BERLIN. Mehrere Grünen-Politiker haben Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) für seine angekündigte Anzeige gegen die taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah kritisiert. „Ein Innenminister, der eine Journalistin anzeigt, klingt nach Orbán oder Kaczyński. Das ist ein Angriff auf die Pressefreiheit, unabhängig ob man den Meinungsbeitrag gut oder schlecht findet“, schrieb Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Keller mit Blick auf die angeblichen Einschränkungen der Presse in Ungarn und Polen auf Twitter.
Ähnlich äußerte sich die stellvertretende Parteichefin Ricarda Lang: „Wenn der Innenminister als Vertreter der Regierung anfängt, Presse anzuzeigen, haben wir ein Problem.“ Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz äußerte zwar Verständnis für die Kritik an der taz. Aber Seehofer „überschreitet eine Grenze“. Seine Fraktionskollegin Renate Künast bezeichnete das Vorgehen des CSU-Politikers als „ungeheuerlich“ und fragte: „Das soll eine Botschaft sein!? Gegen Pressefreiheit!? Seehofer am Ende.“ Auch mehrere Journalisten interpretierten Seehofers Vorstoß als Angriff auf die Pressefreiheit.
Ungeheuerlich, wenn ein #Innenminister schreibt, er erstatte „als Innenminister“ Anzeige gegen eine Journalistin wegen eines Kommentars. Das soll eine Botschaft sein!? Gegen #Pressefreiheit!? #Seehofer am Ende. @tazgezwitscher
— Renate Künast (@RenateKuenast) June 22, 2020
Streit innerhalb der taz
Der Bundesinnenminister hatte am Sonntag abend in der Bild-Zeitung angekündigt: „Ich werde morgen als Bundesinnenminister Strafanzeige gegen die Kolumnistin wegen des unsäglichen Artikels in der taz über die Polizei stellen.“ Er verband die Äußerungen in der Kolumne auch mit den Ausschreitungen am Wochenende in Stuttgart, bei denen 19 Polizisten verletzt wurden.
Yaghoobifarah hatte in dem Meinungsbeitrag vom Montag vergangene Woche die Polizei pauschal herabgewürdigt und darüber nachgedacht, was man mit den Beamten machen könnte, wenn die Polizei eines Tages abgeschafft, es aber immer noch ein kapitalistisches System gäbe. „Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“
Liebe @tazgezwitscher,
entweder ihr stellt euch nun geschlossen hinter @habibitus gegen Seehofer oder ihr überweist mein letztes Honorar und das war's dann mit uns.
— Emran Feroz (@Emran_Feroz) June 21, 2020
Der Beitrag führte auch innerhalb der Redaktion für Streit. Chefredakteurin Barbara Junge veröffentlichte am Samstag eine Entschuldigung. Das wiederum sorgte bei einigen Autoren für Unmut, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete. Manche Teile der Redaktion fühlten sich hintergangen. Auch nach Seehofers Ankündigung forderten einige taz-Autoren, die Zeitung müsse sich nun geschlossen hinter Yaghoobifarah stellen. (ls)