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EU-Außengrenze: Wie Griechenland bei der Abwehr der Massenmigration scheitert

EU-Außengrenze: Wie Griechenland bei der Abwehr der Massenmigration scheitert

EU-Außengrenze: Wie Griechenland bei der Abwehr der Massenmigration scheitert

Migranten auf der Insel Gavdos in Griechenland: Regelmäßig kommen sie dorthin über Libyen. (Themenbild)
Migranten auf der Insel Gavdos in Griechenland: Regelmäßig kommen sie dorthin über Libyen. (Themenbild)
Migranten auf der Insel Gavdos in Griechenland: Regelmäßig kommen sie dorthin über Libyen. Foto: picture alliance / dpa | Vassilis Mathioudakis
EU-Außengrenze
 

Wie Griechenland bei der Abwehr der Massenmigration scheitert

Bedingt abwehrbereit: Seit Jahren befindet sich Griechenland im Mittelpunkt der Migrationskrise. Doch die Versuche, der Lage Herr zu werden, scheitern an Berlin und Brüssel.
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Immer wieder wird Gavdos, eine winzige Insel südlich von Kreta, zum Ankunftsort für über 500 irreguläre Migranten. Landungen, bei denen die Boote aus Libyen kommen, sind mittlerweile an der Tagesordnung. Die griechische Küstenwache handelt gemäß ihren Anweisungen und brachte die Migranten nach Kreta, von wo aus sie bald in Zentren auf dem Festland zur Bearbeitung weitergeleitet werden. Sie kann nichts anderes tun, da bereits 17 ihrer Mitglieder wegen „Fahrlässigkeit“ in einem ähnlichen Fall in Pylos, der zum Untergang eines Schiffes führte und international für Aufruhr sorgte, unter schwerer Anklage stehen.

Ihre Asylanträge werden wahrscheinlich schnell genehmigt werden, da viele von ihnen aus verzweifelten, vom Krieg zerrütteten Regionen wie dem Sudan, dem von Dschihadisten kontrollierten Syrien oder sogar Palästina stammen. Abgesehen von der Festnahme identifizierter Schlepper – in der Regel diejenigen, die die baufälligen Boote steuern – wird erwartet, daß die meisten Migranten innerhalb weniger Tage aus den Aufnahme- und Identifizierungszentren (RICs) entlassen werden.

Diese Einrichtungen sind gemäß EU-Vorgaben offen, so daß viele einfach verschwinden können. Einige von ihnen versuchen, anstatt auf die Bearbeitung ihres Antrags zu warten, sich kriminellen Netzwerken anzuschließen, um mit gefälschten Pässen oder anderen illegalen Mitteln in andere europäische Länder weiterzureisen, oft lange bevor ihr Asylverfahren überhaupt abgeschlossen ist.

Die Griechen befürchten, zum „Parkplatz“ Europas zu verkommen

Griechenland gewährt im Vergleich zu anderen EU-Staaten überdurchschnittlich häufig Asyl. Nach der Bewilligung erhalten diese Personen das Recht, für einen begrenzten Zeitraum innerhalb Europas zu reisen. Ihr Kompaß zeigt eindeutig nach Norden: Deutschland oder andere nordeuropäische Staaten sind das endgültige Ziel, angelockt durch robuste Sozialsysteme und die Präsenz etablierter Diasporagemeinschaften. Dieser starke „Pull-Faktor“, der wohl durch den bedeutenden Einfluß Deutschlands innerhalb der EU verstärkt wird, der Griechenland historisch daran gehindert hat, wirklich strenge Grenzkontrollen durchzuführen, befeuert die Sekundärmigration. Hinzu kommt, daß viele der NGOs, die Migranten bei der Überfahrt tatsächlich helfen, ihren Sitz in Deutschland und anderen nördlichen EU-Mitgliedstaaten haben und sogar von dort finanziert werden.

Folglich sieht sich die griechische Regierung nicht in der Lage – und politisch nicht willens –, eine Massenrückführung dieser Migranten aus Deutschland zu akzeptieren. Dieses umstrittene Thema taucht häufig in hochrangigen bilateralen Gesprächen auf, wie kürzlich bei Treffen zwischen dem griechischen Premierminister Kyriakos Mitsotakis und dem deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz deutlich wurde.

Sollte der griechische Migrationsminister Makis Voridis, der vor allem aufgrund seiner politischen Vergangenheit – er war Vorsitzender einer Anti-Einwanderungspartei namens „Hellenische Front“ – als „Hardliner“ in Einwanderungsfragen gilt, diesen Rückführungen zustimmen, würde Griechenland nach allgemeiner Einschätzung zu einem Parkplatz für unerwünschte Einwanderer aus Deutschland werden. Würde er solchen Rückführungen zustimmen, wäre dies ein schwerer Schlag für seine Popularität, und er hat wiederholt erklärt, daß er das Migrationsministerium nur übernommen habe, um seine harte Linie durchzusetzen. Zu dieser Haltung gehört auch eine Änderung einiger Aspekte des griechischen Asylsystems.

Die EU sabotiert potentielle Lösungen

Bislang bestreitet das griechische Einwanderungsministerium diese Frage, wobei Quellen behaupteten, daß es keine offizielle Forderung Deutschlands nach solchen Rückführungen gebe. Und daß es mit rechtlichen Mitteln dagegen vorgehen werde, sollten solche Bemühungen unternommen werden. Stattdessen betont es, daß es den neuen europäischen Rahmen für Rückführungen in Drittstaaten unterstütze und bereit sei, bei solchen „europäischen Initiativen“ eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Viel mehr kann das Einwanderungsministerium  jedoch nicht tun. Denn derzeit ist die Fähigkeit Griechenlands, seine Grenzen zu kontrollieren und Einreisen zu verhindern, durch EU-Richtlinien stark eingeschränkt.

Da sich viele Analysten in Griechenland auf das Schlimmste vorbereiten, zum Beispiel eine Massenflucht aus dem Sudan und Palästina, wird befürchtet, daß die Einreisen aus der Türkei wieder von vorne beginnen werden. Ein Land, das zwar für seine Erklärung zur Einwanderung aus dem Jahr 2015 beträchtliche EU-Gelder erhält, aber keine Rückführungen von Einwanderern aus Griechenland akzeptiert, obwohl es zu einem sicheren Land erklärt wurde. Und das ist nicht der einzige Mißerfolg einer „europäischen Lösung“ bisher.

Ein Paradebeispiel dafür war im März 2020, als die Türkei einseitig ihre Landgrenzen öffnete und einen massiven, orchestrierten Zustrom von Migranten an der Grenze zu Evros auslöste. Die Reaktion Griechenlands – ein Notdekret, das das Recht auf Asyl für irreguläre Einreisen aussetzte – stieß auf sofortige und heftige Kritik seitens der Europäischen Kommission, des EU-Parlaments und des UNHCR. Diese direkte Intervention der EU zwang Athen, seine Politik rasch umzukehren und die Aufnahme von Asylanträgen wieder zuzulassen. Dieser Vorfall war eine harte und wiederkehrende Lektion für die griechischen Entscheidungsträger: Jede nationale Maßnahme, die als Abweichung von der etablierten rechtlichen oder humanitären Linie Brüssels wahrgenommen wird, löst sofortigen und heftigen Widerstand aus und macht souveräne Entscheidungen in kritischen Grenzfragen praktisch zunichte.

Griechenland finanzierte seinen Grenzzaun selbst

Das Muster der EU-Beschränkungen setzte sich fort. Die Anträge Griechenlands auf rund einhundert Millionen Euro EU-Finanzmittel für den Ausbau seines Grenzzauns am Evros wurden konsequent abgelehnt. Trotz der eindringlichen Appelle von Premierminister Mitsotakis, in denen er die Rolle Griechenlands beim Schutz der europäischen Außengrenzen hervorhob, sprach sich die Kommission gegen die Finanzierung physischer Barrieren aus und bestand darauf, daß die Mittel ausschließlich für Aufnahme-, Rückführungs- und Integrationsmaßnahmen verwendet werden sollten.

Diese EU-Finanzierungspolitik schränkte die von Griechenland bevorzugte Option für physische Grenzsicherheit direkt ein und zwang das Land, einen kleineren Abschnitt ausschließlich aus eigenen Mitteln zu errichten. Ebenso wurden die – zumindest öffentlich geäußerten – Wünsche der griechischen Regierung nach geschlossenen Migrantenhaftanstalten nach direkten Besuchen und Interventionen der langjährigen EU-Kommissarin Ylva Johansson letztlich verworfen. Stattdessen wurden von der EU finanzierte offene Zentren (RICS) eingerichtet.

Verbote aus Brüssel machten die Küstenwache wehrunfähig

Von 2021 bis 2023 wurde die Ägäis zum Schauplatz kontinuierlicher Auseinandersetzungen zwischen der griechischen Küstenwache und ankommenden Migrantenbooten. Frontex, die EU-Grenzschutzagentur, war stark präsent. Ihre Rolle ist jedoch mehr als umstritten. Kritiker argumentierten, daß Frontex-Schiffe oft als umstrittener „Taxidienst“ fungierten und abgefangene Migranten regelmäßig direkt auf griechische Inseln brachten.

Diese wahrgenommene Erleichterung stand im Widerspruch zu den Abschreckungsbemühungen. Vorwürfe illegaler „Pushbacks“ durch Frontex-Besatzungen, die angeblich von der griechischen Küstenwache angeordnet worden waren (obwohl dies von Griechenland offiziell dementiert wurde), verschärften die Beziehungen weiter und führten zu intensiven Untersuchungen, die zeitweise die griechischen Grenzkontrollen einschränkten.

Der verheerende Untergang des Fischkutters Adriana vor Pylos am 14. Juni 2023 unterstrich auf tragische Weise die ultimativen Folgen dieses komplexen, von außen beeinflußten Umfelds. Dies bedeutete praktisch das Ende der griechischen Küstenwache, die Migrantenboote daran hinderte, einzulaufen, und machte sie zu einem Taxidienst wie Frontex.

Aus der JF-Ausgabe 24/25.

Migranten auf der Insel Gavdos in Griechenland: Regelmäßig kommen sie dorthin über Libyen. Foto: picture alliance / dpa | Vassilis Mathioudakis
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