BERLIN. Der „Bürgerrat Ernährung“ hat neun Maßnahmen für einen Wandel bei dem Thema präsentiert. „Demokratie geht uns alle an“, lobte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) die Arbeit des ersten nur aus ausgelosten Teilnehmern bestehenden Gremiums, auf das in Zukunft weitere folgen sollen.
Zunächst hatte der Bundestag 82 Gemeinden ausgelost und über die Meldeämter 20.000 mögliche Teilnehmer gezogen. Bas hatte diese daraufhin eingeladen, an einem Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ mitzuwirken. Schließlich wählte ein Algorithmus unter denjenigen, die Interesse bekundeten, anhand von Merkmalen wie Geschlecht, Herkunft oder Bildungsstand mögliche Bürgerräte aus, die die Bundestagspräsidentin letztlich final ausloste.
Nun liegen die neun Empfehlungen des Gremiums vor, denen dieses die größte Bedeutung beimißt. Mindestens die Hälfte der Teilnehmer hat den Forderungen jeweils zugestimmt. Ganz oben auf der Agenda des Bürgerrats: ein kostenfreies Mittagessen in Kindergärten und Schulen für alle Kinder, Erzieher und Lehrer. Mindestens 30 Prozent der Lebensmittel sollen dabei aus ökologischer Erzeugung stammen und am besten regional, saisonal und „klimafreundlich“ bezogen werden.
Kostenfreies Essen als Maßnahme gegen Stigmatisierung
Finanzieren soll das zum einen zur Hälfte der Bund sowie zum anderen das Programm „Bildung und Teilhabe“. Zudem schlug das Gremium vor, das Kindergeld nicht wie geplant zu erhöhen, sondern dieses für das kostenfreie Essen dem Programm umzuwidmen.
Ziel der Maßnahme sei es, „die Chancengleichheit zwischen den Kindern zu fördern“ und diese vor Stigmatisierung zu schützen, heißt es in dem Papier. Zudem gehe es darum, schon im Kindesalter „Ernährungsmuster zu beeinflussen“.
Bürgerrat empfiehlt staatliche Labels zu Klima und Tierwohl
Weiter soll es nach dem Willen des Bürgerrats künftig verpflichtende staatliche Labels für alle in der EU verkauften Lebensmittel geben, die die Aspekte „Klima, Tierwohl und Gesundheit“ einzeln berücksichtigen. „Das Label soll auch dazu beitragen, nicht-gesundheitsfördernde und klimaschädliche Produkte besser zu erkennen und so ihren Konsum zu reduzieren“, heißt es in der Begründung.
Zudem soll es Supermarktbetreibern bei Lebensmittelverschwendung an den Kragen gehen. Sie müßten „mit einer Geldstrafe belegt werden, wenn sie Lebensmittel ungenießbar machen oder noch genießbare Lebensmittel wegwerfen“, fordern die 160 Bürgerräte. Ihr Plan sieht vor, die noch zu verwertenden Produkte an gemeinnützige Organisationen weiterzugeben.
Sojamilch und Veggie-Würstchen als Grundnahrungsmittel
Ergänzen will das Gremium zudem die bisherige Auswahl dessen, was als Grundnahrungsmittel gilt. Auch Milchersatzprodukte wie Sojamilch oder Fleischersatz wie Veggie-Würstchen sowie alle Bio-Produkte gehören ihrer Überzeugung nach dazu.
Das könnte sich im Geldbeutel bemerkbar machen: Der Bürgerrat fordert die Mehrwertsteuer für Obst- und Gemüse in Bioqualität, Nüsse und Hülsenfrüchte sowie Mineral- und Tafelwasser auf null Prozent zu senken. Zucker soll hingegen nicht mehr als Grundnahrungsmittel gelten und mit 19 Prozent besteuert werden. Durch die Regulierung wolle man „gesunde, umwelt- und klimafreundliche, tierwohlförderliche und bezahlbare Lebensmittel für alle erreichen“.
Kommt jetzt die Tierwohlabgabe?
Tiefer in die Tasche greifen müssen die Deutschen künftig womöglich bei tierischen Nahrungsmitteln wie Fleisch, Eiern oder Milch. Wer sich für Produkte aus niedrigeren Haltungsstufen entscheidet, würde eine höhere Abgabe zahlen als bei solchen aus höheren. Als Abgabe schlagen die Bürgerräte 0,40 Euro pro Kilogramm Fleisch und fleischverarbeiteten Produkten, 0,02 Euro pro Ei und Liter Milch beziehungsweise Frischmilchprodukten sowie 0,15 Euro pro Kilogramm Käse, Butter und Milchpulver vor. Das träfe vor allem Bürger mit niedrigene Einkommen überproportional.
Weitere Vorschläge sind eine gesündere Verpflegung in Pflegeeinrichtungen, mehr Personal bei Lebensmittelkontrollen sowie die Einführung einer Altersgrenze für Energydrinks. Solche sollen Jugendliche erst ab 16 Jahren kaufen können. Nicht auf die Prioritätenliste geschafft hat es etwa die Herstellerabgabe auf alle zuckerhaltigen Getränke.
Ein Teilnehmer, der das Gremium freiwillig wieder verlassen hatte, berichtete im November von Klima-Radikalen und Grünen-Politikern im Bürgerrat Ernährung. Echte Meinungsvielfalt gebe es dort nicht. (zit)