KASSEL. Der indische Kurator Ranjit Hoskoté ist aus der Findungskommission für die künstlerische Leitung der Documenta zurückgetreten. Die Veranstalter einer der bekanntesten internationalen Kunstausstellungen, die 2027 zum 16. Mal in Kassel stattfinden soll, stehen somit erneut wegen Antisemitismusvorwürfen unter Druck. Hoskoté geriet in die Kritik, weil er im Jahr 2019 eine Petition des indischen BDS-Ablegers unterschrieben hatte. BDS steht für „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“ und richtet sich nach Angaben der Unterstützer gegen Israels Siedlungspolitik im Westjordanland sowie in Gaza. Laut dem Zentralrat der Juden sprechen die Vertreter der Bewegung Israel das Existenzrecht ab.
Der indische Künstler habe in intensiven Gesprächen deutlich gemacht, daß er die Ziele des BDS ablehne und die Bewegung nicht unterstütze, teilten die Organisatoren der Documenta mit. Allerdings sei er darüber hinaus um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen gebeten worden, in der er sich schriftlich von den „antisemitischen Inhalten“ der Unterschriftensammlung distanzieren sollte. Daraufhin sei am Sonntag ein Rücktrittsschreiben gefolgt.
Claudia Roth droht mit Geldentzug für Documenta
Zwei Tage zuvor hatte die israelische Künstlerin Bracha Lichtenberg Ettinger ihren eigenen Rückzug aus der Findungskommission angekündigt. Nach dem Hamas-Überfall auf Israel habe sie das Gefühl, nicht mehr zur Arbeit des Gremiums beitragen zu können, schrieb sie in ihrem Brief an die Veranstalter. Damit fällt die Zahl der Ausschußmitglieder auf vier. Derzeit wird geklärt, welche Konsequenzen die Rücktritte haben. Ursprünglich war geplant, bis Anfang 2024 einen Kurator für die kommende Ausgabe der Documenta zu finden.
Unterdessen drohte Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) mit der Streichung der Bundeszuschüsse für die Ausstellung. Es brauche eine Mitwirkungsmöglichkeit für den Bund sowie Standards zur „Verhinderung von Antisemitismus und Diskriminierung“, mahnte sie und erläuterte, sie sehe bislang „noch keine Grundlage erreicht“. Die vorherige Ausgabe der Documenta im vergangenen Jahr wurde von der Bundesregierung mit 3,5 Millionen Euro gefördert, während die Finanzierungssumme aus dem Land Hessen sowie der Stadt Kassel mehr als das Sechsfache betrug.
Antisemitische Klischees
2022 war die Documenta aufgrund eines Banners des indonesischen Künstlerkollektivs „Taring Padi“ in die Kritik geraten. Darauf waren mehrere als antisemitisch interpretierte Motive zu sehen. Dazu gehörte unter anderem ein Soldat mit Schweinsgesicht, der auf seinem roten Halstuch einen Davidstern trägt. Auch ein Mann mit Kippa, Hut und Schläfenlocken, dessen Augen blutunterlaufen waren und dessen Nase krumm aussah, befand sich auf dem Bild. Namhafte Prominente wie der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verurteilten die Ausstellung des Gemäldes. Auch einem anderen an der Ausstellung beteiligten Künstlerkollektiv, „Ruangrupa“, wurde Judenfeindlichkeit vorgeworfen. Zudem waren mehrere Mitglieder der damaligen Findungskommission für die Documenta-Leitung als BDS-Unterstützer bekannt.
Roths Haltung hatte dabei eine Rolle gespielt. Die 68jährige hatte die Kunstschau als „Anlaß zur Freude“ beworben und betont, diese habe immer zu Kontroversen eingeladen. „Dazu gehört auch, daß ich nicht als Kulturpolizistin den Daumen hebe oder senke über einzelne Kunstwerke, sondern vielmehr die Freiheit der Kunst verteidige“, rechtfertigte sie ihre Haltung in einem Interview mit dem Spiegel. Erst im Nachhinein räumte sie eigene Fehler ein. (kuk)