BERLIN. Ein massenhafter Andrang von Zigeunern aus Südosteuropa seit 2007 überfordert die Berliner Politik. „Wenn jetzt noch eine große Zuwanderungswelle kommt, schaffen wir das nicht mehr“, schlug die Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg, Angelika Schöttler (SPD), im Tagesspiegel Alarm. „Es fehlt die Infrastruktur und die Finanzierung.“ Schätzungen gehen von derzeit rund 6.000 Zigeunern in Berlin aus.
Erwartungen, die vor allem aus Rumänien und Bulgarien stammenden Zigeuner würden mit der europäischen Freizügigkeit nur in den Sommermonaten die deutsche Hauptstadt besuchen, „waren nicht richtig“, erläuterte der Berliner Integrationsbeauftragte Günter Piening. „Wir gehen davon aus, daß viele gekommen sind, um hier zu bleiben“, bestätigte der Bezirksbürgermeister von Mitte, Christian Hanke (SPD). „Und das erfordert dann einigen Aufwand.“
Arbeitsgruppe soll „neue Herausforderungen“ angehen
Den „neuen Herausforderungen“ soll nun eine Arbeitsgruppe des Senates Herr werden. Insbesondere die Schulen sind von dem Andrang überfordert. „Unsere Belastungsgrenze ist erreicht“, sagte der Schulleiter der Neuköllner Hans-Fallada-Schule, Carsten Paeprer. Vor einem Jahr hätten sich vierzig, dieses Jahr bereits neunzig Schüler angemeldet, die häufig weder lesen noch schreiben könnten und kaum Deutschkenntnisse besäßen. Weitere zwanzig Schüler sollen dazu kommen. Für die Schüler sind bereits zwei Dolmetscher eingestellt worden.
Der Neuköllner Einwanderungsbeauftragte Arnold Megelkoch macht „ein Schlupfloch im System“ für die Zuwanderungswelle verantwortlich. Zwar sei rumänischen und bulgarischen Bürgern der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt verwehrt, jedoch dürfen sie ein Gewerbe anmelden. „Und wenn es nicht klappt mit dem Gewerbe, haben sie in kurzer Zeit Anspruch auf Sozialleistungen und Kindergeld.“ 2.400 solcher Gewerbe seien in Neukölln bereits angemeldet worden.
Deutsche Arbeitsämter holten Zigeuner nach Berlin
Verantwortlich für den Zustrom sind möglicherweise auch deutsche Arbeitsämter. Wie das Nachrichtenmagazin Spiegel berichtet, hatte der arbeitslose Maurer Volker P. eine Zigeunerin geheiratet und aus dem rumänischen Dorf Fantanele nach Berlin geholt. Als 2007 Verwandte dazu kamen, wandte sich Volker P. hilfesuchend an eine Sachbearbeiterin, welche ihn auf diese arbeitsrechtliche Möglichkeit hinwies.
Volker P. arbeitete in Folge als „Integrationslotse“ und meldete seine Verwandtschaft unter anderem als Schrotthändler an. Zu seinen Verwandten kamen noch andere Einwohner des Dorfes dazu, die sich in einem Gebäudekomplex in der Harzer Straße in Neukölln einmieteten. Über fünfhundert Zigeuner sollen jetzt dort leben. „Es war so, als hätte man den Stöpsel in der Badewanne gezogen“, erinnert sich Volker P. rückblickend, der heute wieder arbeitslos ist.
Zuständig für die Vergabe von Gewerben sind die Arbeitsagenturen. „Ich weiß nicht, wieso das dort niemanden auffällt“, empört sich Mengelkoch über die laxe Handhabung. Manchmal seien über hundert Gewerbe in einem einzigen Mietshaus angemeldet. (FA)