LÜBECK. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hat drei Wochen vor der Bundestagswahl mit mehreren Ideen für staatliche Vorgaben und umfassenden Versprechungen für sich geworben. „Ich bin davon überzeugt, daß wir den Kohleausstieg vorziehen müssen von 2038 auf 2030.“ Den Flutopfern im rheinland-pfälzischen Ahrtal könne nicht gesagt werden: „Wir machen 17 Jahre weiter wie bisher“, erwiderte Baerbock auf den Einwand eines Lausitzers, der in der ARD-„Wahlarena“ am Montag abend in Lübeck Sorgen über die wirtschaftliche Entwicklung seiner Heimat und die Energieversorgung in Deutschland geäußert hatte.
Durch den schnellen Ausbau von sogenannten erneuerbaren Energien sei ein früherer Kohleausstieg möglich, betonte die Grünen-Chefin. Dafür setze sich ihre Partei für eine Pflicht für Solarzellen auf jedem Neubau sowie bei Sanierungen und für einen verstärkten Einsatz von Biogas ein. Einen Engpaß in der Stromversorgung befürchte sie deshalb nicht.
Außerdem sprach sich Baerbock trotz der immer mehr werdenden E-Autos für ein generelles Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf Autobahnen aus. „Man braucht Regeln in der Gesellschaft, so wie wir auch auf dem Fußballplatz Regeln haben“, verteidigte die Kanzlerkandidatin ihre Forderung. „Auch bei Rot bleiben wir alle stehen.“
35-Stunden-Woche in der Pflege, „Gesellschaftsministerium“ und „in jedem Ort ein Bus“
Daneben stellte die Grünen-Politikerin mehrere Verbesserungen und Fördermittel in Aussicht. Den Personalmangel in der Pflege will sie mit einer 35-Stunden-Woche und mehr Personal beheben. Auf den Einwand einer Pflegerin, wonach eine Reduzierung der Arbeitszeit den Druck erhöhe, antwortete Baerbock, „daß die zeitliche Entlastung dafür sorge, daß die Pflegekräfte ihre Belastung besser steuern könnten“. Auch müsse die nächste Bundesregierung einen Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde in der Branche einführen.
Baerbock forderte zudem die Einrichtung eines „Gesellschaftsministeriums“, das für mehr Diversität und Rechte von Minderheiten sorgen solle. Sie kündigte während der Sendung an, mit einem Fragesteller in Kontakt zu bleiben, der angab, er sei wegen seines türkischen Nachnamens bei Bewerbungen im öffentlichen Dienst bisher stets abgeblitzt.
In der rund 75 Minuten langen Sendung kam auch eine Frau aus einer ländlichen Region zu Wort, die zu hohe Belastungen wegen des steigenden CO2-Preises fürchtet. Die Grünen-Politikerin konterte, der Staat müsse den öffentlichen Nahverkehr ausbauen und den Kauf von E-Autos fördern. Künftig müsse „in jedem Ort ein Bus“ fahren. Darüber hinaus sollten Internetverbindungen flächendeckend ausgebaut werden. Auch für Polizei, Kindergarten und bessere Ausstattung an Schulen müsse der Staat „mehr Geld in die Hand nehmen“.
Weniger US-Atomwaffen und mehr Steuern
Konfrontiert mit der deutschen Außenpolitik warb Baerbock für mehr europäische Eigenständigkeit. Sie sprach sich für eine „neue Abrüstungsinitiative“ aus und forderte, die Zahl der von den USA in Deutschland gelagerten Atomwaffen zu reduzieren. Dafür würde sie als Bundeskanzlerin mit der US-Regierung sprechen.
Schließlich bewertete ein Wirtschaftsprüfer, der während der Sendung die ungefähren Kosten zusammenzählte, die Baerbocks Pläne verursachen könnten, diese als kaum finanzierbar. Die Politikerin erwiderte, um das zu ermöglichen, würde sie sich als Kanzlerin für eine Vermögenssteuer, einen höheren Spitzensteuersatz und einen verstärkten Kampf gegen Steuerbetrug einsetzen. (ls)