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Konservativ oder woke?: Die Union steckt in einer Sackgasse

Konservativ oder woke?: Die Union steckt in einer Sackgasse

Konservativ oder woke?: Die Union steckt in einer Sackgasse

Das Bild zeigt auf der linken Seite ein Sackgassen-Schild und auf der rechten Seite das Logo von CDU/CSU. Die Montage soll symbolisieren, daß die Union politisch in einer Sackgasse steckt.
Das Bild zeigt auf der linken Seite ein Sackgassen-Schild und auf der rechten Seite das Logo von CDU/CSU. Die Montage soll symbolisieren, daß die Union politisch in einer Sackgasse steckt.
Die Union steht vor einem schweren Dilemma: Endgültig grün werden, oder sich der AfD öffnen. Beides birgt Risiken Fotos: picture alliance / Goldmann | Goldmann / picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopres Montage: JF
Konservativ oder woke?
 

Die Union steckt in einer Sackgasse

Die viel beschworene „Brandmauer“ gegen die AfD stellt die Union vor große Probleme. Gibt man sie auf, könnten CDU und CSU in einen Merkel- und einen konservativen Block zerfallen. Tun sie es nicht, schreitet die inhaltliche Entkernung voran und die AfD wird immer stärker. Eine Analyse von JF-Autor Kurt Zach.
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Der neue CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann ruft seine Partei fast verzweifelt zur „Geschlossenheit“. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst erklärt die Debatte über die Abgrenzung zur AfD, die er selbst angeheizt hat, für „beendet“: Das ist ein sicheres Indiz dafür, daß der Streit bei nächster Gelegenheit erst so richtig losgeht.

Der Aufstieg der AfD und ihr rasantes Vordringen in Wählerschichten und Programmfelder, welche die Union in den Merkel-Jahren aufgegeben hat, stellt eine Machtfrage, auf die die CDU nicht antworten will. Sie muß sich entscheiden: Will sie verlorene Wähler und ihren einstigen Anspruch, auch konservative, freiheitliche, mittelstands- und wirtschaftsfreundliche Positionen zu vertreten, zurückgewinnen? Dann kann sie nicht auf Dauer jene Wähler und Positionen samt der Partei, welche diese inzwischen vertritt, verteufeln und mit Bannflüchen belegen. Oder macht sie sich auf andere Weise ehrlich und erklärt sich offen zu der grün-links-progressiven Kraft, die sie faktisch bereits geworden ist? Dann riskiert sie ihre Selbstabschaffung als entbehrliches Beiboot auf einem sinkenden Schiff.

Das Fundament des Dogmas, CDU und CSU dürften nirgends und niemals mit der Konkurrenzpartei AfD „zusammenarbeiten“, ist verordnete Realitätsverweigerung. Die sogenannte „Brandmauer“ ignoriert die Selbstverständlichkeit, daß in einer repräsentativen Demokratie alle Stimmbürger das Recht haben, über ihre demokratisch legitimierten Vertreter gleichberechtigt an allen parlamentarischen Prozessen einschließlich der Regierungsbildung beteiligt zu werden.

Friedrich Merz rudert nach Kritik zurück

Eine Kartellbildung, die ein Fünftel, ein Viertel oder sogar einen noch größeren Anteil des Staatsvolks von der politischen Mitwirkung ausschließen will, verdreht die Verfassung in einem Ausmaß, das einem Staatsstreich durch die kalte Küche gefährlich nahekommt. Vollends absurd wird es, wenn die Logik des Kartells selbst die Isolation mit Mehrheit direkt gewählter Amtsinhaber fordert, weil diese der „falschen“ Partei angehören. 

Der Partei- und Fraktionsvorsitzende der CDU Friedrich Merz hat sich in seinem ZDF-Sommerinterview den banalen Hinweis auf diesen Widerspruch entlocken lassen. Nach einem Sturm des Widerspruchs nicht nur aus der grün-roten Ecke, sondern vor allem aus den eigenen Reihen, hat er diese Selbstverständlichkeit wieder zurückgenommen und das Dogma der „Brandmauer“ auch auf kommunaler Ebene bekräftigt. 

Das allein beschreibt die Ausweglosigkeit, in die sich die Unionsparteien manövriert haben. Denn beim „Kooperationsverbot“ mit der AfD geht es nur vordergründig um die dafür ins Feld geführten ideologischen Vorwände. Es geht um machtpolitische Realitäten, die die Union hartnäckig ignoriert.

Das Strauß-Dogma gilt nicht mehr

Im Kern ist das „Brandmauer“-Dogma ein Produkt der „Antifaschismus“-Ideologie der radikalen politischen Linken. Wem es gelingt, mittels einer hegemonialen und gesellschaftlich weithin unwidersprochenen Ideologie möglichst viele andere Kräfte in eine Einheitsfront zu zwingen, der erwirbt Einfluß weit über sein tatsächliches Gewicht bei den Wählern hinaus. Die Grünen praktizieren diese kommunistische Herrschaftstechnik seit ihren Anfängen mit großem Erfolg.

Die Union hat die Abgrenzungsforderung übernommen, um den unter Ex-Kanzlerin Angela Merkel vollzogenen Linksruck abzusichern. Das gelegentlich immer noch zitierte Diktum von Franz Josef Strauß, rechts der Union dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben, hatte allerdings nur so lange einen Sinn, wie die Union bereit war, dieses Spektrum als „Volkspartei“ selbst mit abzudecken.

Durch die Sozialdemokratisierung und Vergrünung von CDU und CSU unter Verzicht auf große Teile ihrer konservativen und freiheitlichen Wählerschaft, die sich in keiner der etablierten Parteien mehr wiederfand, hat die politische Linke ein künstliches Übergewicht im Parteiensystem erlangt. Gleichzeitig ist die Repräsentationslücke rechts der Mitte so groß geworden, daß sie in einer lebendigen Demokratie zwangsläufig durch eine neue Kraft geschlossen werden mußte.

Die „Brandmauer“ als Symptom grün-linker Hegemonie

Die „Brandmauer“ gegen diese junge Partei zementiert die grün-linke Hegemonie. Je stärker die neue Kraft auf der Rechten trotz aller Ausgrenzung und Diffamierung wird, desto tiefer sitzt die Union in der Falle. Wegen des Koalitionsverbots kann sie nur mit linken und noch linkeren Parteien koalieren. Weil sie keine andere Option hat, muß sie deren Agenda übernehmen, um überhaupt noch mitspielen zu dürfen.

Strukturelle nicht-linke Mehrheiten, die sich gegen das Versagen dieser Politik und die von ihr ausgelösten Krisen richten, kann und will sie nicht nutzen. Versucht sie, ihre rechts der Mitte verlorenen Wähler durch Anknüpfen an frühere Kernthemen zurückzugewinnen, trifft sie selbst das „Rechts“-Verdikt, vor dem sie kuscht. 

Wagt sie es doch einmal und erzielt so mit angezogener Handbremse einen halben Wahlsieg, kann sie ihre Versprechen nicht einlösen, weil sie ja wieder nur mit linken Parteien koalieren kann. Sie muß ihren Wählerverrat nicht immer so plump und dreist inszenieren wie der frischgebackene Regierende Bürgermeister von Berlin Kai Wegner. Aber auch dieses Täuschungsmanöver läßt sich nicht beliebig wiederholen.

Die Union muß sich vom grünen Nasenring losreißen

Um der Falle zu entrinnen, müßte die Union nichts Geringeres als den vollständigen Bruch mit dem Merkelismus wagen. Der einst fälschlicherweise als konservativer „Hoffnungsträger“ gehandelte Friedrich Merz hat dazu, wie das Sommertheater um Abgrenzungen lehrt, weder den Willen noch den Mut. Den Merkelianern hat er nie die Stirn geboten; auch ein Generalsekretär Linnemann kann dieses Versäumnis nicht mehr gutmachen. 

Merz ist damit nur mehr ein Parteichef auf Abruf. Sein Kalkül, sich bei allen anzubiedern, um auf diese Weise im Schlafwagen ins Kanzleramt zu gelangen, ist nicht aufgegangen. Zur Strafe wird er jetzt von jenen demontiert, die ihre persönliche Machtoption darin sehen, sich mit einer Rolle als Blockflöte in einer grünsozialistischen Einheitspartei zu begnügen, während die Konkurrenz von rechts, die er einst zu „halbieren“ gedachte, sich in den Umfragen mittlerweile verdoppelt hat.

Das strategische Dilemma der Union aber bleibt. Will sie als ernstzunehmender Spieler auf dem Feld bleiben, muß sie sich von diesem grünen Nasenring losreißen – auch wenn es wehtut. Die Alternative lautet Spaltung, schöpferische Zerstörung und Neuanfang auf den Trümmern. Auch für diese Option bietet die neuere Parteiengeschichte der Christdemokraten und Konservativen in Europa reichlich Anschauungsmaterial.

JF 32/23 

Die Union steht vor einem schweren Dilemma: Endgültig grün werden, oder sich der AfD öffnen. Beides birgt Risiken Fotos: picture alliance / Goldmann | Goldmann / picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopres Montage: JF
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