Nichts gegen gute, ja exzellente Beziehungen zu Frankreich! Und wer die Sprache unseres großen Nachbarn beherrscht, ist auf jeden Fall im Vorteil. Aus geographischen und anderen Gründen gebührt dem Saarland hier die Vorreiterrolle. In saarländischen Schulen nimmt die französische Sprache seit jeher einen besonderen Rang ein. Dafür gibt es schließlich den Bildungsföderalismus.
Doch jetzt greift die Landesregierung in Saarbrücken nach den europäischen Sternen. In einem „Eckpunkte-Papier“ proklamiert sie als Ziel, das kleinste Flächenland bis 2043 „zu einem leistungsfähigen multilingualen Raum deutsch-französischer Prägung zu entwickeln“. Dazu sollen „Sprache, Verwaltung, Wirtschaft und interkulturelle Kompetenz“ sowie die „Nutzung der Infrastrukturen“ stärker „vernetzt“ werden. Während die meisten Vorschläge sich im Rahmen des üblichen Politiker-Geschwurbels bewegen, sind einige schärfer umrissen: Für die Landesverwaltung sollen Französischkenntnisse künftig zum Einstellungskriterium werden. Auch ist beabsichtigt, die Kindergärten zweisprachig zu betreiben und in den Schulen von der ersten Klasse an flächendeckend Französisch zu unterrichten.
Binnenträume eines kleinen Bundeslandes
Die seit 2013 (fünfzig Jahre nach Abschluß des Élysée-Vertrags) geborenen Landeskinder werden zur saarländischen „Generation Élysée“ erklärt. Frauenärzte und Kliniken sollen angehalten werden, „eine zweisprachige CD sowie eine Broschüre für die Eltern mit Informationen zu Möglichkeiten zweisprachiger Frühförderung und Ausbildung ihrer Kinder“ zu überreichen.
Aus ihren Binnenträumen möchte die Landesregierung zugleich eine „Außenstrategie“ formen, die entsprechend „kommuniziert“ werden müsse. Begriffe wie „Alleinstellungsmerkmal“, „Frankreichstrategie“ und „Frankreichkompetenz“, „Brücken-“ und „Torfunktion“ dürfen nicht fehlen. Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) wußte bei der Vorstellung des Konzepts allerdings noch nicht, woher sie das Geld dafür nehmen will.
Weitere Einwände liegen auf der Hand: Das Saarland ist, im Unterschied zu Luxemburg oder zur Schweiz, keine multinationale oder -linguale Region; es ist lebensfremd, sie per Dekret dazu zu erklären. Die Beherrschung des Englischen wird – bei aller Liebe zu Frankreich und seiner Kultur – vorrangig bleiben. Das Saarland ist viel zu klein, um irgendwelche „strategischen“ Vorgaben zu machen.
Zuwandererkinder werden völlig überfordert sein
Bis 2030 wird seine Einwohnerzahl von einer Million auf 900.000 sinken. Umso mehr werden die unterschichtigen Zuwandererkinder ins Gewicht fallen, die sowohl im Deutschen als auch in ihrer Muttersprache funktionale Analphabeten sind. Die Idee, sie zusätzlich zum Französisch-Unterricht zu verpflichten, ist völlig verrückt. Und falls ihre Bewerbungen für den Landesdienst tatsächlich an fehlenden Französischkenntnissen scheitern, werden die auf Antidiskriminierungsklagen spezialisierten Anwälte sich freudig ihrer annehmen.
Die „Eckpunkte“ laden ein zu sarkastischer Betrachtung. Ausgearbeitet wurden sie in der Staatskanzlei von Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer, die sich als CDU-Powerfrau profilieren möchte. Weil die kesse Brille und der emanzipatorische Doppelname dafür nicht ganz ausreichend und die Mittel und Möglichkeiten einer saarländischen Zaunkönigin gering sind, versucht sie es halt mit dieser prätentiösen Luftnummer.
In ihr spiegelt sich aber auch die Krise des deutschen Föderalismus. Der Gestaltungsspielraum der meisten Bundesländer beschränkt sich auf Kosmetik und sinnfreie Symbolpolitik. Indem Kramp-Karrenbauer die Nähe zu Frankreich als saarländisches „Alleinstellungsmerkmal“ hervorhebt, hofft sie die Eigenständigkeit ihres Landes und damit die Pfründe der politischen Klasse zu legitimieren.
Ausdruck deutscher Tumbheit und Politikfurcht
Ärgerlich ist die Provinzposse vor allem deshalb, weil sie jenen bundesdeutschen Europa-Wahn erneuert, der seine idealistischen Grundsätze unbeirrt über alle politischen, historischen, kulturellen Tatsachen und Differenzen stellt. Im Ausland als Ausdruck deutscher Tumbheit und Politikfurcht längst durchschaut, gehört er zum Verhandlungskalkül der Partnerländer und wird von ihnen weidlich ausgenutzt.
Die „Eckpunkte“ würden weniger beflissen und unterwürfig klingen, wenn sie von französischer Seite mit vergleichbaren Plänen für Elsaß und Lothringen beantwortet würden – was historisch und ethnisch weitaus besser begründbar wäre. Nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg hat Frankreich vehement versucht, sich das Saarland einzuverleiben.
Gewiß, das ist eine abgeschlossene Geschichte, die aber für eine Konstante der französischen Politik steht. Sie einfach aus dem Gedächtnis zu streichen, wird von Völkern mit gründlicherem Geschichtsbewußtsein als ein Zeichen fehlender Selbstachtung, der moralischen Schwäche und letztlich der politischen Erpreßbarkeit gewertet. Wer sich über diese Zusammenhänge nicht im klaren ist, kann keine „Frankreichkompetenz“ für sich beanspruchen.
Der Euro als Produkt der „deutsch-französischen Freundschaft“ war vergiftet
Überhaupt sollte die Rede von der „deutsch-französischen Freundschaft“ aus dem politischen Sprachschatz verbannt werden. Deutscherseits bezeugt sie die illusionäre Bereitschaft, von touristischen, kulinarischen und persönlichen Erfahrungen im Nachbarland auf das zwischenstaatliche Verhältnis zu schließen.
Die bedeutsamste Frucht dieser „Freundschaft“, der Euro, hat sich als vergiftet erwiesen. Gerade läßt unsere ahnungslose Verteidigungsministerin es geschehen, daß Frankreich die Bundeswehr in den Morast der afrikanischen Savanne hineinzieht. Das sind die wichtigen, die politischen Fragen, und nicht der Bau bi- oder multilingualer Märchenschlösser.
JF 06/14