FREIBURG. Fast alle in den vergangenen vier Jahren publizierten Verfassungsschutzberichte von Bund und Ländern sind verfassungswidrig. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Instituts für Öffentliches Recht der Universität Freiburg, die jetzt im Jahrbuch Informationsfreiheit und Informationsrecht erschienen ist.
Demnach verstoßen alle Berichte – mit Ausnahme derjenigen aus Berlin und Brandenburg – gegen die vom Bundesverfassungsgericht formulierten Maßstäbe, die von den Verfassungsschutzbehörden beachtet werden müssen, damit ihre Berichterstattung über Organisationen, die sie als extremistisch einstufen, mit den Grundrechten der Betroffenen vereinbar ist.
Die Karlsruher Richter hatten im Beschluß zur JUNGEN FREIHEIT aus dem Jahr 2005 festgeschrieben, daß in den Verfassungsschutzberichten „unmißverständlich deutlich“ gemacht werden muß, falls bei einem Beobachtungsobjekt nur „ein Verdachtsfall“ vorliegt, dieses aber „nicht nachweislich verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt“.
Berlin und in Brandenburg sind Ausnahme
Das höchste deutsche Gericht betonte in seiner Entscheidung zugunsten dieser Zeitung, auch der flüchtige Leser müsse Verdachtsfälle und Fälle erwiesener Verfassungsfeindlichkeit klar und in erkennbarer Weise unterscheiden können.
Nach Erkenntnis des Geschäftsführenden Direktors des Instituts für Öffentliches Recht der Universität Freiburg, Professor Dietrich Murswiek, werde dieses formale Kriterium jedoch in fast allen seit diesem Urteil erschienenen Berichten mißachtet.
Lediglich die Verfassungsschutzämter in Berlin und in Brandenburg seien von diesem Vorwurf auszunehmen; allerdings berichteten sie überhaupt nicht über Verdachtsfälle. In den Berichten des Bundes und der übrigen Länder sei die Unterscheidung zwischen den Fällen erwiesener Verfassungsfeindlichkeit und Verdachtsfällen „entweder gar nicht oder allenfalls indirekt erkennbar“, so Murswiek.
„Vorgaben des Verfassungsgerichts eklatant mißachtet“
Der Jurist nannte es „befremdend, daß diejenigen, deren Aufgabe der Schutz der Verfassung ist, bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts so eklatant mißachten“.
Zwar habe laut Murswiek das Land Nordrhein-Westfalen, das 2005 im Rechtsstreit mit der JUNGEN FREIHEIT vor dem Bundesverfassungsgericht unterlegen war, die Verdachtsfälle seither „ausdrücklich erkennbar“ gemacht, diese Unterscheidung in der Gestaltung seiner Verfassungsschutzberichte allerdings „nicht hinreichend deutlich“ hervorgehoben. (vo)