Chancengleichheit – um nicht mehr, aber auch nicht weniger geht es in einem Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Die AfD klagt. Sie will, daß die Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) an der staatlichen Förderung für politische Stiftungen beteiligt wird. So wie die anderen parteinahen Stiftungen ebenfalls. Doch denen gefällt dieses Verfahren gar nicht. Denn die bequeme und intransparente, millionenschwere Finanzierung könnte damit ein Ende haben.
„Die staatliche Förderung der politischen Stiftungen findet seitens des Bundes auf der Grundlage des Bundeshaushaltes statt“, erklärt Doris König, Vorsitzende des zweiten Senats, der dieses Verfahren in Karlsruhe entscheidet. „Eine eigenständige gesetzliche Regelung existiert nicht.“
Allein im Jahr 2021 beliefen sich die Globalzuschüsse aus dem Haushalt auf fast 150 Millionen Euro. Innerhalb von zwanzig Jahren, von 1999 bis 2019, stiegen die Zuwendungen um 110 Prozent. Um an die Steuergelder zu kommen, müssen die Stiftungen rechtlich und tatsächlich unabhängig sein, so entschied das Gericht in seinem Stiftungsurteil 1986. Das Distanzgebot zu den Parteien sei einzuhalten.
Bohrende Fragen
„Wie sieht die Realität in den Stiftungen aus“, fragte die Vorsitzende König und ließ gestern alle parteinahen Stiftungen antreten. „Wir sind Impulsgeber, wirken nicht an politischer Willensbildung mit“, sagt die Geschäftsführerin der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), Sabine Fandrych. So einfach läßt Peter Müller, Richter und politisches Urgestein, er war Ministerpräsident des Saarlandes von 1999 bis 2011, Fandrych nicht vom Haken: „ Mal angenommen, es gebe die FES nicht, ginge es der SPD besser oder schlechter?“ Antwort: „Es ginge der Gesellschaft schlechter“, sagt Fandrych. Müller schmunzelt.
Wie viele FES-Stipendiaten Karriere in der Partei gemacht haben, weiß die Geschäftsführerin nicht. Dann fallen ihr doch noch Namen ein: „Steinmeier, Will und Weidel.“ Ein erstauntes Raunen geht durch den Saal.
Es ist immer wieder Peter Müller, der die bohrenden Fragen aus dem Senat heraus stellt. „Wirkt sich die Arbeit der Stiftung auf die Wettbewerbsfähigkeit einer Partei aus“, fragt er die Hauptgeschäftsführerin der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, Annett Witte. Und Richter Peter Huber will wissen: „Das politische Leben der FDP gleicht ja teils einer Achterbahn. Hat das Rausfliegen aus dem Bundestag Auswirkungen auf die Stiftung gehabt?“ Witte antwortet ausweichend: „Es hat zu großer Modernisierung geführt.“ Zu bemerken ist, daß die FDP-nahe Stiftung weiterhin Steuergelder bekam, obwohl sie 2013 aus dem Bundestag flogen. Wie eng sind Stiftungen und Parteien verflochten?
Der Auftritt Norbert Lammerts ist so wie früher, als er noch Bundestagspräsident war: eloquent, locker, lächelnd. Heute ist er Chef der CDU-nahen Konrad-Adenauer Stiftung. Und wieder stellt sich die Frage, wie groß ist die Distanz zwischen Partei und Stiftung. „Wir haben als Stiftung ein vitales Interesse an einer Verbindung zur Partei“, sagt wenigstens Lammert aus. „Nicht nur historisch, es sind auch aktive Politiker mit Funktionen in Gremien der Stiftung.“ In Zahlen: In der 45-köpfigen Mitgliederversammlung sind neunzehn CDU-Funktionsinhaber, im 23-köpfigen Vorstand vier.
Und dann erzählt aber auch Lammert die Geschichte vom „Leitbild“, vom „Impulsgeben“. Müller und Huber schmunzeln. Drei CDUler unter sich. So geht es weiter. Der Chef der CSU-nahen Hans-Seidel-Stiftung schildert ausschweifend und kleinteilig die Joint-Ventures mit anderen Stiftungen und die Schulungen für alle Bürger, die sie anbieten.
Deutlich mehr Geld als die Parteien
„Die Verhandlung wird sich noch einige Stunden hinziehen“, sagt Erika Steinbach in der Mittagspause gegenüber JUNGEN FREIHEIT. Steinbach seit 2018 Vorsitzende er Desiderius-Erasmus-Stiftung. Doch im Gegensatz zu den anderen bekam die DES „keinen Cent“, wird sie später in der Verhandlung erklären. Hinzu kommt: Während die DES gerade einmal eine Dreiviertel-Stelle über Spenden bezahlen kann, sind bei der Konkurrenz Hunderte über Steuergelder finanziert.
Nicht der einzige Unterschied zu den anderen Stiftungen, denn dem Vorstand der DES gehört kein Bundestagsabgeordneter an. Steinbach: „Ich selbst war 2018 parteilos, als ich den Vorstandsposten übernahm.“ Steinbach war langjähriges CDU-Mitglied im Bundestag. Erst 2022 trat sie in die AfD ein.
In Stunden arbeitet das Gericht, so erscheint es dem Zuhörer, heraus, daß die Distanz zwischen den Parteien und den Stiftungen nicht so groß ist, wie die Vortragenden glauben machen wollen.
Und wie abhängig die Stiftungen von den Parteien und umgekehrt die Parteien von den Stiftungen sind, erklärt der Sachverständige Ulrich Heisterkamp: „Die Patronatspartei kann der Stiftung das Vertrauen entziehen. Andererseits haben Stiftungen Mittel, die staatlichen Stellen nicht zur Verfügung stehen. Sie haben andere Adressaten. Sie können mit Oppositionellen agieren – auch zugunsten der Mutterpartei.“
„Ich nehme die Verfassungstreue sehr ernst“
Die AfD ist zum zweiten Mal im Bundestag vertreten. Somit erfüllt sie eine Voraussetzung für die staatliche Förderung einer ihr nahestehenden Stiftung. Diese Anforderung geht zurück auf eine „gemeinsame Erklärung“, die sich die Stiftungen 1998 selbst gegeben haben.
Eine weitere Anforderung ist die sogenannte dauerhafte Grundströmung. „Die ist hier gegeben“, sagt Rechtsanwalt Ulrich Vosgerau, der die AfD vertritt. „Die AfD verkörpert sehr alte, konservative Strömungen. Die waren schon immer da. CDU, CSU und FDP wollen sie nur nicht mehr wahrnehmen.“
Doch eine weitere Hürde ist die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz. Der hat die Partei als Verdachtsfall eingestuft. Die Beobachtung der Partei sei zulässig, urteilte das Verwaltungsgericht Köln 2022. Doch das Urteil ist nicht rechtskräftig, Vosgerau hat Berufung eingelegt. „Ich nehme die Verfassungstreue sehr ernst“, sagt Vosgerau. „Aber gegen die DES ist niemals ein Vorwurf erhoben worden, und solang die AfD nicht verboten ist, muß sie gerecht behandelt werden.“
Die Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht ist beendet.
Mal sehen, was das Gericht letztendlich entscheidet. pic.twitter.com/swIGXTgnd1— Erika Steinbach (@SteinbachErika) October 25, 2022
Wie wird es weitergehen? „Mit einer Entscheidung rechne ich frühestens in vier Monaten“, sagt Vosgerau. Er vermutet, daß das Bundesverfassungsgericht ein Stiftungsgesetz fordern wird. „Das wird der Anfang einer Verzögerungstaktik sein“, so der Anwalt. Denn normalerweise setze das Gericht dem Bundestag eine Frist von zwei Jahren. „Der hält ihn nicht ein, und irgendwann wird es dann ein Anti-DES-Gesetz geben.“ Und bis dahin wird es auch kein Geld für die DES geben? „Mal sehen“, sagt Vosgerau, „deshalb habe ich eine Vollstreckungsanordnung gestern angeregt.“