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Kairo hat genug: Wird Ägypten zum Tor nach Europa?

Kairo hat genug: Wird Ägypten zum Tor nach Europa?

Kairo hat genug: Wird Ägypten zum Tor nach Europa?

Sudanesen vor ihrer Abreise in die Heimat: Seit Jahresbeginn repatriierte Ägypten 190.000 Staatsbürger ins südlich gelegene Nachbarland. (Themenbild)
Sudanesen vor ihrer Abreise in die Heimat: Seit Jahresbeginn repatriierte Ägypten 190.000 Staatsbürger ins südlich gelegene Nachbarland. (Themenbild)
Sudanesen vor ihrer Abreise in die Heimat: Seit Jahresbeginn repatriierte Ägypten 190.000 Staatsbürger ins südlich gelegene Nachbarland. Foto: IMAGO / NurPhoto
Kairo hat genug
 

Wird Ägypten zum Tor nach Europa?

Es geht um Millionen Migranten: Trotz massenhafter Rückführungen hat Ägypten mit einer schweren Asylkrise zu kämpfen. Die Warnungen vor neuen Einwandererwellen werden immer lauter.
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Erneut häufen dich diesen Sommer die tragischen Unglücke von mit Migranten beladenen Schiffen vor der Küste Libyens. Zuletzt Ende Juli, als libysche Rettungskräfte nahe Tobruk 18 Tote sowie zehn Überlebende an einem Strand fanden. Über fünfzig weitere Passagiere des gekenterten Schiffs werden seitdem im Mittelmeer vermißt. Auffallend: Alle Passagiere waren Ägypter. Sie kamen also ausgerechnet aus einem Nachbarland, welches selber unter Migrationsdruck steht.

Seit Jahresbeginn seien mindestens 743 Migranten im Mittelmeer ertrunken, berichtet die Onlinezeitung Libya Review. Somit sei die mediterrane Route „weiterhin der tödlichste Weg für Migranten weltweit“. Doch machten Einwanderer aus der Subsahararegion in den Vorjahren noch die Mehrheit aus, verschob sich die Demographie seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Sudan im April 2023 deutlich zugunsten der Einwanderer aus den Nilstaaten. So stammt mehr als jeder fünfte Einwanderer aus Ägypten und weitere 26 Prozent aus dem Sudan.

Ägypten selbst nahm in den vergangenen Jahren zahlreiche Asylmigranten auf. Das Land mit rund 100 Millionen Einwohnern beherbergt nach Regierungsangaben neun Millionen Flüchtlinge aus den Nachbarregionen, darunter mehr als vier Millionen Sudanesen. Aber auch anderthalb Millionen Syrer sowie je eine Million Jemeniten und Libyer.

2024 beschloß Ägypten sein erstes Asylgesetz

Seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs im Sudan im April 2024 hat sich die Flüchtlingssituation in Ägypten noch einmal deutlich verschärft. Offiziell zeigen sich Khartum und Kairo in historisch erwachsener Brüderlichkeit vereint. Beim Staatsbesuch in der ägyptischen Hauptstadt Anfang August dankte der sudanesische Ministerpräsident Kamil Idris dafür, daß das Land „Millionen Sudanesen in dieser außergewöhnlichen Situation, in der sich unser Land infolge des uns aufgezwungenen brutalen Krieges befindet, Aufnahme gewährt“ habe.

Doch unter den Ägyptern selbst wächst der Unmut über die Massenmigration aus den benachbarten Ländern. So hatte eine Umfrage der in Dubai ansässigen Entwicklungshilfeorganisation „Ark“ vom Mai 2025 ergeben, daß Sicherheitsbedenken unter Ägyptern in bezug auf illegale Einwanderung und damit verbundenem Drogenschmuggel binnen nur einem Jahr von 17 auf 24 Prozent angestiegen waren. Hashtags wie „Geh zurück in deinen Sudan“ und „Die Abschiebung syrischer Flüchtlinge ist eine nationale Pficht“ kursieren seit vergangenem Jahr zahlreich in den örtlichen sozialen Medien.

Einen Vertrag mit dem Sudan über die Freizügigkeit beiderlei Staatsangehöriger im jeweils anderen Land hatte Ägypten schon 2023 aufgekündigt. Im Dezember 2024 verabschiedete das ägyptische Parlament schließlich das erste Asylgesetz seiner Geschichte.

Staatspräsident as-Sisi warnt vor Massenmigration

Fortan ist es Asylbewerbern nicht mehr nur verboten, sich politisch zu betätigen. Deren Status kann auch bei allgemeinen Straftaten aberkannt werden, ebenso bei Untreue gegen die ägyptische Verfassung und selbst bei „moralischen Verstößen gegen die gesellschaftlichen Werte und Traditionen“ des Landes.

Aufgrund des neuen Gesetzes wurden mehrere hundert Sudanesen abgeschoben. Ebenso eine Gruppe Syrer, die im Dezember 2024 öffentlich den Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad gefeiert hatten. In Kooperation mit der sudanesischen Regierung, welcher im März die Rückeroberung der Hauptstadt Khartum gelang, konnten ägyptische Behörden seit Jahresbeginn weitere 190.000 Flüchtlinge aus dem Sudan repatriieren.

Eine nächste Herausforderung stellt der Nahostkrieg dar. Seit dem Hamas-Angriff auf Israel vom 7. Oktober 2023 gelang trotz geschlossener Grenzübergänge mehr als 100.000 Palästinensern die Flucht nach Ägypten.

In einer Videokonferenz beim „Außerordentlichen arabisch-islamischen Gipfel“ vergangene Woche in der katarischen Hauptstadt Doha warnte Präsident Abd al-Fattah as-Sisi vor „beispiellosen Wellen von Massenvertreibungen und illegaler Migration nach Europa“, sollte die kriegsbedingte Zerstörung des Gazastreifens weiter anhalten. Die Botschaft richtete sich vor allem an Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und Großbritanniens Premier Keir Starmer, die zugeschaltet waren.

Nur 18 Prozent geben politische Gründe für Asyl an

Um die Pull-Faktoren für Migranten nach Europa einzudämmen, unterstützt die EU die ägyptische Regierung seit März 2024 mit einem Investitions- und Darlehenspaket im Wert von 7,4 Milliarden Euro, darunter 200 Millionen Euro zur Bekämpfung der illegalen Migration über ägyptische Grenzen und Mittelmeerhäfen.

Den Ausweg vieler Ägypter und Sudanesen für ihre Reise nach Europa bietet jedoch weiterhin das benachbarte und wenig kontrollierte Libyen. Ein Ticket für den Kleinbus zwischen Kairo und Tobruk koste oft nur 1.000 ägyptische Pfund, berichtet die ägyptische Onlinezeitung Mada Masr. Das sind umgerechnet rund 18 Euro. Für die anschließende Überfahrt auf einem Boot verlangen Schlepper weitere 140.000 Pfund, also etwa 2.500 Euro.

Solche Preise verdeutlichen die neue Zielgruppe der Schlepper, die den Auswanderwilligen oftmals ein illusorisch schönes Leben in Europa ausmalen. Eine im August veröffentlichte Studie der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zählte unter 1.590 befragten Migranten in Libyen lediglich zwei Prozent Frauen, hingegen einen Anteil von drei Vierteln an Männern zwischen 19 und 35 Jahren. Über 21 Prozent der Untersuchten hatten nie eine Schule besucht, weitere 43 Prozent lediglich eine Grundschule. Davon schloß nur die Hälfte diese ab. Politische Gründe für ihren Auswanderungswunsch fanden sich nur bei 18 Prozent der Migranten.

Den Großteil, so das Fazit der IOM-Studie, locken auch weiterhin wirtschaftliche und soziale Pull-Faktoren nach Libyen – und viele von diesen später auf ihre Überfahrt nach Europa.

Aus der JF-Ausgabe 40/25.

Sudanesen vor ihrer Abreise in die Heimat: Seit Jahresbeginn repatriierte Ägypten 190.000 Staatsbürger ins südlich gelegene Nachbarland. Foto: IMAGO / NurPhoto
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