DRESDEN. Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt hat die Bundesregierung aufgefordert, Widersprüche aufzuklären zwischen ihrer Aussage, es habe Hetzjagden auf Ausländer in Chemnitz gegeben, und der gegenteiligen Aussage der Polizei. „Wenn die Bundesregierung behauptet, etwas sei der Fall gewesen, von dem Polizei und Generalstaatsanwaltschaft sagen, dies sei nicht so gewesen, dann haben die Bürger ein berechtigtes Interesse, zu erfahren, was denn nun wirklich stimmt“, sagte Patzelt der JUNGEN FREIHEIT.
Einen von ihm mitinitiierten entsprechenden Aufruf haben bislang über 12.000 Unterstützer unterzeichnet. Es sei durchaus verständlich, daß Politiker unter zeitlichem und medialen Druck Fehler machten. „Das zuzugeben und sich zu korrigieren, bricht niemandem einen Zacken aus der Krone. Man wird aber unglaubwürdig, wenn man so tut, als wären keinerlei Fehler unterlaufen“, gab Patzelt zu bedenken.
Unzutreffende Medienberichte
Die Berichte über Hetzjagden haben nach Ansicht des Politikwissenschaftlers sehr wohl dem internationalen Ansehen Deutschlands geschadet. Doch weil sich ausländische Medien in der Regel auf die Berichte deutscher Journalisten und die Aussagen führender Politiker verließen, träfe die deutschen Medien „ein gerüttelt Maß an Mitschuld“, wenn ausländische Medien von einer unzutreffenden Lagebeschreibung ausgingen. „Mehr noch wurde aber das Ansehen der Bundesregierung im Inland beschädigt“, betonte Patzelt, weil sie Gerüchte als Tatsachen ausgegeben habe.
Deshalb hätten die Ereignisse von Chemnitz und die Reaktionen darauf bei vielen Bürgern zu einem weiteren Vertrauensverlust in die Bundesregierung geführt. „Viele glauben nun nämlich, daß die Regierung absichtlich gelogen hat, weil ihr die Aussage, es habe Hetzjagden gegeben, einfach so gut ins Konzept ihres ‘Kampfs gegen Rechts’ paßte. Hinzu kommt, daß sich viele Leute, die ohnehin schon an den offiziellen Darstellungen zur Flüchtlingspolitik gezweifelt haben, jetzt bestätigt fühlen dürften. Unterm Strich bescherte das Verhalten der Regierung der AfD wohl weitere Prozentpunkte.“
Er selbst habe bislang noch keine zwingenden Beweise dafür gesehen, daß es in Chemnitz nach der tödlichen Messerattacke auf einen 35 Jahre alten Deutschen zu regelrechten Jagdszenen auf Ausländer gekommen sei, erläuterte der Dresdner Politologe. „Die vorliegenden Videos zeigen, daß es vereinzelte Verfolgungen von Linken und Migranten gab. Die sind allesamt verwerflich. Doch daß hierfür der sehr starke Begriff ‘Hetzjagd’ zutrifft, bezweifle ich. Man sollte jedenfalls zurückhaltend mit der Verwendung so wuchtiger Ausdrücke sein, sonst sind sie irgendwann abgenutzt, wenn es wirklich zu solchen Hetzjagden kommt und mobilisieren dann nicht mehr gegen empörende Gewalttätigkeit“, warnte Patzelt.
Kretschmer: „Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd, es gab kein Pogrom“
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte kurz nach den Protesten in Chemnitz gesagt: „Wir haben Videoaufnahmen darüber, daß es Hetzjagden gab, daß es Zusammenrottungen gab, daß es Haß auf der Straße gab, und das hat mit unserem Rechtsstaat nichts zu tun.“
Ähnlich hatte sich schon zuvor ihr Sprecher Steffen Seibert geäußert. Dieser verteidigte Anfang der Woche nochmals seien Aussagen, nachdem die sächsische Generalstaatsanwaltschaft erklärt hatte, es habe in Chemnitz keine Hetzjagden gegeben.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hingegen widersprach am Mittwoch der Bundesregierung. In seiner Regierungserklärung im sächsischen Landtag bekräftigte er: „Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd, es gab kein Pogrom.“ (krk)