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Euro-Urteil: Verstümmelte Demokratie

Euro-Urteil: Verstümmelte Demokratie

Euro-Urteil: Verstümmelte Demokratie

Sonnenuntergang_Pixelio_Rolf_Findeis
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Euro-Urteil
 

Verstümmelte Demokratie

Das Karlsruher Urteil zu den europäischen Finanztransfers ist bitter, aber überraschend ist es nicht. Denn das Bundesverfassungsgericht ahndet nur formale Verstöße, für den Inhalt der Politik ist es nicht verantwortlich. Diese ähnelt aber schon lange mehr einem Treibhaus oder einer geschlossenen Anstalt: Eine Nachbetrachtung zum Karlsruher Euro-Urteil von Thorsten Hinz.
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Sonne im Untergang: Eine zum „Konsens der Demokraten“ verstümmelte Demokratie Foto: Pixelio/Rolf Findeis

Das Karlsruher Urteil zu den europäischen Finanztransfers ist bitter, denn es gibt der Politik freie Hand, weiter deutsches Steuergeld zu verpulvern. Überraschend ist es nicht. Das Bundesverfassungsgericht ahndet nur formale Verstöße, für den Inhalt der Politik sind Exekutive und Legislative verantwortlich.

Die Richter können die Ausschaltung beziehungsweise Selbstkastration des Bundestags untersagen, aber sie können nicht die Parlamentsmehrheit daran hindern, dem Regierungskurs zu folgen. Wenn nahezu die gesamte politische Klasse vorbringt, daß die Rettungsschirme im deutschen Interesse liegen, dann übersteigt es die Kompetenz des Verfassungsgerichts, das Gegenteil festzustellen und anzuordnen. Es ist nicht seine Aufgabe, die nichtvorhandene Opposition oder Protestbewegung dagegen zu ersetzen.

Die SPD, früher Schutzmacht der einfachen, arbeitsamen und aufstiegswilligen Leute, spricht sich für Euro-Bonds und gegen die steuerliche Entlastung von Kleinverdienern aus. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin kommentiert zynisch, das Urteil bedeute „eine Niederlage für den D-Mark-Chauvinismus“. Formal knüpft er an Jürgen Habermas’ alte Warnung vor dem „D-Mark-Nationalismus“ an, inhaltlich argumentiert er knallhart antideutsch.

Kein Wille zur Macht!

Kaum besser sieht es im sogenannten bürgerlichen Lager aus, wo der Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff (FDP) sich mit französischen Vorwürfen gegen den „kriminellen“ Egoismus Deutschlands identifiziert. „Es spricht schon für sich, wenn Lambsdorff die Äußerungen von tradierten ausländischen Deutschland-Kritikern zum Maßstab seiner Diagnose macht“, schreibt der Finanzwissenschaftler Markus C. Kerber, der eine Gruppe von 55 Mittelständlern auf dem Klageweg vertritt. Er charakterisiert Lambsdorff als typischen Vertreter der „Raison d’être der alten Bundesrepublik: kein Wille zur Macht“!

Das Ensemble wird komplettiert durch „eine ordnungspolitisch kompaßlose Bundeskanzlerin, für die Machterhalt alles ist und der Prinzipien nichts bedeuten, einen Außenminister ohne Format und ein Finanzministerium, das unter dem Joch des Frankreich-Fans Schäuble aufgehört hat, Bewahrer fiskalischer Solidität zu sein“. Kerber bezweifelt, daß der bundesdeutsche Staat personell und institutionell befähigt ist, deutsche Interessen zu wahren. Höhepunkt seiner Staatsskepsis ist das Vorhaben, das Bundesverfassungsgericht höchstselbst zu verklagen – vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das impliziert die Überzeugung, daß die Intentionen von Staat und Funktionseliten und die Lebensinteressen des Staatsvolks in Konflikt geraten sind.

Der Konflikt ist kein Zufall, sondern aus der Genese der deutschen Nachkriegsstaatlichkeit und ihres Verfassungsverständnisses zu erklären. Die schärfsten Analysen dazu stammen aus der Feder des Juristen Josef Schüßlburner, der auch in der JUNGEN FREIHEIT publiziert. Für Schüßlburner folgt die machtvergessene Raison d’être aus einem politischen System, in dem die horizontale und nationale Links-Mitte-Rechts-Einteilung durch eine internationale und vertikale (Oben-Unten)-Einteilung ihres rechten Flügels beraubt wird. Um Schüßlburners komplexe Denkfiguren in Kürze anschaulich zu machen, werden sie hier in geometrische Formen übersetzt.

Die verbotene Zone des Extremismus

In einer vollständig entwickelten Demokratie bildet das Feld der politischen Auseinandersetzung eine horizontale Fläche von 30 mal 20 Meter. Dieses Rechteck wird in drei gleich große Teilstücke von jeweils 10 mal 20 Meter parzelliert: Das eine ist für die sozial, egalitär und internationalistisch ausgerichtete Linke reserviert (die trotzdem einem patriotischen Impuls gehorchen kann), das zweite für die auf individuelle und wirtschaftliche Freiheit orientierte liberale Mitte, die die Frage nach nationalen oder supranationalen Strukturen pragmatisch beantwortet.

Die dritte Teilfläche gehört der Rechten, für die die Nation einen Eigenwert besitzt und die den demokratischen Nationalstaat verteidigt. Auf dieses idealtypische Politikfeld wurde in Deutschland eine gläserne Pyramide mit einer Kantenlänge von lediglich 20 mal 20 Meter gestülpt, die nur dem linken und dem mittleren Spektrum Platz bietet, während die Rechte ausgesperrt wird und die verbotene Zone des Extremismus konstituiert.

Diese Glaspyramide ist – gleich der vor dem Pariser Louvre – von einem engmaschigen Netz aus Metallstreben durchzogen. Die Verbindungsstellen an der Innenhaut, wo die Metallstreben kreuzweise miteinander verschraubt oder vernietet sind, stellen die anderen Länder und internationalen Organisationen dar, wobei ihre vertikale Anordnung sich nach Rang und Bedeutung richtet. Auf jeden Fall befinden sie sich oberhalb der Horizontalen, also Deutschlands: Rußland, Polen, Griechenland, Frankreich usw., die Uno, OECD, Europäische Union und die Nato. Die Pyramidenspitze ist für Israel und die USA reserviert.

Ein Völkermord als neues Sittengesetz

Diese Über-Unter-Ordnung wird nicht direkt proklamiert, sondern durch „Werte“ vermittelt. Diese darf man sich als Weihnachtssterne unterschiedlicher Größe vorstellen, die von innen leuchten und an Seilen herabhängen. Zu diesen „Werten“ zählen, so Schüßlburner, die „verbindliche Einordnung des Vorgängerregimes (NS-Regime – Th. H.), Art und Ausmaß durch dieses verursachter Opfer, Friedfertigkeit der polnischen Diktatur und der totalitären Sowjetunion der 1930er Jahre, Befreiungscharakter des alliierten Militärregimes etc. pp.“ Hinzu kommen noch die europäische Einigung, die Dankbarkeit für das anhaltende Interesse an der deutschen Finanzkraft (umgangssprachlich: Versöhnung) und, gewissermaßen als Zentralgestirn, „der Holocaust (als) die ungeschriebene Verfassung der Bundesrepublik“ (Dan Diner).

Für den deutschen Michel, der unverdrossen aus den Tiefen der totalen Niederlage von 1945 in den Wertehimmel blinzelt, ist dieser längst zum Sittengesetz in seiner Brust geworden. Damit nicht genug, verwandelt sich „das rechtsstaatlich-demokratische, weltliche Grundgesetz nach und nach in ein geschlossenes Moralsystem“, in dem nur noch der Grundrechte vollständig zu beanspruchen hat, der sich besagten Werten unterwirft. „Die Bundesrepublik ist danach nicht deshalb legitim, weil sie den verfassungsrechtlichen Rahmen für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des Deutschen Volks darstellt (…), sondern mehr deshalb, weil sie sich ideologisch-religiös von der ‘Vorgeschichte’ (die nur 12 Jahre umfassen mag, aber auch 1.200 Jahre meinen kann) abgrenzt und so eine Sonderform von Demokratie darstellt“ (J. Schüßlburner).

Das Bundesverfassungsgericht, dessen Fundament tief in rechtsstaatliche Traditionen eingelassen ist, leistet der Entwicklung vom weltlichen Verfassungs- zum transzendenten „Glaubensstaat“ von allen Institutionen unbestreitbar den stärksten Widerstand. Auf Dauer kann aber auch Karlsruhe sich der zwanghaften Atmosphäre unter der pyramidalen Käseglocke nicht entziehen. Im Wunsiedel-Urteil von 2009 zum Verbot des Gedenkmarsches für Rudolf Heß heißt es, angesichts einer Bundesrepublik, die als „Gegenentwurf“ zum NS-Staat zu verstehen sei, ist dem Grundgesetz „eine Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts für meinungsbezogene Gesetze immanent“. Der Jurist und Publizist Horst Meier nennt das eine „reine Behauptung“.

Züchtung eines autoaggressiven Wahnsinns

Das wirkliche Motiv des Gerichts dürfte im Hinweis zu finden sein, eine andere Regelung würde im In- und Ausland negative Wirkungen hervorrufen. Solche politisch motivierte Grundrechtsbeschneidung ist alarmierend. Eines Tages könnte die Kritik am Euro gleichfalls als verfassungsfeindlich erklärt werden mit der Begründung, daß ein europäischer Bundesstaat mit Gemeinschaftswährung die alternativlose Antwort sei auf die Erfahrung von Nationalsozialismus und Weltkrieg.

Die merkwürdige deutsche Staatsräson und ihre skurrilen Erscheinungen lassen sich vollständig also nur ergründen und analysieren, wenn sie auf ihre politisch-historische Grundtatsache zurückgeführt werden: Auf die zum „Konsens der Demokraten“ verstümmelte Demokratie, die weltgemeinschaftlich überformt und zivilreligiös legitimiert ist.

Dieser Zusammenhang offenbart sich mitunter blitzartig in Äußerungen wie der des französischen Soziologen Emmanuel Todd, es sei nicht dasselbe, ob sich in Frankreich, Italien oder in Deutschland eine Rechtspartei an der Regierung beteilige. Der politisch-öffentliche Raum wird so zur Mischung aus Treibhaus und geschlossener Anstalt, in der ein autoaggressiver Wahnsinn gezüchtet wird. Er wird personifiziert von bewußt kinderlosen Frauen, die sich als Heroinen der Nachhaltigkeit gebärden; von einem Außenminister, der in der Vertreibungsfrage den polnischen Standpunkt übernimmt mit der Begründung, er habe deutsche Interessen zu vertreten; von einem Grünen-Politiker mit Wurzeln im Kommunistischen Bund, dem es mit der Internationalisierung des Volksvermögens gar nicht schnell genug gehen kann und der zweckmäßigerweise schon mal Anspruch auf das Amt des Bundesfinanzministers erhebt.

Formeln wie „Wahltag ist Zahltag“ unterstreichen nur die Hilf- und Alternativlosigkeit. Das ändert sich erst, wenn die Glaswände zerborsten sind, Frischluft einströmt und das Kampffeld der Demokratie und Volkssouveränität vervollständigt wird.

JF 39/11

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