Abcoude ist eine kleine malerische Gemeinde mit rund 8.000 Einwohnern in der Nähe von Utrecht. Die dörfliche Idylle wurde Ende August jäh beendet. Gegen 4.15 Uhr morgens wurde die 17jährige Lisa aus Abcoude entlang einer Hauptstraße in Duivendrecht ermordet aufgefunden (JF berichtete). Sie war mit dem Fahrrad auf dem Heimweg von einem Abend mit Freunden in Amsterdam, als sie angriffen und brutal getötet wurde. Kurz darauf wurde der „Mann“, wie viele Medien schrieben, genauer aber ein Asylbewerber festgenommen, der sich illegal in einem Flüchtlingszentrum aufhielt. Er wurde auch mit zwei Vergewaltigungen in Verbindung gebracht.
Die Ermordung von Lisa löste in den Niederlanden Empörung aus und führte zu der nationalen Schilderkampagne „Wir holen uns die Nacht zurück“. Im Anschluß wurden in Amsterdam die Fassaden von Bars, Nachtclubs, dem Hauptbahnhof und dem Rathaus orange beleuchtet, um Lisa zu gedenken und für die Sicherheit von Frauen einzutreten. Andere Städte schlossen sich an. Orange sei die Farbe, die die Uno als Symbol für eine Zukunft ohne Gewalt gegen Frauen und Mädchen verwende, schrieben viele niederländische Medien. Die Herkunft des Täters spielte zuerst kaum eine Rolle.
Dennoch hat in den vergangenen Jahren ein wachsender Teil der niederländischen Bevölkerung genug von der „Masseneinwanderung“. Laut dem Sozial- und Kulturplanungsamt (SCP), einer staatlichen Einrichtung, die soziale und kulturelle Veränderungen untersucht, sind strengere Einwanderungsbeschränkungen mittlerweile Mehrheitsmeinung.
Nervosität der Linken beim Thema Migration steigt
Im April vergangenen Jahres veröffentlichte das SCP einen Bericht mit dem Titel „Migration als Spiegelbild gesellschaftlicher Ansichten“. Auf der Grundlage von Daten aus den Jahren 2022 und 2023 kam es zu dem Schluß, daß 40 Prozent der niederländischen Bevölkerung einen vollständigen Stopp der Asylmigration wünschen, selbst wenn dies einen Verstoß gegen internationale Verträge bedeuten würde. Nur 30 Prozent lehnen eine vollständige Einstellung ausdrücklich ab, 20 Prozent haben keine feste Meinung dazu und nur 10 Prozent möchten mehr Asylsuchende aufnehmen, als die Niederlande derzeit tun. Wenn es darum geht, die Asylmigration zu reduzieren, statt sie vollständig einzustellen, ist eine komfortable Mehrheit dafür.
Um zu verstehen, warum so viele Menschen in den Niederlanden, einem historisch toleranten Land gegenüber Einwanderern, für eine Reduzierung der Asylmigration sind, ist es wichtig, die raschen demographischen Veränderungen der letzten Jahre zu betrachten. Der ehemalige Ministerpräsident und derzeitige Nato-Generalsekretär Mark Rutte führte das Land zwischen 2010 und 2024 fast 14 Jahre lang und ist damit der am längsten amtierende Ministerpräsident in der niederländischen Geschichte.
Jan van de Beek, einer der führenden Migrationswissenschaftler in den Niederlanden, untersuchte, wie viele Migranten in die Niederlande eingereist sind und wieviel dies die Wirtschaft koste. Seiner Studie zufolge, die in „Migration Magnet Netherlands“ zusammengefaßt ist, kamen während der Amtszeit von Rutte 1,5 Millionen Einwanderer, also acht Prozent der niederländischen Bevölkerung, in die Niederlande. Dieser Zustrom stieg im Laufe der Zeit auch an: von einem Einwanderer pro 1.000 Einwohner im Jahr 2010 auf zehn pro 1.000 im Jahr 2023.
Niederlande diskutieren über Migrationspolitik
Nach den Rutte-Jahren zeigten die Wähler, daß sie eine strengere Migrationspolitik, insbesondere im Asylbereich, wollten, indem sie die Freiheitspartei (PVV) von Geert Wilders, die prominente Anti-Migrationspartei, bei den letzten Wahlen mit 23,49 Prozent der Stimmen zur größten Partei machten. In der nun gescheiterten Koalition versprach Wilders „die strengste Migrationspolitik aller Zeiten“. Da die Koalition jedoch aufgrund von Meinungsverschiedenheiten in der Migrationspolitik zerbrach, werden die Niederländer am 29. Oktober erneut zur Wahl gehen. Hervorzuheben ist dabei, daß bei den vergangenen Wahlen der Angriff der Hamas am 7. Oktober und die massiven Demonstrationen gegen Israel die öffentliche Meinung dazu bewegt haben, für Wilders zu stimmen.
Etwas Ähnliches könnte sich durch den Fall Lisa gerade wiederholen. Die erneute Fokussierung auf Einwanderung kurz vor den vorgezogenen Wahlen hat einige linke Politiker in Unruhe versetzt. Zu ihnen gehört die Bürgermeisterin von Amsterdam, Femke Halsema. Als prominentes Mitglied der fusionierten Partei GroenLinks-PvdA (GL-PvdA), die in den Umfragen knapp hinter Wilders liegt, hat sie aktiv versucht, die statistische Überrepräsentation von Einwanderern bei sexuellen Gewalttaten herunterzuspielen.
Nach dem Mord an Lisa kursierten weitere Statistiken aus Van de Beeks Buch im Internet. Vor allem die überproportionale Vertretung von Asylbewerbern nach Nationalität fand Beachtung. Wilders teilte die Zahlen und fragte: „Warum traut sich niemand zu sagen, daß wir kein Problem mit Männern haben, sondern ein Problem mit der Einwanderung?“
Wahltermin rückt näher
Halsema antwortete auf Bluesky, daß Van de Beeks Zahlen irreführend seien, da es sich um relative Zahlen handele – das heißt um die Frage, wievielmal häufiger Asylbewerber Sexualstraftaten begehen als Niederländer (je nach Nationalität zwischen vier- und 20mal) – und nicht um absolute Zahlen. Sie schrieb: „Die Absicht ist, die Verantwortung für sexuelle Gewalt buchstäblich über die Grenze zu schieben. Das ist Teil des Problems.“ Van de Beek erklärte anschließend, was er als fehlerhafte Logik von Halsema ansah. Sie löschte später ihre Bluesky-Nachricht.
Da der Wahltermin am 29. Oktober näher rückt, haben die meisten großen Parteien ihre Pläne veröffentlicht. Wilders plädiert in „This is Your Country“ für einen vollständigen Stopp der Asylmigration. Der führende linke Kandidat, Frans Timmermans von GL-PvdA, schlägt in „Ein Neuanfang für die Niederlande“ eine Nettozuwanderungszahl von 40.000 bis 60.000 vor. In der Praxis bedeutet dies mehr, als es scheint. Im Jahr 2022 (letzte verfügbare Daten) wanderten laut dem Zentralen Statistikamt (CBS)180.000 Menschen aus. Wenn wieder die gleiche Zahl auswandert, könnten jährlich über 200.000 Einwanderer einreisen.
Rekorde bei der Auswanderung müßten Politiker hellhörig machen
Dagegen sprechen die Mitte-Links-Christdemokraten mit ihrem Motto „Auf Vertrauen aufbauen“ vage von einer Reduzierung der Migration auf europäischer Ebene, nennen aber keine Zahlen. Stattdessen sollen „vielversprechende Asylbewerber“, ein Begriff, der nicht definiert wird, bereits nach einem Monat Aufenthalt in den Niederlanden arbeiten dürfen.
Aufgrund dieser Politik verändert sich einerseits die Einwohnerschaft der Niederlande. Andererseits verstärkt sie den Druck auf den niederländischen Wohnungsmarkt. Da Eigentumswohnungen beinah unbezahlbar sind und die Mieten steigen und steigen, entscheiden sich immer mehr Niederländer für den Umzug ins Ausland.
Nach Angaben des CBS sei bereits 2024 ein deutlicher Anstieg der Auswanderungen zu beobachten gewesen. Diese gingen nicht nur in die Nachbarländer Belgien und Deutschland, sondern auch nach Spanien, Schweden, Kanada und Portugal. 2023 zogen 198.000 Menschen mit niederländischer Staatsangehörigkeit ins Ausland. Im Jahr 2022 waren es 180.000. Diese Zahl ist fast doppelt so hoch wie zur Jahrtausendwende. Bekannte Gründe für die Auswanderung sind nach Angaben des Immigrantenbüros (Emigratiebeurs) neben der Wohnungsnot das Streben nach einer besseren Lebensqualität aufgrund der Überbevölkerung, der Einwanderungskrise und der sich verschlechternden Mentalität in den Niederlanden.