BERLIN. Ein Jahr nach der Veröffentlichung seines Buches „Deutschland schafft sich ab“ hat der frühere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) Bilanz gezogen. Er habe als Autor mehr bewirken können als dies als einfacher Bundesbankvorstand möglich gewesen wäre. „Wenn die Aufgabe des Amtes bei der Bundesbank der politische Preis war, dann war es ein guter Tausch“, sagte Sarrazin der Bild.
Positiv überrascht habe ihn auch der große emotionale Zuspruch in vielen Bevölkerungsgruppen. Dagegen habe ihn die Kritik der „intellektuellen Kreise“, die seine Aussagen verfälscht und versucht hätten, ihn als „engstirnigen Rentner“ zu diffamieren, schwer enttäuscht, betonte der 66jährige.
Dies gelte auch für die ihn kritisierenden Journalisten, die zu 70 bis 90 Prozent sein Buch nie aufgeschlagen hätten. Besonders ärgere ihn bis heute das „geistigen Desinteresse der Regierenden. Ob SPD in Berlin, ob Bundeskanzlerin oder Union.“
Wie in Sowjetzeiten
Angesichts der massiven Kritik an seinen Aussagen habe er jetzt jedoch verstanden, wie „die Sowjetunion der Stalinzeit ihre Gefangenen umgedreht und sie zu falschen Geständnissen gezwungen hat“. Wenn Menschen nur lang genug isoliert und bestimmten Vorwürfen ausgesetzt seien, geständen sie am Ende die verrücktesten Dinge, sagte Sarrazin der Zeit.
Dem großen Druck habe er selbst nur standgehalten, weil er über eine Vielzahl an Unterstützern verfügte. „Ich habe immer wieder geprüft: Wo hat mich jemand bei einem gedanklichen Fehler erwischt? Wo habe ich in der Sache geirrt? Das ist nicht passiert.“
Verwundert reagierte der Sozialdemokrat auf eine Umfrage der INFO Unternehmensgruppe, nach der 40 Prozent der ausländischstämmigen Befragten angaben, seinen Namen noch nie gehört zu haben. „Eine Debatte, die sich ganz wesentlich um sie drehte, ist einfach an ihnen vorbeigegangen.“ (ho)