dieser ganzen Welt kann sie jetzt trösten. Hier, an dieser Stelle, auf diesem alten grauen Beton, erlebte ihre einzige Tochter Liana die letzten Sekunden ihres Lebens.
Hat das junge Mädchen den nahen Tod geahnt? Hatte Liana Todesangst? Hat sie nach ihrer Mutter geschrien? Das letzte, was sie spürte, war eine Hand, die sich um ihre Schulter schraubte. Das letzte, was sie hörte, war ein brüllender Güterzug. Sie schrie. Jetzt ist Liana tot. Eine Familie in Trauer. Behörden um Ausreden nicht verlegen. Politiker, Kirchenvertreter, die ein Verbrechen kleinreden. Spurensuche in Friedland.
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„Das ist Europa, was soll hier schon passieren?“
„Sei vorsichtig, paß gut auf dich auf, sagte immer wieder die Oma zu ihr am Telefon“, erzählt unter Tränen Lianas Mutter. „Und Liana hat sie immer beruhigt. Oma, das ist Europa, was soll hier schon passieren?“ Liana war einfach glücklich, im thüringischen Geisleden zu leben.
2022 flüchtete sie mit ihrer Familie aus Angst vor den Bomben von Mariupol ins angeblich sichere Deutschland. Für sie wurde es eine Flucht in den grausamen Tod. „Wir wohnten in Mariupol. Im Krieg flohen wir nach Krywyj Rih weiter westlich, bauten uns ein neues Leben auf – bis dort die Explosionen begannen.“ Die Kinder seien in Panik gewesen, völlig hysterisch, so die Mutter. Sie hatten schon in Mariupol die Hölle erlebt. „Es gab kein Essen, kein Wasser, keine Heizung, kein Telefonnetz.“ Die Leute tauschten dort Nudeln gegen Strom, um ihr Handy aufzuladen. „Kurzerhand entschieden wir uns, ein Ticket zu kaufen und nach Deutschland zu fliehen.“
Liana war glücklich in Deutschland
Als sie hier ankamen, erinnert sich Lianas Mutter, verfolgte ihre Tochter tagelang ukrainischen Schulunterricht im Internet. Ein Angebot des ukrainischen Staates. Denn anfangs dachte die Familie, sie könnte wieder in die Ukraine zurückkehren. „Aber Liana wollte hierbleiben, hier lernen“, so die Mutter. „Sie sagte, ihr gefällt, wie hier alles organisiert ist. Diese Ordnung, diese Regeln, diese Gesetzte, das hat ihr alles gefallen.“
Nach der Berufsmesse in Erfurt wollte sie trotz der Einwände der Eltern, daß sie noch jung sei und noch lernen könne, eine Ausbildung in einer Zahnarztpraxis beginnen. Dafür setzte sie sich ein, da sie beweisen wollte, bereit zu sein. „Sie hat sogar ihre Bewerbungen selber geschrieben. Und dann hat es ja auch geklappt. Da haben wir beschlossen, sie vollkommen zu unterstützen.“
Seit dem 1. Juni hat Liana eine Praktikumsstelle in einer Zahnarztpraxis, gelegen zwischen dem Bahnhof und dem Grenzdurchgangslager Friedland. Doch ihre Oma war ständig besorgt um sie. „Deshalb sagte Liana immer, wie toll ihr Tag gewesen war.“ An diesem 11. August ist sie besonders glücklich: „Voller Freude berichtet sie an diesem Tag, eine Wohnung in Göttingen gefunden zu haben.“ Liana war in Deutschland so richtig angekommen: abgeschlossene Schulausbildung, Ausbildungsperspektive, jetzt die eigene Wohnung. Und dann läuft sie einem abgelehnten Iraker über den Weg… (JF berichtete)

Die erste Polizeimeldung der Inspektion Friedland lautet folgendermaßen: „Ein 16 Jahre altes Mädchen aus Heiligenstadt (Landkreis Eichsfeld) wurde ersten Ermittlungen zufolge gegen 16.00 Uhr auf dem Bahnsteig von einem vorbeifahrenden Güterzug touchiert und tödlich verletzt. Der genaue Hergang ist noch unklar. Die Polizei sperrte den Bahnhof weiträumig ab. Der Zugverkehr wurde bis gegen 18.50 Uhr eingestellt.“ Die Polizei sucht Zeugen, weil es völlig unklar sei, wie es zu der „tödlichen Berührung mit dem herannahenden Zug kam“.
Ohrenzeuge der letzten Sekunden und des Todesschreis ist allerdings Lianas Großvater und das tausende Kilometer entfernt – in der Ukraine. „Sie telefonierte in dem Moment mit ihm“, sagt die Mutter. „So wie fast jeden Tag, wenn sie von der Arbeit heimfuhr.“ Die Mutter versucht, das Geschehen seit Tagen immer wieder für sich zu rekonstruieren. Demnach sei ihre Tochter auf ihrem Weg zum Zug von einer Gruppe ausländischer Jugendlicher, die aus dem Grenzdurchgangslager Friedland stammten, belästigt worden. Diese Jugendlichen, die sie bereits zuvor geärgert hatten, hätten sie gewaltsam in den Gleisbereich gedrängt, was zu ihrem tragischen Tod führte, so ihre Vermutung.
AfD verlangt „vollständige Aufklärung“
Genau so schildert die Mutter es der AfD in Friedland. Die Partei veröffentlicht das auf ihrer Facebook-Seite am 25. August, also 14 Tage nach der Tat. Zum Schluß fordert die AfD: „Wir verlangen die vollständige Aufklärung des Todes von Liana!“ Darüber hinaus bittet sie Zeugen sich zu melden. Seltsam: Das Handy und die Tasche ihrer Tochter seien völlig unversehrt gewesen, so die Mutter. „Was nach einer Kollision mit einem Güterzug, der einen Menschen unverhofft erfaßt, sehr ungewöhnlich ist.“

Was passierte in den 14 Tagen? Der Bürgermeister von Geisleden, Markus Janitzki (CDU), sagt gegenüber der JUNGEN FREIHEIT: „Liana war ein ruhiges und fleißiges Mädchen.“ Er organisierte schnell, nachdem er von ihrem Tod gehört hatte, eine Spendenaktion, damit Liana würdig beerdigt werden kann. Schon 23.000 Euro sind zusammengekommen. „Dafür bedanke ich mich herzlich“, sagt die Mutter. „Wir könnten sie nicht würdig beerdigen – obwohl, was bedeutet würdig, was kann das überdecken? Ich weiß es nicht“, sagt sie und bricht wieder in Tränen aus.
Was viele Menschen in diesen Tagen, nicht nur im Eichsfeld, sondern bundesweit empört, sind einige offizielle Stellungnahmen. So sagte zwar der Gemeindebürgermeister von Friedland, Andreas Friedrichs (SPD), gegenüber dem NDR: „Ich habe selbst zwei Töchter. Ich mag mir gar nicht vorstellen, so was ertragen zu müssen.“ Um dann aber gleich zu warnen: „Aber was wir nicht brauchen, sind Haß und Hetze. Das löst das Problem nicht und die junge Frau kommt dadurch nicht wieder.“ Pastoralrätin Britta Uschkurat erklärte laut NDR: „Wir müssen vorsichtig sein mit dieser Vorverurteilung“, ein Tatverdacht sei kein Urteil. Für Uschkurat ist ein weiterer Grund für Besonnenheit: In Friedland sei man doch seit 80 Jahren gewohnt, daß Verstörte, Heruntergekommene und Traumatisierte im Ort seien.
Übrigens: Das Bundeskriminalamt zählte im vergangenen Jahr 3.895 Tatverdächtige, die Straftaten gegen das Leben begingen. Davon waren 1.490 Ausländer tatverdächtig. Das ergibt einen Anteil von 38,3 Prozent. Der Anteil der Ausländer an der Gesamtbevölkerung beträgt 14,8 Prozent.
Doch Lianas Eltern erfahren auch viel Unterstützung und Anteilnahme aus der Bevölkerung. Vor dem Wahlkreisbüro von Björn Höcke im über 1.000 Jahre alten Bad Heiligenstadt umarmen Bekannte die Mutter mitten auf der Straße. Der Tod des Mädchens entsetzt viele der rund 100.000 Einwohner im katholisch geprägten Kreis Eichsfeld. Dessen Zentrum ist Heiligenstadt. Geburtsort Tilman Riemenschneiders, hier predigte Thomas Münzer.
Polizei verdächtigt Iraker
Heute lädt eine blitzeblanke Fußgängerzone, gesäumt von Fachwerkhäusern mit Blick auf die evangelische Kirche St. Martin zum Flanieren ein. Jetzt, vor der Tür des Wahlbüros, steht ein Ehepaar, das über 1.000 Euro gesammelt hat und das Geld nun der hinterbliebenen Familie übergeben will. Eine Freundin von Lianas Mutter hatte sich zuerst an die Presse und das CDU-Wahllokal in Heiligenstadt gewandt.

Und was macht in dieser Zeit die Polizei? Schon einen Tag nach Lianas Tod bildete sie eine Mordkommission. Und langsam können die Ermittler das Tatgeschehen rekonstruieren. Am 29. August, also 18 Tage nach der Tat, dann der Knall. Die Staatsanwaltschaft Göttingen informiert in einer Pressemitteilung, daß es sich mitnichten um einen schweren Unfall handelt. Sie meldet, daß ein Mann festgenommen worden ist. „Ein 31 Jahre alter Mann mit irakischer Staatsangehörigkeit ist dringend verdächtig, am 11.08.2025 gegen 16.00 Uhr die Auszubildende vorsätzlich gegen einen mit ca. 100 km/h durch den Bahnhof fahrenden Güterzug gestoßen und dadurch getötet zu haben.“
Es stellt sich heraus, daß die Polizei zum Bahnhof Friedland gerufen worden sei, weil dort ein Mann randaliere. Drei Personen treffen die Beamten an. „Das Aussehen von einer der drei Personen – hierbei handelte es sich um den Beschuldigten – entsprach der Personenbeschreibung“, so die Staatsanwaltschaft. „Die Situation wirkte weder aufgeregt noch bedrohlich“, heißt es in einer Pressemitteilung. „Als sich die Beamten der Personengruppe näherten, sprach der 31jährige diese an und führte sie zu einem Bahnsteig des Bahnhofs. Dort fanden die Polizisten den Leichnam der 16jährigen auf dem Bahnsteig liegend.“
Polizei läßt Verdächtigen zunächst laufen
Wie infam der Iraker weiter versucht, jeden Verdacht von sich abzulenken: „Der Beschuldigte behauptete gegenüber den Beamten, er habe die Verstorbene auf dem Bahnsteig liegen gesehen. Die Begehung der Tat räumte er nicht ein.“ Er ist alkoholisiert: 1,35 Promille. „Nach Durchführung polizeilicher Maßnahmen wurde der Beschuldigte aus dem polizeilichen Gewahrsam entlassen, da Beweismittel für einen dringenden Tatverdacht zu diesem Zeitpunkt nicht vorhanden waren. Der Gleisbereich des Bahnhofs ist nicht kameraüberwacht.“
Doch gegen 18.40 Uhr dreht der Iraker in der Landesaufnahmebehörde in Friedland durch. Er wird so aggressiv, daß er in das Asklepios-Fachklinikum gebracht wird, wo er sich bis zum heutigen Tage aufhält. Gleich am Folgetag richtete die Polizei Göttingen eine Mordkommission ein.
Tatverdächtiger schweigt zu Vorwürfen
Das Landeskriminalamt Niedersachsen führt eine DNA-Untersuchung durch. Die ergibt, daß sich an der rechten Schulter der Getöteten eindeutig DNA-Spuren des Beschuldigten befinden. Muhammad A. wird am 29. August von einem Ermittlungsrichter und dem zuständigen Staatsanwalt im Asklepios-Fachklinikum aufgesucht.
„Er hat von seinem Recht Gebrauch gemacht, sich nicht zur Sache zu äußern“, so die Staatsanwaltschaft. Der Ermittlungsrichter erläßt einen Unterbringungsbefehl wegen dringenden Verdachts des Totschlags. Grund: Fluchtgefahr. „Ob der Beschuldigte im Falle eines Schuldnachweises zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird oder statt dessen eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik angeordnet wird, kann derzeit noch nicht mit Sicherheit gesagt werden.“ Im Zuge der Ermittlungen stellt sich allerdings auch ein immenses Behördenversagen heraus: Muhammad A. wird am 13.August 2022 von der Bundespolizei im Hauptbahnhof in Braunschweig kontrolliert. Dabei sagt er das Zauberwort: Asyl. Sein Antrag wird am 15. Dezember 2022 als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Litauen angeordnet. Dagegen klagt er.
Das Verwaltungsgericht Göttingen weist die Klage am 10.Februar 2025 zurück. Somit ist die Abschiebeanordnung nach Litauen seit dem 18. März 2025 vollstreckbar. Der Iraker verschwindet von der Bildfläche. Ab dem 1. Juli 2025 sitzt er allerdings im Knast. In der JVA Hannover verbüßt er eine 20tägige Ersatzfreiheitsstrafe, weil er eine Geldstrafe nicht bezahlt hatte.
„Niemand übernimmt Verantwortung“
Irgendwann erfährt nun auch die Ausländerbehörde von der Inhaftierung des 31jährigen. Sie stellt am 16. Juli 2025 beim Amtsgericht einen Antrag auf Anordnung der Abschiebehaft. Irre: Das Amtsgericht Hannover lehnt durch Beschluß vom 17. Juli 2025 die Anordnung ab. „Zur Begründung führte das Gericht aus, die Darlegungen der Landesaufnahmebehörde genügten nicht, um den Haftgrund der erheblichen Fluchtgefahr zu begründen. Dem Betroffenen sei keine Ausreisefrist gesetzt worden“, so die Staatsanwaltschaft.
Und es geht weiter. Am 22. Juli 2025 meldet sich der Beschuldigte erneut als Asylsuchender in der Landesaufnahmebehörde Friedland. „Einer daraufhin erfolgten Vorladung leistete er keine Folge. Der Beschuldigte zeigte am Tattag diverse psychische Auffälligkeiten. Bei ihm wurde bereits in der Vergangenheit eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert.“ Jetzt kommt raus: Am Tag vor der Tat saß der 31jährige in der Psychiatrie, berichtet die Hannoversche Allgemeine Zeitung.
„Daß er in die psychiatrische Klinik eingeliefert worden ist, habe ich aus den Medien erfahren“, sagt Lianas Mutter. „Ich frage mich, wie ein psychisch kranker Mensch drei Jahre lang neue oder gefälschte Dokumente einreichen und irgendwelche Berufungen einlegen konnte. Jetzt hat er meine Tochter umgebracht. Und es gibt keine Bestrafung. Niemand übernimmt Verantwortung.“ Lianas Mutter glaubt nicht, daß der Täter psychisch krank ist, und wird auf eine unabhängige Begutachtung bestehen.