In den USA spricht man derzeit von einem „Vibe shift“ – gemeint ist damit in etwa das, was man in Deutschland wohl mit „Rechtsruck“ umschreibt. Mit dem Unterschied, daß der englische Begriff keinen anklagenden Unterton hat: es verschiebt sich einfach etwas, in den Köpfen, den Salons, den Zeitungen, in der gesellschaftlichen Stimmung. Bei unserem Nachbarn Frankreich, könnte man meinen, vollzieht sich dieser „Shift“ schon erheblich länger. Immerhin schaffte es dort bereits 2002 ein Rabauken-Rechtspopulist wie Jean-Marie Le Pen in die Endrunde der Präsidentschaftswahl (JF berichtete).
Hüben wie drüben fahnden seitdem aufgeregte Journalisten, Politiker und „Experten“ nach den mächtigen Strippenziehern des „Shifts“, den Vordenkern, Finanziers und Beratern. Neben dem Medienmogul Vincent Bolloré (JF berichtete) fiel in Frankreich dabei ein Name in den vergangenen Monaten besonders häufig: Pierre-Édouard Stérin.
Der 51jährige, geboren im normannischen Évreux, ist nämlich milliardenschwer – und scheut sich nicht bekanntzugeben, daß er sein Geld für einen politischen Wandel einsetzt. Etwa zwanzig Prozent seiner Zeit verwende er dafür, mit seinem Vermögen „Gutes zu tun“, erklärte Stérin kürzlich der Presse. Die restlichen achtzig Prozent gingen dafür drauf, sein Vermögen zu erhalten.
Vom RN hält Stérin nicht viel
Medien besitzt er, anders als Bolloré, nicht. Und anders als der US-Unternehmer Peter Thiel (JF berichtete) darf er wegen der französischen Gesetzeslage auch keine Präsidentschaftskandidaten, sei es nun Marine Le Pen, Jordan Bardella (JF 26/24) oder Éric Zemmour, finanziell unterstützen.
Vom Rassemblement National hält er nach eigener Aussage aber ohnehin nicht viel. Denn dieser setzt bekanntlich eher auf Sozialpolitik und Arbeitnehmerrechte – Stérin dagegen floh mit seiner Familie sogar nach Brüssel, um dem französischen Steuersystem zu entkommen. Das Frankreich, welches er sich wünscht, wäre eher wirtschaftsliberal, zugleich aber streng katholisch und in gesellschaftlichen Fragen erzkonservativ.
Im Grunde läßt sich seine Ideenwelt in ein einziges Akronym zusammenfassen: „Périclès“ heißt eine 2023 von dem Geschäftsmann gegründete rechte Denkfabrik. Das ist zum einen eine Anspielung auf den gleichnamigen antiken Staatsmann, andererseits aber auch eine Abkürzung für „Patriotes, Enracinés, Résistants, Identitaires, Chrétiens, Libéraux, Européens, Souverainistes“, also „Patrioten, Verwurzelte, Widerständler, Identitäre, Christen, Liberale, Europäer, Souveränisten“.
Reich wurde er mit einer Verpackungsfirma
Über seinen bereits seit vier Jahren existierenden Fonds „Bien Commun“ verteilt er zugleich Gelder an konservative Unternehmen und Projekte aller Art.
Bereits als Zehnjähriger habe er Milliardär werden wollen, erzählt Stérin. Doch zunächst wurde daraus nichts, und mit 29 Jahren mußte er sogar noch einmal bei seinen Eltern einziehen. Die liehen ihm schließlich die 5.000 Euro, mit denen es dann klappte: 2008 gründete er die Verpackungsfirma Smartbox und wurde reich.
Wie sehr Pierre-Édouard Stérin die politische Landschaft tatsächlich prägt, läßt sich nur schwer sagen und damit auch, wie groß sein Anteil an jener Stimmung ist, die zur Vertrauensfrage geführt hat, über die der zentristische Premier François Bayrou nun stürzen könnte. Die Opposition, von links bis rechts, hat jedenfalls angekündigt, ihm am kommenden Montag das Vertrauen zu entziehen – es wäre ein Paukenschlag.