BERLIN/KARLSRUHE. Mit einem Gutachten hat der Wissenschaftliche Dienst (WiD) des Bundestages neue Zweifel an der Unabhängigkeit von Verfassungsgerichtspräsident Stephan Harbarth genährt. Seitdem die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den früheren CDU-Fraktionsvize auf den Posten hievte, herrscht Skepsis, ob Deutschlands oberster Richter wirklich neutral entscheidet.
An seiner Praxis, bestimmte Journalisten zu bevorteilen, hat der WiD nun Kritik geübt: Dessen Entscheidung, „Pressemitteilungen nur einem exklusiven Kreis an Journalisten zur Verfügung zu stellen“, erscheine „für die benachteiligten Journalisten besonders schwerwiegend, zumal das Bundesverfassungsgericht bei der beabsichtigten Gewährleistung der Professionalität auf die Einschätzung eines privaten Vereins vertraut“.
Gemeint ist der die „Justizpressekonferenz“, ein privater Verein, der von ARD- und ZDF-Mitarbeitern dominiert wird. Jedes zweite Mitglied arbeitet für die öffentlich-rechtlichen Sender. Und nur der Verein entscheidet, wer bei ihm Mitglied werden darf.
Harbarth rechtfertigt Pressepolitik
Harbarth, der vor seiner Politik-Karriere in der Unions-Fraktion nie zuvor ein Richteramt ausübte und dann auf Drängen Merkels an die Spitze des höchsten deutschen Gerichts bugsiert wurde, hat trotz aller Kritik stets gerechtfertigt, daß er den Journalisten der „Justizpressekonferenz“ Urteile bereits vor der Verkündung zuspielen läßt. So wissen diese bereits vor den Verfahrensbeteiligten Bescheid und können diese mit Begründungen konfrontieren, die sie selbst noch nicht kennen.
Harbarts Pressestelle begründet die Vorgehensweise, damit, daß der von ihr ausgewählte Kreis von Journalisten besonders „professionell“ arbeite. Die Journalisten könnten durch die Sonderbehandlung besser inhaltlich einordnen.
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages läßt das nicht gelten: „Professionalität“ sei „kein formales, meinungsneutrales Kriterium“. Und er sieht „einen informationellen Nachteil“ für andere Journalisten, der „auch von wirtschaftlicher Bedeutung“ sei.
AfD-Klage gegen Harbarth erfolglos
Die AfD hatte gegen Harbarths Pressepolitik geklagt, weil sie sich gegenüber den Journalisten benachteiligt sah, bekam jedoch kein Recht. Das aktuelle Gutachten könnte nun den Druck auf den Verfassungsgerichtpräsidenten erhöhen. Dessen Image und damit das des obersten deutschen Gerichtes ist durch die zweifelhafte Karriere ohnehin beschädigt.
Der Wissenschaftliche Dienst verweist auch auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart. Demnach dürfen Journalisten der Landespressekonferenz in Baden-Württemberg keine exklusiven Pressemitteilungen bekommen, die anderen Journalisten verweigert werden.
Harbath war unter anderem durch ein gemeinsames Abendessen mit der Bundesregierung in die Kritik geraten. Das gesellige Beisammensein fand kurz vor richtungsweisenden Entscheidungen über die Corona-Politik und eine Klage der AfD statt. (fh)