Den Bundestag beschäftigen zur Zeit zwei Gesetzesinitiativen, die auf den Abbau von „Diskriminierungen“ Homosexueller und weiterer sexueller Randgruppen abzielen: eine zur Änderung von Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) und eine zweite, die sich mit einer Ergänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes befaßt.
Bereits im Herbst des vergangenen Jahres war eine Bundesratsinitiative von Berlin, Bremen und Hamburg zur Einfügung des Merkmals der „sexuellen Identität“ in den Katalog des Artikels 3 Absatz 3 GG gescheitert. Anfang dieses Jahres brachten dann SPD, Linkspartei und Bündnis 90/Grüne gleichlautende Anträge im Bundestag ein.
Um zu beurteilen, welche Auswirkungen dieses Vorhaben haben kann, muß man zunächst die innere Systematik des Artikels 3 GG verstehen. Absatz 1 lautet: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“
Zentrale Bedeutung für die Homosexuellenbewegung
Dieser allgemeine Gleichheitssatz wird in den beiden folgenden Absätzen für eine Reihe von Fällen konkretisiert: Absatz 2 regelt die Gleichberechtigung von Mann und Frau; Absatz 3 zählt eine Reihe von Merkmalen auf, die als Kriterien für eine unterschiedliche Behandlung von Sachverhalten grundsätzlich ausscheiden. Hierzu zählen das Geschlecht, die Abstammung, die Rasse und der Glaube. Die Gesetzesinitiativen zielen darauf, das Merkmal „sexuelle Identität“ hinzuzufügen.
Was würde diese Änderung bewirken? Verdeutlichen läßt sich das am Beispiel des Adoptionsrechts, dem für die Homosexuellenbewegung eine zentrale Bedeutung zukommt und auf das ein von den Grünen vorgelegter Gesetzentwurf abzielt. Nach der geltenden Rechtslage ist eine Adoption nur durch Ehepaare und durch Einzelpersonen möglich, nicht jedoch durch die Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft.
Diese Ungleichbehandlung von Ehepaaren und Lebenspartnern soll der Gesetzentwurf beseitigen, der von seinen Verfassern insbesondere mit einer Verletzung von Artikel 3 GG durch das jetzige Adoptionsrecht begründet wird. Ob diese Rüge zutrifft, hängt nun entscheidend vom Wortlaut des Artikels 3 GG ab. In der geltenden Fassung kommt als Prüfungsmaßstab ausschließlich der allgemeine Gleichheitssatz des Absatzes 1 in Betracht, der verlangt, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln.
Gute Gründe für unterschiedliche Behandlung
Sind also Ehe und Lebenspartnerschaft im Hinblick auf die Möglichkeit der Adoption als gleich anzusehen mit der Folge, daß ihnen gleiche Rechte zuzuerkennen sind? Und: Zwingt die 2005 in das Lebenspartnerschaftsgesetz eingefügte Möglichkeit der Stiefkindadoption – der Adoption des leiblichen Kindes eines der Lebenspartner durch den anderen – in der Konsequenz dazu, auch die Fremdkindadoption zuzulassen? >>
Beide Fragen sind zu verneinen. Wie der Rechtsmediziner Hans-Bernhard Wuermeling in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ausgeführt hat, gibt es gute Gründe dafür, Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft in bezug auf das Recht zur Adoption unterschiedlich zu behandeln: das Wohl des Kindes und die in zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigte Erkenntnis, daß ein Aufwachsen mit Vater und Mutter am ehesten Gewähr für eine gesunde psychische Entwicklung des Kindes bietet.
Und auch zwischen Stiefkind- und Fremdkindadoption gibt es einen wesentlichen Unterschied, der ihre unterschiedliche Behandlung rechtfertigt: Während es bei ersterer darum geht, in einer dem Gesetzgeber vorgegebenen Situation (das Kind wächst nun einmal in der Lebenspartnerschaft auf) wenigstens den rechtlichen Status des Kindes zu verbessern, besteht im Fall der Fremdkindadoption die Möglichkeit und damit zugleich die Verpflichtung, dem Kind tatsächlich die bestmöglichen Bedingungen zu verschaffen – und das bedeutet: Aufwachsen in einer Familie mit Mutter und Vater.
Schutz bereits jetzt umfassend geregelt
Ganz anders fiele die Prüfung aus, käme es zu der beantragten Änderung des Artikels 3 GG. Denn dann wäre der Maßstab nicht mehr nur Absatz 1, sondern auch Absatz 3: Offensichtlich setzt die Differenzierung zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft an der sexuellen Identität der Personen an, und diese zählte nach einer Grundgesetzänderung zu den Merkmalen, die in Absatz 3 aufgeführt sind und die nicht als Anknüpfungspunkt für eine Ungleichbehandlung dienen dürfen. Demnach verstieße das geltende Adoptionsrecht eindeutig gegen Artikel 3 GG; die soeben vorgeführte Argumentation wäre von vornherein abgeschnitten.
Doch die von den Initiatoren gewünschte Grundgesetzänderung hätte noch eine weitere Konsequenz, die das Vorhaben geradezu skandalös erscheinen läßt: Zwar verwenden die Autoren in den Begründungen ihrer Anträge zur Erläuterung des Merkmals der sexuellen Identität stets gleichlautend die Formel „Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Transsexuelle und Intersexuelle“, und man mag ihnen abnehmen (oder auch nicht), daß damit abschließend der Personenkreis benannt ist, um den es ihnen geht; aber der Begriff der sexuellen Identität ist vage und nicht darauf zu begrenzen.
Es ist kein Grund ersichtlich, warum nicht auch Pädosexualität eine Form der sexuellen Identität sein sollte, und so wird es in einem Teil des einschlägigen Schrifttums verstanden. Angesichts dessen ist es verwunderlich, daß die rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, Andrea Voßhoff, nach der Anhörung zur Begründung ihrer ablehnenden Haltung nicht mehr zu sagen wußte als: Der Schutz der sexuellen Identität sei im GG bereits umfassend geregelt und Änderungen daher überflüssig. Man spürt förmlich den Sand, der einem da in die Augen gestreut wird.
JF 20/10