BERLIN. Die Familien der Todesopfer des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz in Berlin haben die Arbeit des Amri-Untersuchungsausschußes scharf kritisiert. Das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Vertreter der staatlichen Institutionen sei „aktuell massiv beeinträchtigt“, heißt es in einem offenen Brief an alle Fraktionsvorsitzenden im Bundestag. „Zusammenfassend sind wir über den bisherigen Verlauf des Untersuchungsausschusses frustriert.“
Den Regierungsparteien werfen die Familien vor, wichtige Zeugen der Opposition zu blockieren. Dadurch würde „die Beantwortung zentraler Fragen zum Anschlag erheblich verzögert“. Gleichzeitig seien die Zeugenaussagen von Zensur geprägt. „Bei Zeugenvernehmungen bis Oktober 2018 wurde vom Bundesinnenministerium eine Beauftragte abgestellt, die eine aktive Rolle bei Befragungen wahrnahm“, schreiben die Autoren des Briefs. „Sie unterbrach diese regelmäßig, um kritische Anfragen der Parlamentarier zu unterbinden.“
Sollen kritische Themen verschleppt werden?
Weiterhin kritisieren die Verfasser die von den „Regierungsparteien durchgesetzte chronologische Aufarbeitung des Anschlages“. Es entstehe der Eindruck, „daß so die Aufklärung besonders kritischer Themen bewußt verschleppt werden soll“. Stattdessen müsse man die Untersuchung „sinnvoll priorisieren“.
Auch die Rolle des engen Vertrauten des islamischen Attentäters, Bilel Ben Ammar, solle stärker hinterfragt werden. Dieser war laut einem Bericht des Focus möglicherweise abgeschoben worden, um ihn vor Strafverfolgung zu schützen. Er soll für den tunesischen Geheimdienst gearbeitet haben.
Am Abend vor dem Anschlag hatte sich Ben Ammar mit Amri zum Essen getroffen. Einen Tag später, nur wenige Stunden vor der Tat, telefonierten die beiden. Laut dem Bericht gibt es ein Video, daß eine Person mit dem Aussehen Ben Ammars am Tatort zeigt, die Amri mit einem Kantholz den Fluchtweg freischlägt. Dieses Video werde unter Verschluß gehalten.
Hinterbliebene appellieren an Regierungsparteien
Auch jenseits der Focus-Berichterstattung gebe es „Indizien, die dafür sprechen, daß es eine Zusammenarbeit von Bundesbehörden mit ausländischen Behörden hinsichtlich des Attentäters und seines Umfeldes gegeben haben könnte“, schreiben die Hinterbliebenen der Opfer.
Die Unterzeichner appellieren an die Abgeordneten, künftig im Untersuchungsausschuß stärker über Parteigrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. „Vor allem bitten wir die Vertreter der Regierungsparteien, die Beweisanträge der Opposition künftig nicht mehr zu blockieren.“
Am 19. Dezember 2016 war der Tunesier Anis Amri mit einem Lastwagen in den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gefahren. Er tötete zwölf Menschen und verletzte mehr als 70. Im März 2018, über 15 Monate nach dem Terroranschlag vom 19. Dezember 2016 , hatte der Bundestag einen Untersuchungsausschuß eingesetzt. Dieser solle „den Anschlag und seine Hintergründe aufklären und sich ein Gesamtbild vom Handeln der zuständigen Behörden verschaffen“. (ha)