BERLIN. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) hat die Forderung von Union und FDP nach einem Gedenktag für die Vertriebenen scharf kritisiert. In dem Antrag sei nicht „ein Anflug von historischer und politisch-moralischer Distanz zur Charta der Vertriebenen zu erkennen“, sagte Thierse der Süddeutschen Zeitung. Dies sei „unerhört“. Die Charta lese sich, als habe es den Holocaust nie gegeben.
Hintergrund ist ein am Donnerstag im Bundestag angenommener Antrag von CDU/CSU und FDP, in dem die Bundesregierung unter anderem aufgefordert wird, zu prüfen, den 5. August zu einem Erinnerungstag an die Vertreibung zu erheben. An diesem Tag wurde im Jahr 1950 die „Charta der Vertriebenen“ unterschrieben. Eine Würdigung der Vertriebenenorganisationen, so die Regierungsfraktionen, sei überfällig.
„Katastrophale Außenwirkung“
Kritik an dem Vorhaben kam auch von den Grünen und der Linkspartei. Grünen-Chefin Claudia Roth nannte den Antrag ein „fatal falsches Signal“. Die Linkspartei bemängelte den fehlenden Bezug zu den Verbrechen der Deutschen. Es sei „inakzeptabel“, daß diese nicht ebenfalls erwähnt würden. Die Deutschen hätten zuerst „aktiv und brutal vertrieben, bevor die eigene Bevölkerung zum Opfer der Vertreibung wurde“.
Einwände kamen auch vom Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, der vor einer „katastrophalen Außenwirkung“ warnte: „Man könnte auf die Idee kommen, das revanchistisch zu nennen“, kritisierte er den Antragstext.
Hintergrund des Anliegens ist eine Initiative des Bundesrats aus dem Jahr 2003 für einen „Nationalen Gedenktag für die Opfer von Vertreibung“. Im vergangenen Jahr hatte sich zudem CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe für einen solchen Gedenktag ausgesprochen. Dem hielt Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) entgegen, es gäbe schon zu viele Gedenktage. (ho)