Hätten die CDU-Parteiführung und ihre Bundesdelegierten mal auf ihren Nachwuchs gehört. Als die Junge Union vor zwei Jahren auf dem CDU-Bundesparteitag in Leipzig Mitgliederbefragungen einforderte, wurde ihr damaliger Antrag mit einer Mischung aus kühler Arroganz und Ignoranz vom Tisch gefegt. Auch Umfragen und das Ergebnis einer Mitgliederbefragung der Jungen Union wurden seinerzeit von den Verantwortlichen verschmäht. Dabei waren die Signale eindeutig. Die Parteibasis wollte Friedrich Merz als CDU-Chef und Markus Söder als Kanzlerkandidaten. Die Delegierten wählten stattdessen für beide Positionen Armin Laschet. Mit bekanntem wie erwartbarem Ausgang.
In Münster hält die Junge Union an diesem Wochenende nun erneut ihren Deutschlandtag ab. Drei Wochen nach der Bundestagswahl und mitten in einer Phase, in der die Union nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel das wohl schlimmste Bild ihrer Parteigeschichte abgibt: schlechtestes Bundestagswahlergebnis in der Geschichte der CDU; eine seit Jahren anhaltende Austrittswelle; inhaltliche Leere. Zudem eine überalterte Parteiführung, von der nicht wenige in der Union inzwischen sagen, sie habe den Bezug zur Basis wie auch zur Lebensrealität weitestgehend verloren.
Erster Stimmungstest in der Union nach der Wahl
Der JU-Deutschlandtag ist der erste größere Stimmungstest nach der verlorenen Wahl. Sogar von einer Generalabrechnung ist im Vorfeld die Rede. Den Anfang dazu macht am Freitag gleich nach Eröffnung der nordrhein-westfälische JU-Landeschef Johannes Winkel. „Wer im Wahlkampf auftritt wie Armin Laschet, der sollte nach der Wahl nicht direkt den Anspruch haben, Kanzler zu werden, sondern vor allen Dingen Verantwortung für das Ergebnis übernehmen“, ruft er den 318 Delegierten im Kongreßcenter entgegen. Eine Attacke aus Laschets eigenem Landesverband. Schlimmer hätte es für den Aachener kaum kommen können. Doch auch CSU-Chef Markus Söder bekam sein Fett weg. „Wer im Wahlkampf so nachtritt wie Markus Söder, der sollte nach der Wahl nicht über Stilfragen reden, sondern zur Beichte gehen“, legt Winkel nach.
„Mit seinen Spitzen gegen Laschet habe er auch sich selbst geschadet und viel an Sympathien innerhalb der JU verloren, erzählen Delegierte der JF zu später Stunde außerhalb des Tagungszentrums. „Es war doch für alle ohnehin mehr als offensichtlich, daß Laschet der falsche Kandidat war.“ Söder sei der „Kandidat der Unionsherzen“ gewesen. „Er wäre gut beraten gewesen, wenn er sich als verhinderter Kanzlerkandidat ähnlich fair wie Robert Habeck zu Annalena Baerbock verhalten hätte“, meinen JU-Insider.
Daß es neben Laschets auch Kritik an seinem Verhalten gibt, dürfte Söder selbst registriert haben. Eigentlich war der bayrische Ministerpräsident als Redner auf dem Deutschlandtag vorgesehen. Kurzfristig sagte er jedoch seine Teilnahme ab. Der offizielle Grund: Eine Veranstaltung der CSU-Basis in Oberfranken. „Der drückt sich“, mutmaßen dagegen einige JU-Funktionäre im Gespräch mit der JF. Sie halten die Absage für „fadenscheinig.“
Merz: „insolvenzgefährdeter schwerer politischer Sanierungsfall“
JU-Bundesvorsitzender Tilman Kuban nennt den Rückzieher in seinem Bericht schlicht „enttäuschend.“ Die Lage der Union könne man derzeit „nicht anders als beschissen“ nennen. Gleichzeitig weist der Niedersachse Kritik einiger Anhänger aus dem Merkel-Lager zurück, die dem Unionsnachwuchs eine Mitschuld an der Wahlniederlage geben möchte. Daß für CDU und CSU bundesweit nur noch elf Prozent der Jungwähler votierten liege demnach auch am Auftreten der JU, so die versteckte Kritik des linken Flügels der Partei. Kuban verweist darauf, daß die JU im Wahlkampf alles gegeben habe, sich den Frust der Bürger an Haustüren und Wahlständen angehört habe, obwohl man sich selbst für einen anderen Kandidaten ausgesprochen hatte. „Wenn wir jetzt schuld sein sollen, dann kann die Parteiführung künftig ihre Plakate alleine aufhängen.“
Auch der als Redner geladene Friedrich Merz übt scharfe Kritik am Zustand der Partei. Die sei ein „insolvenzgefährdeter schwerer politischer Sanierungsfall“ geworden. Daß auch er mit Markus Söder im Clinch liegt wird in Münster einmal mehr deutlich, als Merz feststellt, daß „in den Reihen der JU Bayern“ bei ihm „nicht geklatscht“ wird.
Armin Laschet wird am Samstag zur JU sprechen. Dort dürfte er sich unangenehmen Fragen ausgesetzt sehen. Die Rede und vor allem die darauf folgende Aussprache wird daher mit Spannung erwartet. Neben Laschet werden auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der designierte nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst sowie CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus bei der JU erwartet.