Ist es ein Skandal, wie die einen es nennen? Oder eine Kampagne, wie die anderen überzeugt sind? Es ist die Eskalation eines lange schwelenden Konfliktes, darin sind sich beide Seiten ausnahmsweise einig. Am Mittwoch vergangener Woche erschien bei Spiegel Online ein Bericht, in dem von einem „neuen Eklat“ in der Deutschen Burschenschaft (DB) die Rede war. Grund: Ein „hoher Funktionär“ dieses Dachverbandes studentischer Korporationen habe in einem Leserbrief (Der Brief als PDF) an die Mitgliederzeitung seiner Bonner Burschenschaft gegen den 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg getöteten Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer „gehetzt“ und diesen als Landesverräter bezeichnet.
Pikant daran ist, daß es sich bei dem Betreffenden um Norbert Weidner, den Schriftleiter (Chefredakteur) der für die Außendarstellung des Verbandes maßgeblichen Burschenschaftlichen Blätter, handelt. Und noch pikanter, daß in diesem Zusammenhang auch auf die politische Vergangenheit des Burschenschafters verwiesen wird, der einst Mitglied in den (später verbotenen) rechtsextremen Organisationen Wiking-Jugend und Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) war.
Zwei Tage nach der Veröffentlichung dieser Vorwürfe meldete die nordrhein-westfälische FDP, sie habe ein Parteiausschlußverfahren gegen ihr Mitglied Weidner eingeleitet, da seine vom Spiegel zitierten Äußerungen „nicht FDP-kompatibel“ seien, so Landessprecher Moritz Kracht.
„Ich bin danach nur halt kein Linker geworden“
Für Weidner selbst ist das alles kein Zufall. „Pünktlich wird im Vorfeld des Burschentages anhand meiner Person ein Stellvertreterkrieg geführt“, sagt er mit Blick auf die nach Pfingsten stattfindende Verbandstagung. Es sei die Fortsetzung des in die Öffentlichkeit getragenen Flügelstreits zwischen der „rechten“ Burschenschaftlichen Gemeinschaft und den „liberalen“ Bünden um die Mitgliedschaftskriterien, der dem Burschentag im vergangenen Jahr ein erhebliches Medienecho beschert hatte.
Weidner geht davon aus, daß der Leserbrief aus der nur für den kleinen Kreis der eigenen Mitglieder seiner Bonner Burschenschaft der Raczeks bestimmten Zeitschrift gezielt an Spiegel Online „durchgestochen“ wurde. Mit seinem Text aus dem Frühjahr 2011 habe er zwar einem Bundesbruder widersprochen, der Dietrich Bonhoeffer als Vorbild hervorgehoben hatte. Es sei ihm bei seiner Kritik jedoch vor allem um die Trennschärfe zwischen Hoch- und Landesverrat gegangen.
Wörtlich heißt es in dem der JUNGEN FREIHEIT vorliegenden Text: „Ich möchte ausdrücklich betonen, daß meine Kritik (…) nicht als Sympathiebekundung für den Nationalsozialismus verstanden werden darf. Das Eintreten gegen eine undemokratische und totalitäre Diktatur ist ehrenwert!“ Auch habe er, so Weidner, nie ein Hehl aus seiner rechtsextremen Vergangenheit gemacht. „Ich bin danach nur halt kein Linker geworden.“ Die FDP habe sich bei ihm noch nicht gemeldet, er werde jedoch verlangen, im Zuge des Ausschlußverfahrens rechtlich gehört zu werden.
Weidner erwägt Vertrauensfrage
Unterdessen haben (zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses) knapp 200 Burschenschafter einen Protestbrief (Der Aufruf als PDF) unterzeichnet, in dem Weidner aufgefordert wird, sein Schriftleiteramt niederzulegen. Darin heißt es unter anderem, man verurteile dessen Äußerungen „auf das schärfste“, da mit ihnen die Grenze überschritten werde, die „der burschenschaftliche Grundsatz der Ehre setzt“.
Mit der Kritik an Bonhoeffer sei zudem „das Ansehen des Burschenschafters Karl Sack und aller anderen Burschenschafter im Widerstand wie der in Plötzensee hingerichteten Hermann Kaiser und Helmut Himpel“ beschädigt worden, heißt es in dem Protestbrief. In Gesprächen mit Unterzeichnern drängt sich jedoch auf, daß die eigentliche Ursache viel tiefer liegt; nämlich im Mißfallen am zu großen Einfluß der Burschenschaftlichen Gemeinschaft auf den gesamten Dachverband, der dazu führte, daß immer mehr (vor allem mitgliederstarke) Bünde ausgetreten seien oder mit einem Austritt liebäugeln.
Vor allem von seiten der Burschenschaftlichen Gemeinschaft wird wiederum den Initiatoren vorgeworfen, sie hätten Verbandsinterna öffentlich gemacht. Dies sei „unburschenschaftlich und niederträchtig“.
Weidner selbst sieht bisher keine Veranlassung, zurückzutreten, werde jedoch eventuell auf dem Burschentag eine Art Vertrauensfrage stellen. In Eisenach könnte dann der Verband vor seiner nächsten Zerreißprobe stehen. Ein Burschenschafter, der nach eigenem Bekunden nicht viel vom Schriftleiter hält, wundert sich, wozu man eine solche Protestnote braucht: „Oder ist das wieder nur so ein Presseding, um etwas am Köcheln zu halten?“
JF 17/12
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