BERLIN. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Dreiprozentklausel ist die Diskussion um die Speerklausel zur Bundestagwahl neu entbrannt. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, sieht die Fünfprozenthürde in Gefahr. „Wie man die Fünfprozenthürde bei Bundestagswahlen für zulässig erachten kann, die Dreiprozentklausel bei Europawahlen aber nicht, leuchtet mir nicht ein“, erklärte Papier gegenüber der Welt am Sonntag. Die Gemeinsamkeiten zwischen dem Bundestag und dem Europäischen Parlament seien doch sehr groß, wenn es um den Schutz der Funktions- und Arbeitsfähigkeit gehe.
Der derzeitige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, betonte hingegen, daß die Karlsruher Rechtsprechung über die Jahre das Aufkommen radikaler Bewegungen erschwert habe. „Nicht von ungefähr haben antieuropäische Strömungen in Deutschland weniger Zulauf als in anderen Mitgliedsstaaten.“ Das Bundesverfassungsgericht hatte die Dreiprozenthürde Ende Februar für verfassungswidrig erklärt. Begründet wurde die Entscheidung mit dem Verstoß gegen die Grundsätze der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien.
Mangel an Demokratie
Das Bundesverfassungsgericht folgte mit diesem Urteil seinem 2008, unter Papier, eingeschlagenen Weg. Schon damals hatte das Gericht entschieden, daß die Sperrklausel bei Kommunalwahlen die Chancengleicht kleinerer Parteien verletze. Mit der gleichen Begründung kippte es dann 2011 die Fünfprozent-Sperrklausel für Wahlen zum Europaparlament. Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele sprach sich nun auch für deren Abschaffung bei der Wahl zum Bundestag aus. „Ich halte die Fünfprozenthürde für undemokratisch, weil sie dazu führt, dass Millionen von Wählern im Bundestag nicht vertreten sind“, sagte er der Welt. Ströbele bezog sich bei seiner Beurteilung auf das Ergebnis der vergangenen Bundestagswahl und sah darin einen Mangel an Demokratie.
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner will dagegen an der Sperrklausel bei nationalen Wahlen festhalten. Diese habe sich bei Landes- und Bundestagswahlen bewährt und die Parlamente vor einer Zersplitterung und Arbeitsunfähigkeit bewahrt. Auch Papier unterstützt diese Auffassung mit dem Verweis auf die Geschichte der Weimarer Republik und der Warnung vor dem Einzug von Splitterparteien. Vor diesem Hintergrund sei die Sperrklausel 1953 eingeführt worden. Allerdings basiert die Regel nicht auf dem Grundgesetz, sondern auf einem einfachen Bundesgesetz. (te)