Die Alternative für Deutschland (AfD) hat „Thesen zur Außenpolitik“ vorgelegt. Damit tritt sie dem suggerierten Vorurteil entgegen, nur eine Ein-Themen- beziehungsweise pure Anti-(Euro)-Partei zu sein. Es ist bemerkenswert, daß sich überhaupt eine Partei im Wahlkampf dezidiert zu außenpolitischen Fragen äußert, und zwar jenseits gängiger Europa- und Atlantik-Stereotypen.
Es ist verblüffend: In der Zeit der deutschen Teilung, der lebensgefährlichen Blockkonfrontation und der existentiellen Abhängigkeit beider deutscher Staaten von den jeweiligen Vormächten, erschien die Außenpolitik der Bundesrepublik mutiger und entschlossener als heute, wo ihre Politiker und Journalisten sich darauf beschränken, die Agenda transatlantischer Geheimzirkel abzuarbeiten.
Stichwort Westbindung. Die AfD stellt sie nicht in Frage, sondern will „die westliche Sicherheitsarchitektur beibehalten und (betrachtet) die USA als den entscheidenden Anker dieser Architektur“. Allerdings hält sie nichts von praktizierter Vasallentreue. Den „Grenz- und Regelüberschreitungen der USA wie im Falle der NSA-Datensammlung“ müsse die Bundesrepublik „diplomatisch und rechtlich entgegentreten“.
Befürwortung des transatlantischen Freihandelsabkommens
Zu Europa: Die Partei sagt ja zur engen Zusammenarbeit der europäischen Staaten, die aber bitte souverän bleiben sollen. Das schließt ein Nein zum Euro-Verbund und zum europäischen Zentralstaat ein. Der gemeinsame Markt hingegen soll erhalten bleiben und um die USA und Kanada erweitert werden.
Damit gibt die AfD sich als Befürworterin des transatlantischen Freihandelsabkommens zu erkennen, an dem gerade gearbeitet wird. Sie begibt sich damit in einen Widerspruch. Denn dieses Abkommen wird das Übergewicht der multinationalen Konzerne gegenüber den Nationalstaaten weiter vergrößern. Unglücklich wirkt in dem Zusammenhang die Berufung auf „de Gaulle und heute David Cameron“.
Zwischen dem früheren französischen Präsidenten und dem aktuellen englischen Premier liegen Welten. Frankreich stemmt sich in der Tradition de Gaulles dagegen, das Freihandelsabkommen auf den kulturellen Bereich auszudehnen, während Großbritannien und der überwiegende Teil der Brüsseler Bürokratie ganz auf die Wirtschaftsinteressen fokussiert sind.
„Sakralisierung“ Europas in Deutschland
Anderen Passagen kann man vorbehaltlos zustimmen. Die Aufnahme Rumäniens und Bulgariens, ja bereits Griechenlands hat die EU überdehnt. Ein Beitritt der Türkei aber würde ihr die europäische Identität nehmen und sie zerstören. Europa endet am Bosporus! „Das Gebiet der Türkei gehört seit 1453, dem Fall Konstantinopels, spätestens aber seit der Austreibung der Griechen 1920 nicht mehr zu Europa.“
Die aus dem Jahre 1963 stammende Zusage an Ankara für eine spätere Mitgliedschaft war freilich keine „pure Heuchelei“, sondern politische Berechnung im Kalten Krieg. Der strategisch unverzichtbare, aber schwächelnde Nato-Partner sollte politisch, wirtschaftlich und psychologisch stabilisiert werden.
Zu recht moniert die AfD die „Sakralisierung“ Europas in Deutschland. Sie blockiert die sachliche Debatte, die Abwägung der eigenen und der Interessen der anderen. Bemerkenswert ist der Hinweis auf die Aussage der Kanzlerin, das Existenzrecht Israels sei Teil der deutschen Staatsräson.
Ansätze für eine geopolitische Konzeption
Die Kanzlerin müsse erklären, „was im Falle einer Existenzbedrohung Israels zu geschehen hat … Rechtlich wie strategisch ist Deutschland heute nicht in der Lage, den Satz mit Leben zu erfüllen.“ Ohne ihn explizit zu bestreiten, wird hiermit festgestellt, daß er den Wert einer Phrase besitzt.
Auffällig sind die Ansätze für eine geopolitische Konzeption. Ein weltweiter Einsatz der Bundeswehr wird klar abgelehnt. Deutschland und Europa würden nicht am Hindukusch verteidigt, aber demnächst vielleicht im nahen Nordafrika. Für diesen Fall befürwortet die AfD gemeinsame europäische Aktionen. Anmerkung: Solche Aktionen müßten rasch und konzentriert erfolgen, was die Frage aufwirft, ob künftig nicht doch übergreifende politische und militärische Strukturen nötig werden, welche die nationale Souveränität einschränken.
Viel Raum nehmen die Überlegungen zu Rußland ein. Zu recht, denn geostrategisch bilden Europa und Rußland einen gemeinsamen eurasischen Raum. In Sibirien lagern riesige Ressourcen, die für Europa wichtig sind und die Rußland nicht allein erschließen kann. Deutschland beschränkt sich bisher darauf, dem eigennützigen Konfrontationskurs der Obama-Administration gegenüber Moskau zu folgen.
Gefahr einer Romantisierung des deutsch-russischen Verhältnisses
Die AfD verlangt, die vielfältigen Empfindlichkeiten Rußlands zu beachten. „Wir Deutschen vergessen manchmal, daß Rußland an entscheidenden Wegmarken der deutschen Geschichte positiv Pate gestanden und Preußen vor dem Untergang bewahrt hat. Das gilt für 1763, 1806/07, 1813, die Bismarcksche Reichseinigung von 1866/70 und die deutsche Wiedervereinigung von 1990/91.“
Wie schon im Fall der Türkei – 1453 – sind die meisten Kommentatoren und Politiker mit diesen historischen Tiefenperspektiven wohl überfordert. Ihr geschichtlicher Horizont reicht nur bis 1945 beziehungsweise 1933. Allerdings muß die AfD sich vor einer Romantisierung des deutsch-russischen Verhältnisses hüten. Selbst der geniale Bismarck, dessen außenpolitische „Gelassenheit“ gerühmt wird, konnte nicht verhindern, daß sich die Beziehungen nach Petersburg aufgrund russischer Machtallüren verschlechterten.
Auch heute können die kleinen bis mittelgroßen europäischen Staaten Rußland nur gemeinsam die partnerschaftliche Waage halten. Auf eine anderen Aspekt weisen die Verfasser des Papiers selber hin: Die Polen dürfen sich durch die deutsch-russische Kooperation nicht in die Enge getrieben fühlen. Andernfalls – das sei hinzugefügt – suchen sie verstärkt Anlehnung an die USA und betätigen sich in der EU als ihr Trojanisches Pferd.
Das außenpolitische Thesenpapier der AfD ist nicht völlig ausgegoren. Doch es zeigt Möglichkeiten und Perspektiven auf, die über die Gemeinplätze, welche die Diskussion gewöhnlich bestimmen, klar hinausgehen.