BERLIN. Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck hat fehlende Toleranz beim linken Establishment bemängelt. „Auch linksliberale Meinungsführer müssen lernen zu tolerieren, daß Teile unserer Gesellschaft anders ticken, anders denken, anders sprechen, auch wenn dies bei liberalen Eliten Kopfschütteln, Ratlosigkeit und Ablehnung hervorruft“, sagte er dem Nachrichtenmagazin Focus.
Die Existenz von altmodischen, konservativen oder gar reaktionären Menschen, die „ein nicht zu übersehender Teil unserer Gesellschaft“ seien, erfordere echte Toleranz. In einer offenen Gesellschaft müsse nicht alles akzeptiert werden, „aber nicht alles, was wir nicht akzeptieren, ist deshalb gleich verfassungsfeindlich“.
Zugleich warnte Gauck davor, in öffentlichen Debatten Reizthemen mit Tabus zu belegen. „Es kann nicht sein, daß man aus lauter Angst vor dem Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit oder des Rassismus kritische Themen nicht mehr ansprechen darf.“ Meide man solche Themen, würden diese zu Hauptthemen der politischen Ränder.
Gauck kritisiert „betreutes Sprechen“
Kritisch äußerte sich der Altbundespräsident auch zur Entwicklung einer politisch korrekten Sprache. Er bezeichnete sie als „betreutes Sprechen“. Wenn die deutsche Sprache an erhoffte gesellschaftliche Entwicklungen angepaßt werde, könne dies schnell zu Übertreibungen führen, die von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt würden.
Bereits im Juni hatte Gauck für mehr Toleranz für rechte politische Positionen geworben. Das hatte ihm unter anderem Kritik aus der CDU eingebracht. Während seiner Zeit als Bundespräsident hatte er Gegner der Einwanderungspolitik der Bundesregierung attackiert. Er sprach in dem Zusammenhang von einem „Dunkeldeutschland“, wenn er von fremdenfeindlichen Aktionen höre. (ag)