DÜSSELDORF. Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat am Donnerstag über die Überforderung der Kommunen durch die anhaltende Asylkrise debattiert. Dabei warfen die Redner von SPD und FDP der schwarz-grünen Landesregierung von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) Versagen bei der Unterbringung der Migranten vor.
So beklagte der SPD-Abgeordnete Christian Dahm Chaos sowie Planlosigkeit und forderte einen „Kraftakt“, wie es ihn bereits nach 2015 gegeben habe. Der Vize-Vorsitzende der FDP-Fraktion, Marc Lürbke, kritisierte eine „Zangenbewegung aus grüner Ideologie und CDU-Schulterzucken. Die vorzeitige Zuweisung von Menschen ohne Bleibeperspektive an die Kommunen sei ein Offenbarungseid. „Weniger träumen, mehr organisieren“, forderte der FDP-Politiker und verwies auf die 2015 und 2016 geschaffenen 80.000 Unterbringungsplätze.
Gleichzeitig aber betonten SPD und FDP, die Aufnahme der Flüchtlinge nicht in Frage stellen zu wollen. „Es geht nicht um das Ob, sondern das Wie“, äußerte die SPD-Fraktionsvize Lisa-Kristin Kapteinat (SPD). Dennoch rief die Kritik bei den Grünen große Empörung hervor. „Wir reden hier immer noch von Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen“, sagte deren Fraktionsvorsitzende Verena Schäffer sichtlich aufgebracht. „So ein ritualisierter Schlagabtausch ist doch unwürdig.“
Wüst drückt sich um klare Stellungnahme
Wüst aber schwieg und überließ es Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne), für die Landesregierung zu antworten. Sie verteidigte deren Anstrengungen zur Flüchtlingsaufnahme. Gleichzeitig räumte sie ein, daß der derzeitige Zustrom zwar vom russischen Angriff auf die Ukraine ausgelöst wurde, aber auch von Personen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan geprägt sei: „Mittlerweile kommen deutlich mehr Asylsuchende aus den Krisenregionen dieser Welt zu uns als aus der Ukraine.“
Die CDU-Fraktion übertrug die Beantwortung auf die massive Kritik ihrem integrationspolitischen Sprecher Dietmar Panske sowie dem Hinterbänkler Fabian Schrumpf. Panske kritisierte die Sprache von SPD sowie FDP und bekräftigte den Willen, möglichst rasch ausreichende Unterbringungsplätze zur Verfügung zu stellen. „Die Landesregierung und die CDU tun alles, um die Kommunen zu entlasten“, sagte er. Schrumpf hingegen sprach davon, daß „sämtliche staatlichen Ebenen an ihre Belastungsgrenzen kommen“, und richtete seine Kritik an die Adresse von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD): „Wer ist denn für die Sicherung der Außengrenzen zuständig?“ Mit diesen unterschiedlichen Akzenten blieb die grundsätzliche Haltung der NRW-CDU zum derzeitigen Flüchtlingszustrom jedoch weiter unklar.
„Das Leben der Menschen wird auf den Kopf gestellt“
Die integrationspolitische Sprecherin der AfD-Fraktion, Enxhi Seli-Zacharias, versuchte vergeblich, die aus der Flüchtlingsaufnahme resultierenden Belastungen für die heimische Bevölkerung zu thematisieren. „Das Leben der Menschen vor Ort wird auf den Kopf gestellt“, konstatierte sie. Dies werde von der Landesregierung „ohne Skrupel“ in Kauf genommen und auch der SPD fehle es dafür an Empathie: „Ich hätte mir gewünscht, daß heute wenigstens ein einziger Redner neben mir selbst die ernstzunehmenden Sorgen der Menschen angesprochen hätte.“ So sei der erfolgreiche Bürgerprotest gegen eine Unterbringungseinrichtung in Arnsberg „aus der Mitte der Gesellschaft“ gekommen, die „aus Sorge um ihren Ort“ gehandelt habe.
Landesregierung verschweige Asylkosten
„Wir wollen kein Bundesland, in dem der Betrieb einer Flüchtlingsunterkunft für einen Hotelier lukrativer ist. Wir wollen kein Bundesland, in dem Bürger, die ihr Leben lang eine Immobilie abbezahlt haben, von heute auf morgen mit deren massiver Entwertung konfrontiert werden. Und wir wollen kein Bundesland, das 640 Millionen Euro jährlich für die Betreuung und Versorgung von Menschen ausgibt, die eigentlich nie hätten hier sein dürfen“, umriß Seli-Zacharias die Position ihrer Fraktion.
Später verwies sie darauf, daß zu diesen 640 Millionen Euro noch weitere 112 Millionen Euro für integrationspolitische Infrastruktur, 540 Millionen Euro an Ausgleichszahlungen für die Kommunen sowie 35 Millionen Euro für soziale Betreuung von Flüchtlingen hinzukommen. Das verschweige die Landesregierung der Bevölkerung, so Seli-Zacharias. Von der Bevölkerung weitere Akzeptanz zu erwarten, aber mit dieser nicht reden zu wollen, etwa in Form von Bürgersprechstunden vor Ort, sei „unehrlich und unfair“.
SPD und Grüne sorgen sich nur um Stimmung
Aber weder Paul noch andere Redner gingen auf die Aussagen der AfD-Politikerin ein. „Das macht mir Angst“, war die kurze Aussage der SPD-Fraktionsvize Lisa-Kristin Kapteinats dazu, daß sich Bürger mehr und mehr gegen die Aufnahme von Flüchtlingen wenden. Die Grünen-Politikerin Schäffer merkte kurz an, daß ihr die Zustimmung zu „rechtspopulistischen Positionen gerade sehr große Sorgen“ mache. Zur „Verteidigung demokratischer Grundwerte“ gehöre auch, daß die Entstehung solcher Stimmungen nicht zugelassen werden dürfe, da „Rechte und Rechtsextreme diese als Legitimation für ihre Straftaten nutzen“.
Tim Achtermeyer (Grüne) nannte die Aufnahme der Flüchtlinge eine „Riesenherausforderung!“, bei der „die Organisationsunfähigkeit des Staates nicht selbst herbeigeredet“ werden dürfe. Ihm mache Sorgen, daß der Diskurs der AfD über Abschiebungen „langsam ins bürgerliche Milieu einsickert“. Dies sei „unmenschlich“ und erfordere das „Unterhaken von Demokratinnen“. (wp)