Nach Protest-Kundgebungen gegen die Corona-Maßnahmen tauchen immer wieder Videos auf, die belegen sollen, wie gewalttätig die Polizei teilweise gegen die Demonstranten vorgeht. Die Clips zeigen meist nur einen bestimmten Ausschnitt einer Szene, was davor geschah, ist oftmals nicht zu sehen.
Was oft beobachtbar und anschließend auch in den Polizeimeldungen veröffentlicht wird, sind sogenannte Festsetzungen. Die Berliner Polizei teilte am Dienstag beispielsweise mit: „Die Polizistinnen und Polizisten stellten die Personalien von insgesamt 93 Personen fest und leiteten ebenso viele Ordnungswidrigkeitenverfahren ein.“ Bei solchen Identitätsfeststellungen oder Festsetzungen kann es mitunter jedoch grob zugehen.
Seit dem Wochenende kursieren in sozialen Medien ein Video aus der Silvesternacht in Hamburg beziehungsweise Ausschnitte davon. Der Clip zeigt Tausende feiernde Personen auf St. Pauli, an den Landungsbrücken und an der Alster. Immer wieder richtet der Filmer die Kamera auf Polizisten, die angesichts der offensichtlichen Verstöße gegen die Corona-Maßnahmen rund um den Jahreswechsel untätig bleiben und sich unter lautem Gejohle sogar zurückziehen.
Eigentlich hätten sich nur maximal zehn Personen treffen dürfen
Und das, obwohl an Silvester in Hamburg derlei Zusammenkünfte untersagt waren. Die Polizei hatte vor den Feierlichkeiten explizit darauf hingewiesen: „Darüber hinaus gilt im selben Zeitraum (31. Dezember 19 Uhr bis 1. Januar 7 Uhr, Anm. JF) ein Ansammlungsverbot, wonach sich maximal zehn Personen im öffentlichen Raum treffen oder zusammenstehen dürfen.“ Die Welt titelte deshalb am nächsten Tag: „Tausendfache Mißachtung des Ansammlungsverbots“. Und das, obwohl die Polizei im Vorfeld angekündigt hatte, besonders präsent zu sein, gerade was die beliebten Hotspots anbelange. Wer gegen die Regeln verstoße, müsse mit Strafen rechnen. In den Clips sieht man auch, wie vor den Augen der Polizei Böller gezündet wurden, obwohl dies untersagt war.
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Auffällig ist in dem Video: Die meisten Feiernden stehen eng an eng beieinander und viele von ihnen sind jung und haben ausländische Wurzeln. In den Leserkommentaren fällt besonders eine Frage häufig: Warum hat die Polizei nicht durchgegriffen, wo sie doch bei den sogenannten Spaziergängen auch oft sogar mit Gewalt vorgeht?
Ein Sprecher der Hamburger Polizei antwortete auf eine Anfrage der JUNGEN FREIHEIT: „Daß ein derart beliebter Hotspot eine große Anziehungskraft hat, liegt in der Natur der Sache. Insofern sind hier viele Besucher, ob Einzelpersonen oder Kleingruppen, zusammengekommen.“ Es liege ebenfalls in der Natur der Sache, daß sich Einsatzkräfte auch in taktischer Formation bewegten und den Standort wechselten. Daß sich Beamte zurückgezogen hätten, sei eine subjektive Einschätzung.
Außerdem zeigten die Videosequenzen nur Ausschnitte und bildeten nicht „die Gesamtheit der Situation vor Ort ab“. Die Szenen seien zudem nicht prägend für den Abend und die Nacht gewesen. Die Beamten hätten die Anwesenden mit Lautsprecherdurchsagen aufgefordert, die Ansammlungen aufzulösen, woraufhin es „große Abwanderungsbewegungen“ gegeben habe. Dies würde das Video aber nicht zeigen.
Wie die Polizei selbst Zweifel an ihrem Verhalten schürt
Überdies, betonte der Sprecher, „muß das polizeiliche Vorgehen in der konkreten Situation auch immer angemessen sein“. Was angemessen ist, entscheiden Polizisten im Zweifel spontan vor Ort. Und gerade bei Demonstrationen oder größeren Ansammlungen ist die Einsatzlage oft „dynamisch“, wie es im Polizeijargon oft heißt.
Die Hamburger Behörde veröffentlichte am Samstag eine ausführliche Bilanz zu den Einsätzen in der Silvesternacht. Doch von Festsetzungen oder Identitätsfeststellungen war keine Rede. Und das, obwohl es tausendfache Verstöße gegen die Corona-Schutzmaßnahmen gab. Der Polizeisprecher antwortete darauf angesprochen: „Für einzelne Örtlichkeiten wie hier an dem Jungfernstieg erfolgte keine gesonderte statistische Erhebung in Bezug auf die getroffenen polizeilichen Maßnahmen.“
Wo keine Zahlen erhoben werden, kann auch nicht verglichen werden. Doch genau das schürt Zweifel daran, ob die Polizei in der Silvesternacht in Hamburg ähnlich angemessen – oder unangemessen – handelte wie bei Einsätzen im Falle der zahlreichen, aber deutlich kleineren Anti-Corona-Maßnahmen-Demos.