BERLIN. Die deutsche Abschiebepolitik ist laut einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) von Naivität und strukturellen Problemen geprägt. „Deutschlands Rückkehrpolitik steckt in der Dauerkrise“, teilte die DGAP am Dienstag bei der Präsentation der Erhebung mit.
Die Zahl der ausreisepflichtigen Personen in Deutschland hat sich in den vergangenen sieben Jahren auf rund 250.000 verdoppelt. Gleichzeitig gehen die Abschiebungen seit 2016 jährlich zurück. Im vergangenen Jahr schoben deutsche Behörden etwa 22.000 illegale Einwanderer ab, circa 13.000 verließen Deutschland mithilfe finanzieller Förderung freiwillig.
„Ausreisepflicht eher eine theoretische Pflicht als eine praktische Verpflichtung“
„Die Ausreisepflicht ist in Deutschland allerdings eher eine theoretische Pflicht als eine praktische Verpflichtung. Mehr als vier von fünf Ausreisepflichtigen sind in Deutschland im Besitz einer Duldung, die ihnen bescheinigt, daß sie zwar theoretisch ausreisepflichtig sind, doch der Staat zurzeit darauf verzichtet, diese Pflicht mit Zwang zu vollziehen“, schreiben die Wissenschaftler.
Zwar gebe es immer mehr Ausreisepflichtige, aber die Bedeutung dieser Pflicht sei „verwischt“. Es sei Teilen der Bevölkerung „schwer zu vermitteln, daß eine Ausreisepflicht für Migranten nicht automatisch eine Verpflichtung darstellt, tatsächlich das Land zu verlassen“, heißt es in der Erhebung. „Die Situation mutet paradox an.“ Auch kritisieren die DGAP-Autoren, daß die Gründe vieler Duldungen unklar seien. Überdies müsse die Duldungszeit deutlich kürzer werden.
Bei der freiwilligen Rückkehr, die in Deutschland „die präferierte Form der Rückkehr“ sei, gebe es „überhöhte Erwartungen“. Zum einen sei die Annahme, „daß Investitionen in die freiwillige Rückkehr die Zahl der Ausreisepflichtigen merklich reduzieren kann, kritisch zu betrachten“. Zum anderen sei eine solche Förderung „zwar eine hilfreiche, aber keine ausreichende Bedingung für mehr Ausreisen. Denn: Mehr hilft nicht unbedingt mehr.“
„Deutschland sollte rote Linien definieren“
Die beiden DGAP-Forscherinnen Victoria Rietig und Mona Lou Günnewig monieren in ihrer Studie zudem eine zu dünne Datenerhebung bei Abschiebehindernissen sowie ineffiziente Behörden. Demnach sei der Hauptgrund für gescheiterte Abschiebungen sogenannte Stornierungen. Was das jedoch im Einzelfall bedeute, werde nicht ermittelt.
Deutschland müsse außerdem fundierte Analysen erstellen, „mit welchen Ländern eine Rückkehrkooperation angestrebt wird“. Sobald die entscheidenden Länder identifiziert seien, müßten in einem zweiten Schritt passende Anreize geschaffen werden, die zu einer tatsächlichen Zusammenarbeit führten. „Da die Herkunftsländer selbst oft kein Interesse an der Rückkehr ihrer Staatsbürger haben, muß Deutschland im Gegenzug für die Kooperation etwas anbieten.“
„Sicherlich sind positive Anreize Drohungen und Sanktionen vorzuziehen, wenn man langfristig vertrauensvolle Beziehungen zu den betroffenen Ländern aufbauen will. Die Entscheider in Deutschland sollten dennoch rote Linien definieren, deren Überschreitung negative Folgen nach sich zieht“, heißt es in dem Papier weiter. Denn einige Herkunftsländern würden gezielt darauf hinarbeiten, Abschiebungen ihrer Staatsbürger zu verhindern. (ls)