Die Bilanz ist ernüchternd: Im ersten Halbjahr dieses Jahres haben die Behörden 6.198 ausreisepflichtige Ausländer aus Deutschland abgeschoben. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor. Die Hauptzielländer der Abschiebungen waren demnach Nordmazedonien (454 Personen), Albanien (402) und Georgien (397). In die Türkei wurden den Angaben zufolge 230 Menschen abgeschoben. Hinzu kommen 1.826 Rückführungen von Asylantragstellern in andere EU-Staaten nach Maßgabe des Dublin-Verfahrens.
Die Zahlen machen erneut deutlich: Von der einst vom ehemaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mehrfach angekündigten Abschiebeoffensive ist nichts zu sehen. Und auch die Zusicherung seiner Amtsnachfolgerin Nancy Faeser (SPD), beim Thema Abschiebungen konsequenter vorzugehen, zeigt offensichtlich bislang keine Wirkung. Seit Jahren schon bewegen sich die Abschiebungen aus Deutschland auf einem niedrigen Niveau – insbesondere vor dem Hintergrund der immensen Zuwanderung, die das Land seit 2015 erlebt. 2021 wurden aus Deutschland 11.982 Menschen abgeschoben, im Jahr zuvor waren es 10.800. Für die niedrigen Zahlen verantwortlich ist auch die Tatsache, daß immer wieder geplante Abschiebeflüge in letzter Minute scheitern. Mal tauchen die Ausländer unter, bevor sie zum Flughafen gebracht werden, ein anderes Mal gibt es Protest von Piloten, die sich weigern, Personen in ihren Flugzeugen zu befördern, die nur gegen ihren Willen in die Maschine steigen. Im ersten Halbjahr 2022 scheiterten allein 10.475 Abschiebungen vor der Übergabe an die Bundespolizei, teilte das Bundesinnenministerium mit.
Zahl der Ausreisepflichtigen steigt weiter an
Unterdessen steigt die Zahl der ausreisepflichtigen Ausländer weiter. Ein internes Lagebild von Bund und Ländern verzeichnet Ende Juni 301.524 Ausländer, die Deutschland eigentlich verlassen müssen, da ihr Antrag auf Schutz in Deutschland abgelehnt wurde. Die große Mehrheit von ihnen, 247.290 Personen, die mehrheitlich aus dem Irak, Afghanistan, Nigeria, Rußland, Serbien, Iran und der Türkei stammen, verfügen über eine Duldung. Sie werden derzeit von den Behörden nicht abgeschoben, weil ihre Pässe fehlen, sie schwer krank sind oder kein Staat sie aufnehmen will. Somit bleiben derzeit 54.234 Personen, deren Abschiebung zumindest rechtlich keine Hindernisse im Wege stehen. Ihre Zahl ist wieder leicht gestiegen.
Teilweise treibt der Aufwand für die Behörden, wenn dann doch einmal abgeschoben wird, seltsame Blüten. Denn sie setzen für Abschiebungen immer wieder gezielt auf Mini-Charter-Flüge mit nur vier, zwei oder einer Person an Bord – und mehreren Beamten, die den Flug sichern müssen. Laut Bundesregierung gab es im ersten Halbjahr 2022 elf dieser „Mini-Abschiebe-Charter“. Insgesamt wurden damit 35 Personen ausgeflogen, unter anderem in die Türkei oder den Libanon, teilweise ins EU-Ausland.
Millionen-Kosten für den Steuerzahler
An den Einsätzen waren 167 Polizeibeamte beteiligt. Die Kosten für den Steuerzahler waren beträchtlich: Die Flugzeuge schlugen mit 580.000 Euro zu Buche, für die Sicherheitsbegleitungen bei Rückführungen entstanden dem Bund zudem im ersten Halbjahr 2022 Kosten in Höhe von rund 1,5 Millionen Euro. Im einzelnen sieht das dann so aus: Ende Mai startete ein Flugzeug mit drei ausreisepflichtigen Ausländern und 17 Polizeibeamten an Bord in die Türkei. Kosten des Charterflugs: 64.995 Euro, berichtet die Funke Mediengruppe. Einige Wochen zuvor startete ein Flugzeug in Richtung Bulgarien mit nur einer einzigen abzuschiebenden Person in Begleitung von sechs Polizisten. Kosten: knapp 26.000 Euro. Besonders teuer war ein Abschiebeflug im Mai 2020: Damals hob ein Charterflieger mit nur einer Person in Richtung Tadschikistan ab. An Bord: zehn Beamte. Kosten: 134.075 Euro.
So unbefriedigend die Lage bei den Abschiebungen ist – immer wieder kommt es auch zu Fällen, in denen Ausländer außer Landes gebracht werden, die hier bestens integriert sind. Am vergangenen Wochenende machte der Fall einer seit 35 Jahren in Sachsen lebenden Familie aus Vietnam Schlagzeilen. Dem Vater, der noch zu DDR-Zeiten als Vertragsarbeiter nach Chemnitz gekommen war, droht die Abschiebung, da er sich 2016 aufgrund eines Krankenhausaufenthalts für mehr als sechs Monate in seiner alten Heimat aufgehalten hatte. Damit hat er laut den sächsischen Behörden gegen die Niederlassungserlaubnis verstoßen und soll nun mit seiner Familie das Land verlassen. Nach Angaben des sächsischen Ausländerbeauftragten Geert Mackenroth (CDU) hatte sich die zuständige Härtefallkommission bereits 2019 mit dem Fall befaßt und das Ersuchen, von der Abschiebung abzusehen, abgelehnt.
JF 35/22