WIEN/BRÜSSEL. Ein hochrangiger österreichischer Diplomat hat mit einem brisanten Doppelleben das Außenministerium in Erklärungsnot und die politische Elite der Republik unter Zugzwang gebracht. Thomas Oberreiter, bis jetzt Ständiger Vertreter Österreichs bei der Europäischen Union in Brüssel, soll jahrelang einen sadomasochistischen Internetblog betrieben haben – mit detaillierten Gewalt- und Vergewaltigungsphantasien, die tief ins Frauenverachtende und Menschenverachtende abgleiten. Die Texte habe er, so der Vorwurf, in seinem Büro im Außenministerium geschrieben.
Der mittlerweile gelöschte Blog mit dem Titel The Night Mare (Der Albtraum) soll literarisch aufgemachte, zugleich jedoch zutiefst perverse und entmenschlichende Texte enthalten haben, in denen der Autor Frauen als „Fleisch“ beschrieben und Szenarien von Unterwerfung, Mißbrauch und psychischer Zerstörung entworfen haben soll.
Mehrere frühere Versionen des Blogs wurden zwar zwischenzeitlich aus Archiven gelöscht – möglicherweise auf Intervention von Stellen mit Zugriffsbefugnissen –, doch ein Eintrag blieb erhalten. Dieser dokumentiert, daß die Beiträge bereits seit mindestens 2016 existierten.
Top-Diplomat schrieb Phantasien in der Dienstzeit auf
Ein Auszug aus dem Beitrag „Frankfurter Nacht“:
„Wir waren Fleisch, nicht mehr. Frauen. Gefäße für den Samen der Männer.“
Aus dem Text „Nicht deine Welt“:
„Er schob mir alles in den Mund.“
Und in „City of Silly Girls“ fragt der Autor:
„bist du in Berlin? könnten für die Party noch ne frau gebrauchen. Interesse?“
Besonders verstörend: Viele solcher Beiträge entstanden offenbar während der Dienstzeit, mit dienstlichen Geräten und sogar vom Ministeriumsgebäude in der Wiener Leopold-Figl-Gasse aus. Dateinamen, Zeitstempel und Standortdaten legen diesen Verdacht nahe, enthüllte der Aufdecker-Blog Fass ohne Boden.
Oberreiter war über Jahrzehnte in Spitzenfunktionen tätig – unter anderem als Kabinettschef der ehemaligen und inzwischen verstorbenen Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein (parteilos, 2019–2020) sowie im Team des früheren Außenministers Alexander Schallenberg (ÖVP). Zuletzt galt der 59jährige als diskreter, allseits geschätzter Spitzendiplomat mit ausgezeichneten Kontakten in Brüssel. Hinter der Fassade weltgewandter Professionalität verbarg sich jedoch offenbar eine abgründige Parallelwelt. In internen Kreisen wurde seit Monaten über sein Doppelleben getuschelt, erste Hinweise kursierten bereits im Jahr 2016 – doch Konsequenzen blieben aus.
FPÖ fordert komplette Aufklärung
Erst durch die Veröffentlichung der Enthüllungen auf dem Investigativportal Fass ohne Boden, das gemeinsam mit dem Onlineportal exxtra24 recherchierte, wurde die Causa öffentlich. Wenige Tage später wurde der Diplomat von Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (Neos) offiziell abberufen – offiziell „auf eigenen Wunsch“. Das Ministerium betonte zugleich, dies sei „nicht als Bestätigung der Vorwürfe“ zu werten. Auf inhaltliche Nachfragen ging man nicht ein und verwies auf Datenschutz und Persönlichkeitsrechte.
Die FPÖ spricht von einem „staatlichen Totalausfall“ und fordert volle Aufklärung. Die freiheitliche Kickl-Stellvertreterin Susanne Fürst erklärte gegenüber Medien: „Der Mann ist kein kleines Rädchen am Wagen, sondern seit Jahrzehnten in zentralen Funktionen tätig – als Kabinettschef im Bundeskanzleramt sowie im Außenministerium. Er ist eine Größe innerhalb der ÖVP-Familie.“ Es sei völlig unverständlich, wie jemand mit derartiger Gesinnung Zugang zu höchsten Ämtern und sensibelsten Informationen erhalten konnte.
Fürst will nun unter anderem bestätigt bekommen, ob die Infrastruktur der Republik für die Erstellung und Veröffentlichung der Blogbeiträge genutzt wurde – etwa Computer, Tablets oder Mobiltelefone – und ob die Aktivitäten innerhalb der Dienstzeit stattfanden. Darüber hinaus wirft die FPÖ die Frage auf, ob es Verbindungen des Botschafters zu sogenannten „Sex-Partys mit diplomatischer Beteiligung“ in Brüssel gibt, über die Insider ebenfalls berichtet haben.
Der Skandal hat auch eine sicherheitspolitische Dimension: Bereits 2020 wurde das Außenministerium Ziel eines schweren Cyberangriffs. Das müsse nun neu bewertet werden, so die Forderung, da Oberreiters Aktivitäten ein mögliches Einfallstor für Spionage oder Erpressung dargestellt haben könnten. Ein Beamter mit Zugriff auf sensible Daten, der gleichzeitig unter Pseudonym seine gewaltvollen sexuellen Phantasien im Netz verbreitet, sei ein unkalkulierbares Risiko für die nationale Sicherheit gewesen.
So gehen Österreichs Medien mit dem Fall um
Fass ohne Boden kündigte an, weitere Texte und Archivmaterial öffentlich zugänglich zu machen, um die Dimension des Falles sichtbar zu machen. Auch eine englische Übersetzung der Enthüllung sei in Vorbereitung, um internationalen Partnern und diplomatischen Stellen Einsicht zu geben.
Unterdessen hat der Fall eine Nebenfront in der österreichischen Medienlandschaft eröffnet. Erst die linkstendenziöse Tageszeitung Standard outete den aufgrund seiner Position ohnehin sehr einfach identifizierbaren Diplomaten und vierfachen Familienvater mit vollem Namen. Davor hatten zuvor sämtliche großen Medien, darunter auch die Boulevard-Riesen Krone, Heute und Oe24 darauf verzichtet. Auch der eigentliche Aufdecker, Fass ohne Boden, nannte keine Namen. Zu groß scheint bei vielen Herausgebern die Sorge, mit zu großer Berichterstattung könnte man die ÖVP brüskieren und sich damit ins eigene, gut mediengeförderte Fleisch schneiden.