BRAUNSCHWEIG. „Sie hatte gehofft, nach Ende ihres Vertrages weiter in der Landesaufnahmebehörde arbeiten zu können, so wie einige ihrer Kolleginnen. Denn Nadja N. glaubt an das System, das sie und ihre Kollegin aus der Not heraus geboren haben. Doch ihre Arbeit war in Braunschweig nicht länger gefragt: Nach Ende ihres befristeten Arbeitsvertrages wurde dieser nicht verlängert.“
So endet ein hervorragend recherchierter Online-Artikel auf der Seite des Norddeutschen Rundfunks (ndr). Er beschreibt die Geschichte einer Frau, die gemeinsam mit Kolleginnen einen Sozialbetrug durch Sudanesen aufdeckte, der bundesweit mediale Aufmerksamkeit errang. Auch die JUNGE FREIHEIT berichtete im Januar mehrfach über den Betrug von geschätzt bis zu fünf Millionen Euro. Die Geschichte hinter der Geschichte des Millionenbetrugs durch Flüchtlinge ist aber kein geringerer Skandal.
Fotos statt Fingerabdrücke
Nadja N. heißt die Leiharbeiterin, die ein Jahr für die Landesaufnahmebehörde in Braunschweig arbeitete. Im Sommer 2015, „in den Zeiten des großen Ansturms von Flüchtlingen – und des Chaos“, schreibt der ndr, erstellte Nadja N. Leistungsbescheide und zahlte Taschengeld an die Flüchtlinge aus.
Dabei fiel ihr und ihrer Kollegin, vor allem bei Sudanesen, auf, daß sich einige Flüchtlinge, offenbar unter verschiedenen Alias-Namen und mit verändertem Aussehen, immer wieder neu anmeldeten. Das gelang ihnen, weil nur Fotos, aber keine Finderabdrücke genommen wurden, erzählt Nadja N. dem Sender.
Zuerst alarmierten die beiden Mitarbeiterinnen in Einzelfällen direkt die Polizei, bekamen für ihre Arbeit auch von den Kollegen Lob.
Später, als die Flut der Asylbewerber etwas nachließ, nahmen sich die beiden Frauen noch einmal ganz in Ruhe ihre Karteien vor. Eine Kollegin „mit fotografischem Gedächtnis“ ordnete die einzelnen Aliasnamen den Fotos zu. Nadja N. strukturierte die Informationen und sammelte sie in mehreren Aktenordnern. Sie informierte auch ihre Vorgesetzten über ihre Ermittlungen.
Anzeige bei der Polizei
In einem Gespräch mit ihren direkten Chefs, so Nadja N., sei ihr dann jedoch folgendes gesagt worden: „Ich sollte alle sieben oder acht Aktenordner, ich weiß jetzt gar nicht mehr wie viele das waren, in den Keller bringen … Man würde sie nicht vernichten, aber man würde auch nichts damit tun …“ Nadja N. soll daraufhin, entgegen den Anweisungen, zur Polizei gegangen sein und Anzeige erstattet haben.
Wochen später wurde sie von ihren Chefs gefragt, wer das wohl der Polizei gesteckt habe. Nadja N. verstand die Nutzung des Begriffs „gesteckt“ in diesem Zusammenhang nicht. Sie habe, so berichtet sie dem Sender, ihren Vorgesetzten gesagt, daß sie die Polizei informiert habe.
Seltsam: Auch die von Nadja N. informierten Ermittler bekamen die Akten nicht sofort ausgehändigt. Es scheint, die Polizei habe erst die Staatsanwaltschaft einschalten müssen und einen Durchsuchungsbeschluß immerhin in Erwägung gezogen.
Steuerzahler-Bund erstattet Anzeige
Der Fernsehsender habe von der Landeserstaufnahme Niedersachsen eine Stellungnahme erbeten. Der Sender zitiert die Behörde folgendermaßen: „Bei Sichtung dieser Unterlagen erschien zweifelhaft, daß auf dieser Datengrundlage eine Mehrfachidentität verifiziert werden könne.“
Im Hinblick darauf, daß erst aufgrund der Anzeige von Nadja N. die Polizei den ganzen Umfang des Sozialbetrugs ermitteln konnte, erscheint die Aussage der Landesbehörde doch immerhin verwegen.
Der Bund der Steuerzahler in Niedersachsen bezeichnet die Vorgehensweise der Verantwortlichen in der Landesaufnahmebehörde als skandalös. Deshalb habe er Anzeige erstattet, berichtet der ndr. Den Verantwortlichen der Landesaufnahmebehörde wirft der Steuerzahler-Bund Untreue und Strafvereitelung im Amt vor. Er begründe die Anzeige damit, daß die Behördenleitung Hinweise auf einen möglichen massenhaften Sozialbetrug durch Asylbewerber unter den Tisch gekehrt habe. Damit sei die Ermittlung von Straftaten verhindert worden. (mec)